Entwurf von "freigeformten", hauptsächlich druckbeanspruchten Stahlbetonschalen als Dachkonstruktion für ein bestehendes Berliner Bürogebäude unter Einbeziehung nichtlinearer FEM-Berechnungen

Diplomarbeit an den Lehrstühlen Bautechnikgeschichte und Tragwerkslehre, verfasst von Frank Ohm im Winter 2002/2003

Das ehemalige Mode- und Geschäftshaus „Valentin Manheimer“ in Berlin war 1889-91 im Stil französischer Kaufhausarchitektur errichtet worden und steht heute unter Denkmalschutz. Das Tonnendach bestand aus bogenförmigen Blechbindern, die mit gekrümmten Eisenbetonplatten eingedeckt waren. Diese „Eisenbetonschalen“ – als „Schale“ zu bezeichnen zumindest in geometrischer Hinsicht – zählen zu den ältesten Zeugnissen für die Einführung der Eisenbetonbauweise in Berlin. Nach der Wende wurde das Gebäude aufgestockt und mit einem neuen Dach versehen. Ausgeführt worden ist eine architektonisch markante Stahl-Glas-Konstruktion. Verworfen wurde dagegen die Idee, mit einer einachsig gekrümmten Stahlbetonplatte das Motiv der historischen „Eisenbetonschalen“ aufzugreifen.

Alternativ dazu entwirft diese Arbeit eine „tatsächliche“ Stahlbetonschale, welche den Lastabtrag hauptsächlich über den Membranspannungszustand bewerkstelligt und daher die Bezeichnung „Schale“ auch im statischen Sinne verdient. Angestrebt wird dabei eine überwiegend druckbeanspruchte Schalenform mit einem günstigen Lastabtrag. Entwicklung und Optimierung einer derart geeigneten Form bilden daher auch den Schwerpunkt dieser Arbeit.

Zur Formfindung kamen Hängeversuche zur Anwendung. Das dieser Methode zugrundeliegende Prinzip besagt, dass ein Tuch oder ein vergleichbares flexibles und flächiges Material in Abhängigkeit von Lagerung und Belastung eine bestimmte, dreidimensionale Form annimmt. Es treten dabei nur Zugsspannungen auf. Wird die sich derart einstellende Form fixiert und um 180° gedreht, entsteht bei gleichgerichteter Belastung eine (theoretisch) „reine“ Druckbeanspruchung.

Die Hängeversuche sind sowohl experimentell an einem physikalischen Modell als auch numerisch in einer Computerberechnung durchgeführt worden. Die experimentelle Formfindung erfolgte mit einem Holzmodell des Dachgeschosses im Maßstab 1:50. Dazu wurde mit Epoxidharz getränkter Verbandsmull an das umgedrehte Modell gehängt. Nach dem Aushärten ließ sich die Modellschale abnehmen. Experimentiert wurde mit verschiedenen Aufhängepunkten und Stoffzuschnitten. Die Vorzugsvariante fand Eingang in die numerische Formfindung. Diese ist im Grunde eine geometrisch-nichtlineare FEM-Berechnung; die Schalenform bildet sich dabei durch sehr große Dehnung aus einer im Ausgangszustand ebenen Gummimembran aus. Über die Vorgabe der Netzgeometrie im Ausgangszustand sowie die Variation etlicher weiterer Parameter lässt sich Einfluss nehmen auf die Ausbildung der Schalenform.

Die endgültige Form wurde, als Stahlbetonschale „materialisiert“, einer Vorbemessung unterzogen. Es zeigte sich, dass die Schale unter Eigengewicht und dem der Eigengewichtsrichtung verwandten Lastfall Schnee in der Tat weitestgehend druckbeansprucht ist. Dies erklärt sich insofern, als anhand dieser Belastungsrichtung die Schalenform gefunden worden ist. Davon abweichende Belastungen wie die Windbeanspruchung führen jedoch zu erheblichen Biegemomenten und damit auch Zugspannungen. Die gefundene, dreigliedrige Schalenform erwies sich hierbei zunächst als nachteilig, da sich innerhalb der Schale Einspanneffekte ähnlich eines Durchlaufträgers über drei Felder ergeben. Auf die Stabilität, welche in einer Traglastiteration am vorverformten System untersucht worden ist, hatte die Schalenform jedoch eine positive, versteifende Wirkung.

Der Lastabtrag im Gebäude, insbesondere des Horizontalschubes, gestaltet sich aufgrund der vorliegenden Randbedingungen als schwierig und wurde in dieser Arbeit nur konzeptionell untersucht.