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Beziehungsgefüge von Technik und Natur

Astrid Schwarz - 5.7.2018 (zitiert 2.9.2021)

Zitiert aus
Schwarz, A., Beziehungsgefüge von Technik und Natur. Antrittsvorlesung BTU Cottbus-Senftenberg, Fakultät 5. Manuskript 5.7.2018.


In der Lehre setzen wir uns ein für ein fachübergreifendes und problemorientiertes Studium, für transparente Abläufe und eine enge Verschränkung von Forschung und Lehre. Im Rahmen der Reorgansiation der beiden Studiengänge Kultur und Technik erarbeiten wir in der Studiengangskommission Reform KuT den neuen Masterstudiengang „Environmental Humanities“. Die Reihe der Sommervorträge im IKMZ ist der Auslotung eben dieses Forschungsfeldes gewidmet. In diesem Sinne möchte ich Sie nun einladen mit mir Überlegungen anzustellen zum Beziehungsgefüge von Technik und Umwelt als Fokus einer Umwelthumanwissenschaft an der BTU. Was ist der springende Punkt bei diesem Unternehmen?

Das Punktum saliens ist eine Redewendung und Denkfigur, die bis in die Anfänge unserer Philosophiegeschichte zurückreicht, also bis in die griechische Antike um etwa 350 v. Chr. Aristoteles hat damit jenen dunklen Fleck bezeichnet, der nach ungefähr vier Tagen in einem bebrüteten Vogelei sichtbar wird, auftaucht und immer wieder verschwindet in einer permanent pulsierenden Bewegung. Und möglicherweise hat er dieselbe Technik verwendet, der wir diese Bilder verdanken, das sogenannte Eier schieren oder egg candling, also das Durchleuchten befruchteter Eier. In seiner Tiergeschichte schreibt Aristoteles: „Und ähnlich einem blutigen Fleck in dem Weißen erscheint das Herz. Doch dieses Mal daher hüpfend und bewegt, gleich wie beschenkt mit Leben.“ Der springende Punkt bezeichnet bei Aristoteles den dramatischen Sprung vom Nichts ins Leben, er ist ganz buchstäblich das Herz einer Sache, ihr innerer Kern. Ein solcher Sprung ist das Gegenteil von Kontinuität, keine Mikro-Evolution, kein allmählicher, schrittweiser Fortschritt, sondern eine sprunghafte Entwicklung. Ein solcher Sprung ist grundsätzlich auch mit Unsicherheit und Risiko behaftet, ein Sprung hat etwas mit Energie zu tun, mit Überwindung von Konventionen, von Gewohnheiten und Üblichkeiten. Findet kein Sprung statt, sei es inhaltlich, also in dem was erzählt wird, sei es formal-ästhetisch in dem wie erzählt wird, so bewegt man sich weiter in einem bestehenden Muster und bleibt gewissermaßen stehen. Findet hingegen ein Sprung statt, egal ob in Technik, Wissenschaft oder Kunst, dann impliziert dies ein Höchstmaß an Innovationscharakter, der, ganz wie der konkret phänomenologisch beschriebene Sprung, von einem Feld sozusagen wegspringt an einen neuen Ort, in ein neues Feld hinein. Was ist nun der springende Punkt der Environmental Humanities? An welchen intellektuellen Ort, in welches Feld wird hier gesprungen, welche Aufmerksamkeiten werden generiert und welche Themen entdeckt, kurzum, welches heuristische Spiel wird gespielt, wenn wir uns auf Überlegungen zum Beziehungsgefüge von Technik und Umwelt aus der Perspektive der Environmental Humanities einlassen.