Wirtschaft im Lockdown

Aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie musste die Wirtschaft innerhalb kürzester Zeit auf ein Minimum runterfahren. Was das bedeutet und welche Auswirkungen das hat, darüber unterhalten wir uns mit Professor Dr. oec. habil. Jan Schnellenbach vom Lehrstuhl VWL, insbesondere Mikroökonomik der BTU.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Wirtschaft aus?

Die Auswirkungen ähneln sich weltweit sehr. Der sogenannte Lockdown, also das weitgehende Lahmlegen des öffentlichen Lebens, ist inzwischen in fast allen Ländern implementiert. Das hat Auswirkungen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite von Märkten. Wir konsumieren unter dem Strich deutlich weniger, auch wenn einzelne Güter wie Atemmasken derzeit viel stärker als sonst nachgefragt werden. Und auf der Angebotsseite haben wir Produktionsprozesse, die unterbrochen sind – weil Wertschöpfungsketten Lücken bekommen haben, weil aus epidemiologischen Gründen entschieden wurde, dass bestimmte Dienstleistungen derzeit nicht anzubieten sind, oder weil schlicht Arbeitskräfte wegfallen, die krank sind oder derzeit nicht ins Land einreisen dürfen.

Dieser kombinierte Angebots- und Nachfrageschock führt dazu, dass das Bruttoinlandprodukt (also die Summe der inländischen Wertschöpfung in einem Jahr) in allen betroffenen Ländern stark zurückgeht. Wie stark der Effekt für Deutschland sein wird, zu diesem Zeitpunkt schwer zu prognostizieren. Denn das hängt von vielen nicht-ökonomischen Einflüssen ab, über die immer noch große Unsicherheit herrscht. Wann wird die Politik den Lockdown lockern? Wann gehen die Infektionsraten deutlich zurück? Das wissen wir einfach noch nicht.

Man kann sich daher nur verschiedene Szenarien ansehen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat einige eher optimistische Szenarien errechnet unter der Annahme, dass die medizinische Situation in wenigen Wochen unter Kontrolle ist und sich das öffentliche Leben schnell wieder normalisiert. Dann müssen wir mit einem BIP-Verlust um 5% in diesem Jahr rechnen, werden aber im nächsten Jahr wieder ein solides, positives Wachstum sehen. Das wäre schmerzhaft, aber gut zu verkraften.

Es gibt allerdings auch pessimistische Szenarien von anderen Forschern, die unter der Annahme berechnet sind, dass die medizinische Krise noch Monate anhält. Dann könnte es zu BIP-Verlusten um 20% kommen. Dies wäre dramatisch und hätte auch längerfristige negative Effekte, da es bei einem monatelangen Stillstand immer unsicherer wird, welche Unternehmen und ganze Wirtschaftsstrukturen halbwegs unbeschadet aus dem Corona-Winterschlaf aufwachen. Wir können im Moment also nur darauf hoffen, dass sich die epidemiologische Lage schnell normalisiert.

Welche Bereiche sind derzeit besonders betroffen?

Es sind alle Bereiche stark betroffen. Wir sehen große Industriekonzerne, bei denen derzeit praktisch vollständiger Stillstand herrscht und die in jeder Woche des Lockdowns dreistellige Millionensummen verlieren. Auf der anderen Seite sehen wir spezialisierte Einkaufsläden mit geringen Reserven, die schon nach wenigen Wochen Probleme haben, ihre Fixkosten noch zu zahlen. Nur wenige Unternehmen können in dieser Krise profitieren, beispielsweise solche, die medizinischen Bedarf herstellen – oder Toilettenpapier.

Die besondere Gefahr einer solchen massiven Krise liegt darin, dass sie sich in alle Sektoren einer Volkswirtschaft hineinfrisst und negative Rückkopplungseffekte auslöst. Geschäfte können die Miete ihrer Gewerbeimmobilien nicht mehr zahlen, die Vermieter bekommen Probleme, ihre Hypotheken zu bedienen, die Nachfrage nach Immobilieneigentum geht zurück, Immobilienpreise sinken, Banken müssen Forderungen abschreiben und merken gleichzeitig, dass der Wert der Sicherheiten stark abgenommen hat. Und schließlich sind die Banken nur noch in geringerem Umfang bereit, neue Kredite an Unternehmen und Haushalte zu vergeben. Das ist nur ein einfaches Beispiel für einen Teufelskreis, der bei einem lange anhaltenden Stillstand sehr problematisch werden könnte. Deshalb ist es so wichtig, dass Bund und Länder die Unternehmen mit massiven Liquiditätshilfen stützen.

