Das Gedächtnis verborgener Schätze

Eine digitale Karte der Altstadt von Aleppo unterstützt den Wiederaufbau eines der größten Handelszentren des Nahen Ostens

[Mittlerweile liegt die digitale Karte der Altstadt von Aleppo vor]

Die Bilder gehen um die Welt: eine in Trümmern liegende Stadt, einstmals eines der größten Handelszentren des Nahen Ostens. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der BTU Cottbus–Senftenberg arbeiten an Konzepten für einen möglichen Wiederaufbau. Eine detaillierte, digitale Karte der Altstadtvon Aleppo soll die Grundlage für zukünftige Planungen sein.

Aleppo, zweitgrößte Stadt Syriens und eine der ältesten dauerhaft besiedelten Städte der Welt, leidet seit fünf Jahren unter dem herrschenden Bürgerkrieg. Vor den Auseinandersetzungen lebten 2,5 Millionen Menschen in der Stadt. Heute ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung geflohen. Im Bürgerkrieg wurden große Teile des Stadtgebietes, insbesondere die Altstadt, die 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde, schwer beschädigt.

Vor den Wissenschaftlern um den Projektleiter Christoph Wessling liegt eine Sisyphusarbeit. Etwa 20 Gigabyte Daten müssen systematisiert werden. Bis kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs waren die Stadtplaner und Architekten der Universität an einer sozialverträglichen Renovierung und Wiederbelebung der Altstadt beteiligt, die von Zerfall und Verarmung bedroht war. Im Jahr 2004 wurde das deutsch-syrische Projekt, das von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit mit 20 Mio. € unterstützt wurde, mit dem Städtebaupreis der Harvard School of Design ausgezeichnet. Nun sind die damals gesammelten Daten hilfreich, um den Wiederaufbau zu ermöglichen. Die Forscher führen Fahrbahnen, Fußwege, öffentliche Plätze mit Brunnen, Statuen oder Anpflanzungen und Grundrisse ehemaliger Bauten aus dem Jahr 2011 digital zusammen und ermöglichen so die Rekonstruktion der Stadt.

Künftig soll es möglich sein, über einen Computer, das Tablet oder Handy auf die digitale Karte der Altstadt zu tippen und sich die gesammelten Baupläne, Fotos und Beschreibungen, die zu einem Ort hinterlegt sind, anzuschauen. Bauliche Strukturen werden sichtbar, die derzeit durch Gebäudetrümmer verborgen sind. Wo heute nur noch Schutt zu sehen ist, zeigt die Karte, welche Grundmauern, Wege, Gassen und Parzellenstrukturen darunter vorhanden sind.

"Diese Strukturen sind die Grundlage der Welterbe Klassifizierung durch die UNESCO. Mit dem Projekt wollen wir das Bewusstsein für die Wiederaufbaumaßnahmen nach den Kriegshandlungen wecken und bauliche Fehlentwicklungen, die diese wichtigen Grundstrukturen ignorieren, verhindern", fasst Prof. Heinz Nagler, Leiter des Fachgebiets Städtebau und Entwerfen, zusammen. "Unser Ziel ist es, eine qualifizierte Plangrundlage für den Wiederaufbau zu schaffen. Zukünftige bauliche Einzelprojekte können in dieses Gesamtbild gestellt und entsprechend bewertet werden. Damit schaffen wir einen wichtigen Beitrag gegen eine mögliche Flächensanierung der Altstadt von Aleppo nach dem Bürgerkrieg und ermöglichen eine kritische Rekonstruktion, die auch die Interessen der Einwohner miteinbezieht", resümiert Prof. Dr. Klaus Rheidt, Leiter des Fachgebiets Baugeschichte.

Bis Ende des Jahres, so die Hoffnung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, soll diese Karte fertiggestellt sein und dem Syrian Heritage Archive am Deutschen Archäologischen Institut zur Verfügung stehen. Aber auch die Stadtverwaltung von Aleppo, Verantwortliche der zukünftigen Stadtplanung, potenzielle Investoren, Entscheidungsträger und Stadtplaner, Wissenschaftler, Journalisten, Publizisten und die interessierte Öffentlichkeit können die Karte künftig als Grundlage für die Einordnung und Bewertung zukünftiger Vorhaben nutzen.

Das Projekt ist Teil des Pilotvorhabens "Die Stunde Null – für eine Zukunft nach der Krise", das sich mit dem Wiederaufbau in Syrien befasst. Es ist das erste Vorhaben, das im Rahmen des Archaeological Heritage Network, einem Netzwerk zum Erhalt des kulturellen Erbes, durchgeführt wird. Netzwerk und Projekt werden vom Auswärtigen Amt unterstützt. Das Teilprojekt der BTU wird in einer Höhe von 75 T€ bis Dezember 2016 gefördert. Eine Verlängerung ist geplant.