Jede dritte Frau in Deutschland wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher und/oder sexueller Gewalt

Prof. Dr. Sylvia Sacco leitet an der BTU Cottbus-Senftenberg das Fachgebiet Management in Gesundheits- und Sozialorganisationen. Sie forscht zum Thema "Häusliche Gewalt". Im Interview gibt sie Einblicke in ihre Forschungen zu körperlicher und sexualisierter Gewalt an Frauen.

Jede dritte Frau in Deutschland wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher und/oder sexueller Gewalt in ihrer aktuellen oder früheren Beziehung. Welche Faktoren begünstigen häusliche Gewalt?

Prof. Sylvia Sacco: Für die Beantwortung sind die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:
In der Makroebene: Grundsätzlich stellen die Machtstrukturen in unserer Gesellschaft den Nährboden dar, auf dem Gewalt wächst. Häusliche Gewalt ist nicht an bestimmte Milieus oder an den Bildungsstatus gebunden, es kann die Akademikerin ebenso wie die Raumpflegerin betreffen. Allerdings zeigt die Forschung, dass ein höherer Status der Frau gegenüber ihrem Partner, die Gewaltwahrscheinlichkeit signifikant erhöht.

In der Mikroebene, also in der Familie bzw. in einer Paarbeziehung befinden sich Risikofaktoren für Gewalt, wie:

  • Erfahrung familiärer Gewalt in der Herkunftsfamilie. ...
  • Soziale Benachteiligung der Familie. ...
  • Besitzansprüche/Besitzdenken des Mannes gegenüber der Partnerin
  • Allgemeine Entwicklungsprobleme. ...
  • Schlechte Zukunftsaussichten. ...
  • Alkoholkonsum
  • Orientierungslosigkeit in der Sozialisation. ...
  • Kinder erhöhen das Risiko für Gewalt
  • Intensive Mediennutzung (da Gewalt in den Medien als "normal" dargestellt bzw. verherrlicht wird).

Häusliche Gewalt eskaliert oft über Konflikte, zum Beispiel:

  • Kontrollverhalten
  • Eifersucht
  • Sexuelle Ansprüche 
  • Kinderbetreuung und Erziehung
  • Differenzen zur Hausarbeit
  • Differenzen zu finanziellen Angelegenheiten....

Frau Prof. Sacco, Sie forschen zur monetären Perspektive der Gewalt. Wie hoch beziffern Sie die Kosten häuslicher Gewalt?

Prof. Sylvia Sacco: Die Gesamtsumme, bestehend aus den direkt tangiblen (Sofortkosten) und indirekt tangiblen Kosten (Transferkosten), die für Deutschland ermittelt wurde, beträgt 3,8 Milliarden Euro pro Jahr. Berechnet auf alle Personen im erwerbsfähigen Alter (von 18 bis 65 Jahren) ergibt sich ein Wert (als Untergrenze) von mindestens 74 Euro pro Person und Jahr. Zusätzlich, zu den direkt tangiblen Kosten von jährlich 1.043,8 Millionen Euro und den indirekt tangiblen Kosten von jährlich 2.756,5 Millionen Euro, kommen noch die auf den Lebenszeitraum bezogenen, intangiblen Kosten von 17.975,8 Millionen Euro hinzu (für Invalidität, vorzeitiger Tod und Schmerzen). Bei den ausgewiesenen Kosten dieser Kostenstudie (Sacco 2017) konnte allerdings nur die Spitze eines Eisberges sichtbar gemacht werden. Die tatsächlichen Kosten sind weit höher, da aufgrund des Fehlens von Datenbanken nur ein Teil der Kosten erfasst werden konnte.

Was braucht es politisch, um den Weg, den Sie sich wünschen, weiter vorwärts zu bringen?

Prof. Sylvia Sacco: Wir brauchen die konsequente Ächtung von Gewalt allgemein sowie auch speziell von Paargewalt in der Gesellschaft, in der Politik und in den Medien. Gefragt ist die Rückführung zu einer Kultur des friedlichen, freundlichen und von Verständnis und Liebe geprägtem Zusammenlebens. In der christlichen Abendlandkultur ist die Verankerung von Schutz und Liebe als Grundkonstrukt für die Ehe vielfach ausgeführt und gegeben.

Welchen Rat können Sie Menschen geben, die sich in gewalttätigen Beziehungen gefangen fühlen und keinen Ausweg mehr sehen?

Prof. Sylvia Sacco: Betroffene Frauen bzw. Frauen, die Betroffene kennen, können sich im Internet, beispielsweise über die Seiten der Frauenhauskoordinierung umfassend informieren und die nächsten Beratungsstellen oder ein Frauenhaus darüber finden. In der Beratungsstelle kann dann, konkret auf die individuelle Situation bezogen, Hilfe erfolgen. Diese Seite sieht auch eine Löschung der Daten im Browser vor, damit es nicht zu weiteren Problemen kommt. Selbstverständlich sollte in akuter Gefahr sofort die Polizei alarmiert werden. Diese ist in der Regel speziell geschult und ist zum Schutz der Frauen und Kinder schnell vor Ort.


 

 

Kontakt

Prof. Dr. rer. pol. Sylvia Sacco
Management in Gesundheits- und Sozialorganisationen
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