Wie unterscheiden sich die Folgen für große Konzerne, mittelständische Unternehmen und Solo-Selbstständige?

Alle Unternehmen leiden stark unter Krise. Kleinere KMU und vor allem Selbständige haben aber zusätzlich das Problem, dass sie oft nur geringe Liquiditätsreserven haben. Das macht sie jetzt besonders verletzlich. Auf der anderen Seite sind kleinere Unternehmen manchmal agiler. Sie bauen Lieferdienste auf, um ihre Kunden noch zu erreichen, oder sie stellen die Produktion um. Ein Beispiel ist ein bekannter schwäbischer Mittelständler, der normalerweise Sportkleidung produziert und nun in den Markt für Gesichtsmasken einsteigt. Solche Anpassungen fallen Großunternehmen oft schwer. Wenn Sie Autos produzieren und eine hoch spezialisierte Produktionsstrecke für ein bestimmtes Automodell haben, dann können Sie sich nicht plötzlich entscheiden, stattdessen Beatmungsgeräte herzustellen.

Was bedeuten die Entwicklungen für die Kunst- und Kulturszene?

Das wird zweifellos schwierig, weil man hier normalerweise auf die direkte Interaktion mit Kunden und Publikum angewiesen ist, die jetzt komplett wegfällt. Es gibt Betreiber von Konzert- und Veranstaltungshallen, die ohne staatliche Unterstützung in kürzester Zeit insolvent wären. Aber auch hier gibt es schnelle, kreative Anpassungen. Konzerte werden ohne Saalpublikum gespielt und online gestreamt, Galerien bauen sich schnell beeindruckende Internetpräsenzen auf, Vorträge und Seminare werden über Skype oder Zoom organisiert. Aber bei allen bemerkenswerten Versuchen der Anpassung bleiben die Verluste hoch und für viele bedrohlich.

Wie schätzen Sie die Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung ein?

Die Maßnahmen sind grundsätzlich sinnvoll, und die Geschwindigkeit, mit der sie konzipiert und beschlossen wurden, war bemerkenswert. Jetzt kommt es darauf an, mit den gegebenen Personalkapazitäten, die es z.B. bei der für die Umsetzung der Maßnahmen zentral wichtigen Kreditanstalt für Wiederaufbau gibt, die Mittel auch sehr schnell an die Empfänger zu bringen.

Wir sind in Deutschland mit einigen Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld ohnehin recht gut vorbereitet, um kürzere Krisen abzufedern, ohne dass es zu Massenentlassungen kommen muss. Dazu kommen nun direkte Liquiditätshilfen, die der Bund und auch die Länder an Unternehmen herausreichen. Diese sind wichtig, um Unternehmen als wirtschaftliche Organisationseinheiten zu erhalten. Zwar sind Insolvenzen in normalen Zeiten gesamtwirtschaftlich nicht schlimm, sondern normal und sogar nützlich. Aber in dieser medizinischen Krise sind plötzlich funktionierende Unternehmen mit plausiblen Geschäftsmodellen bedroht, weil ihnen kurzfristig die Liquidität wegbricht. Das durch staatliche Hilfen zu verhindern ist sinnvoll, auch um die oben angesprochenen negativen Rückkopplungseffekte in Grenzen zu halten.

Kritisch kann man anmerken, dass es doch noch Lücken in den Hilfsprogrammen gibt. Freiberufler, denen Umsätze massiv wegbrechen, werden beispielsweise bisher wenig unterstützt. Hier könnte noch einiges passieren. Aber die Politik selbst hält das Rettungspaket bisher wohl noch nicht für fertig konstruiert, so dass hoffentlich noch nachgebessert wird.

Problematisch kann auch sein, dass der neue Wirtschaftsstabilisierungsfonds sich falls nötig an einzelnen Unternehmen direkt beteiligen will. Wir wissen, dass es dem Staat oft schwerfällt, solche Beteiligungen nach einer Normalisierung der Lage wieder abzustoßen – denken Sie beispielsweise an die Beteiligung an der Commerzbank anlässlich der Finanzkrise. Eine zu große Nähe zwischen der Politik und einzelnen Unternehmen ist aber hoch problematisch, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Eleganter wäre es hier, die Unternehmen mit direkten Transfers zu stützen und diese Mittel nach der Krise z.B. über einen Aufschlag auf die Körperschaftsteuer wieder zurückzuholen.

Wie lange können die momentanen Beschränkungen wirtschaftlich toleriert werden?

