Entstehung der Neuen Leipzig-Charta mit besonderem Fokus auf den Dialogprozess auf Basis des Multi-Level-Governance-Ansatzes

Wie hat der nationale und europäische Dialogprozess unter Einbeziehung von Akteuren aus unterschiedlichen Ebenen und Fachbereichen die Entstehung der Neuen Leipzig-Charta beeinflusst?

Städte als Zentren der Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Innovation befinden sich ständig im Wandel und sind gesellschaftspolitischen Herausforderungen unterworfen. Zwar haben soziale, ökologische und wirtschaftliche Probleme oft eine globale Natur, müssen aber lokal erfasst werden. Die Lösung von solchen komplexen Aufgaben verlangt nach einer ebenen- und bereichsübergreifenden Zusammenarbeit zahlreicher Akteure. So eine Kooperation kann durch den Ansatz der Multi-Level Governance gefördert werden, wobei durch Integration der lokalen und regionalen Ebenen ein breites Spektrum an städtischen Kompetenzen in nationale und europäische Entscheidungsprozesse einbezogen werden kann. Dies ist nicht nur bei der Umsetzung von Konzepten und Projekten maßgeblich, sondern bereits bei der Entwicklung von Strategien und Leitlinien entscheidend.

Als strategisches Leitdokument gab die Leipzig-Charta 2007 zahlreiche Impulse zur Förderung der integrierten und nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik in Europa. Doch ein Jahrzehnt nach ihrer Verabschiedung drängten veränderte Rahmenbedingungen zur Notwendigkeit ihrer Fortschreibung. Als wesentlicher Bestandteil in der Entstehung der Neuen Leipzig-Charta wurde der Dialogprozess auf nationaler und europäischer Ebene (Abb. 1) gezielt auf Basis des Multi-Level-Governance-Ansatzes konzipiert.

So entstand das Interesse, die Rolle des Dialogprozesses zur Einbeziehung der Akteure aus verschiedenen Ebenen und Fachbereichen bei der Entwicklung der Neuen Leipzig-Charta zu analysieren. Zu diesem Zweck wurden im Kern der Arbeit folgende Fragestellungen untersucht:

  • Wie haben die Struktur und der Ablauf des Dialogprozesses zur
    Entstehung der Neuen Leipzig-Charta beigetragen?
  • Spiegeln die Akteurskonstellationen des nationalen und europäischen
    Dialogprozesses den Multi-Level-Governance-Ansatz wider?
  • Welchen Einfluss hatten Akteure aus verschiedenen Ebenen und Fach-
    bereichen auf die thematische Entwicklung der Neuen Leipzig-Charta?

Im ersten Teil der Arbeit erfolgte eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen der Multi-Level Governance und der Leipzig-Charta 2007 sowie dem Prozess ihrer Fortschreibung. Zur empirischen Untersuchung der Fragestellungen wurde die Analyse des Dialogprozesses, der Akteurskonstellationen sowie der thematischen Entwicklung des Leipzig-Charta-Dokumentes durchgeführt (Abb. 2). Die vertikale und horizontale Einbeziehung der Akteure wurde auf Basis des Konzeptes der Multi-Level Governance analysiert (Abb. 3, 4), wobei die beteiligten Institutionen politischen Ebenen und Fachkategorien zugeordnet wurden. Durch die Anwendung der empirischen Methode der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse auf die Sitzungsprotokolle sowie acht Leipzig-Charta-Entwürfe, konnte der Einfluss der Teilnehmer*innen auf die thematische Fortschreibung des Dokumentes gezeigt werden (Abb. 5). Anschließend wurden die gewonnenen Erkenntnisse anhand von Interviews mit deutschen und europäischen Experten überprüft.