Man kann hier keinen festen Termin angeben. Es geht immer um eine Abwägung. Wenn die medizinischen Kosten einer schnellen Normalisierung exorbitant hoch sind, dann wird man mit den ökonomischen Kosten eines längeren Lockdowns leben müssen, so schmerzhaft diese auch sind. Man kann bei dieser Abwägung aber berücksichtigen, dass die ökonomischen Kosten eines Lockdowns mit zunehmender Zeit nicht langsamer, sondern eher schneller ansteigen. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es, existierende Unternehmen und Wertschöpfungsketten zu erhalten. Wir sollten also darauf hoffen, dass die strikten Maßnahmen, die jetzt implementiert sind, die Infektionsraten schnell senken und dass anschließend hoffentlich mit weniger groben Interventionen gearbeitet werden kann – etwa nach dem Vorbild Südkoreas.

Welche langfristigen Auswirkungen befürchten Sie? Kann in die wirtschaftliche Situation von vor der Krise zurückgekehrt werden? Wenn nein, warum nicht?

Man kann einen längerfristigen Lockdown mit entsprechend schwerwiegenden Auswirkungen nicht ausschließen. In dem Fall würde eine Normalisierung auch lange dauern. Es würde Jahre (aber nicht Jahrzehnte) dauern, bis wir das BIP von 2019 wieder erreichen. Das wahrscheinlichste Szenario, auch wenn man mit Epidemiologen spricht, ist aber, dass wir spätestens im Frühsommer aus der aktuellen Situation herauskommen und das öffentliche Leben langsam wieder normaler wird. Der vorsichtige Optimismus des Sachverständigenrates scheint also begründet, dass wir kein katastrophales Szenario sehen werden und im zweiten Halbjahr 2020 schon wieder ein wachsendes BIP sehen.

Auf jeden Fall würde ich vor Systemdiskussionen warnen. Wir haben hier eine Wirtschaftskrise, die von einem medizinischen Ausnahmezustand und den notwendigen politischen Reaktionen auf diesen verursacht wurde. Daraus ist rational keine Kritik an der marktwirtschaftlichen Ordnung abzuleiten. Es gibt in der öffentlichen Diskussion natürlich jetzt einige Forderungen, etwa eine "Postwachstumsökonomie" als Alternativmodell zur Marktwirtschaft zu implementieren. Das ist aber reine Esoterik, die mit wissenschaftlicher Volkswirtschaftslehre nichts zu tun hat.

Was können Sie zu den Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft in der Lausitz und das angepeilte Tempo für den Strukturwandel sagen?

Wenn zum Strukturwandel eine umfassende Konjunkturkrise dazu kommt, macht es die Sache nicht leichter. In der Lausitz muss sich die Unternehmenslandschaft in den kommenden Jahren verändern. Es bräuchte neue Gründungen, bestehende KMU müssten wachsen und im Umfeld der gerade neu etablierten Forschungsinstitute sollten sich idealerweise auch kleine Cluster von innovativen, forschungsorientierten Unternehmen bilden. Das ist schon in normalen Zeiten eine Herausforderung. Aber Neugründungen und solides Unternehmenswachstum würden in einer tiefen Krise, in der sich z.B. auch die Finanzierungsbedingungen verschlechtern würden, noch schwieriger. Wenn es bei dem wahrscheinlichsten Szenario einer schnellen makroökonomischen Erholung bleibt, wird es den Strukturwandel in der Lausitz aber nicht dauerhaft negativ beeinflussen.

Die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen werden wiederholt mit der Bankenkrise vor etwa 10 Jahren verglichen. Sind derartige Vergleich sinnvoll?

Der Vergleich trägt nur, soweit man sich den Verlauf der BIP-Kurve ansieht. Der schnelle Absturz der Wirtschaftsleistung ist durchaus ähnlich – und hoffentlich auch die schnelle Erholung. Ansonsten haben wir hier eine völlig andere Situation. Schon die Ursachen sind anders. Wir haben heute das, was Ökonomen einen vollständig exogenen Schock nennen. Das BIP schrumpft, weil ganz und gar nicht-ökonomische Einflussfaktoren die Rahmenbedingungen so ändern, dass dies die logische Folge ist. Die Krise folgt aber diesmal aus keinerlei Fehlverhalten oder Fehlanreizen im ökonomischen System selbst. Und auch die politische Reaktion ist anders. Während damals vor allem die Banken gerettet werden mussten, geht es jetzt darum, die Liquidität im Nicht-Finanzsektor zu stützen. Insofern sind Vergleiche mit der Finanzkrise eigentlich nur wenig sinnvoll.