Im Rahmen dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass der Dialogprozess auf Basis des Multi-Level-Governance-Ansatzes sowie seine Durchführung auf zwei – europäischen und deutschen - Sitzungsebenen zur erfolgreichen Konsensfindung zwischen hunderten von Teilnehmer*innen staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen sowie zur grenzüberschreitenden Kooperation und fachlichen Austausch aller politischen Ebenen führte (Abb. 6). Trotz der ungleichmäßig starken Vertretung der beteiligten Fachbereichen und Ebenen sowie der Abwesenheit aus der Sicht der Experten wichtiger Akteure im Prozess, konnten die für das Dokument relevanten Themen, Prinzipien und Instrumente unter Berücksichtigung der Interessen der EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam erarbeitet werden. Somit entstand mit der Neuen Leipzig-Charta ein strategisches Dokument zur europäischen Stadtentwicklung, das nicht nur für, sondern auch mit europäischen Städten konzipiert wurde.

Bild 1: Dialogprozess zur Neuen Leipzig-Charta

Der etwa zweijährige Dialogprozess zur Entwicklung der Neuen Leipzig-Charta wurde sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Sitzungsebene durchgeführt. Die relevanten Prinzipien, Trends und Themen sowie die Struktur, Aufbau und der Inhalt der Zwischenstände wurden zusammen mit verschiedenen Akteuren in elf Sitzungen diskutiert und zu einem fertigen Dokument erarbeitet.

Bild 2: Analyseschritte

Die gesamte Analyse gliedert sich in fünf Schritte: Zu Beginn wurde ein Überblick über den gesamte Dialogprozess gegeben. Anschließend wurden unter Anwendung des Multi-Level-Governance-Ansatzes die Akteurskonstellationen näher beleuchtet, um im 3. Schritt die thematische Entwicklung des Dokumentes anhand der acht Leipzig-Charta-Entwürfe näher zu erforschen. Die gewonnenen Ergebnisse wurden ausgewertet sowie visualisiert und im fünften Schritt in den Interviews mit deutschen und europäischen Experten überprüft.

Bild 3: Analyse der Akteure auf Basis des Multi-Level-Governance-Ansatzes

Um einen Überblick über die am Prozess beteiligten Institutionen zu verschaffen, wurden die beteiligten Institutionen der europäischen und deutschen Dialogprozesssitzungen Akteurskategorien/Fachkategorien zugewiesen (z. B. Regierungseinheiten wie Kommunen, Fachbereiche wie Forschung) sowie sechs Ebenen (lokal bis global sowie ebenenübergreifend) festgelegt.

Bild 4: Ergebnisse der Akteursanalyse nach Ebenen und Fachkategorien (nationale Sitzungen)

Die Analyse der nationalen Sitzungen zeigte, dass eine relativ breite Mischung aus unterschiedlichen staatlichen sowie nichtstaatlichen Interessensvertreter*innen sich hauptsächlich auf die drei Ebenen national, regional und lokal verteilten sowie ein großer Anteil an ebenenübergreifenden Akteuren diese ergänzte. Die Kategorie der Verbände (ca. 26 %) war am stärksten vertreten, gefolgt von Ministerien des Bundes (ca. 19 %) sowie Vertretern von Forschungseinrichtungen (ca. 19 %).

Bild 5: Zwischenergebnis: Themenentwicklung im Teil B „Die transformative Kraft der europäischen Städte“ der Neuen Leipzig-Charta

Im Rahmen der Analyse der Themenentwicklung wurde der Einfluss der Akteure aus unterschiedlichen Dialogprozesssitzungen, Fachbereichen und Ebenen auf die vier Teile (A, B, C, D) des Dokumentes untersucht. Im Teil B, der eine Vielfalt an städtischen Themen der „europäischen Stadt“ beinhaltet, lässt sich ein besonders starkes Engagement der lokalen, nationalen und EU-Ebenen, insbesondere der Kategorie Forschung (u. a. Universitäten) sowie Verbände (u. a. Kommunal- und Regionalverbände) erkennen.

Bild 6: Schlussfolgerungen der Analyse

Die in der Arbeit gewonnenen Ergebnisse aus der Analyse der Akteurskonstellationen sowie deren Einfluss auf die thematische Entwicklung des Dokumentes weisen den überwiegenden Erfolg des Dialogprozesses nach. Die Einbeziehung der zahlreichen Ebenen und Fachbereiche ermöglichte es, das Dokument in einer breiten grenzübergreifenden Kooperation unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen und Herausforderungen zu erarbeiten.