Entwicklung eines virtuellen Triebwerks Sicherheit in der Luft- und Raumfahrt durch die Optimierung von Triebwerken

Effizient, umweltfreundlich und leistungsfähig – zu den großen Herausforderungen der Luftfahrtindustrie gehört die Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs, des Gewichts und der Emissionen. Im Rahmen des seit zehn Jahren bestehenden University Technology Centres (UTC) "Multidisciplinary Process Integration" an der BTU Cottbus–Senftenberg arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interdisziplinär und gemeinsam mit Rolls-Royce an der Optimierung von Triebwerken und ihren Entwicklungsprozessen.

Neue Materialien und Fertigungsverfahren für künftige Triebwerke ermöglichen die Umsetzung von mehr Energie auf kleinstem Raum. Triebwerke können damit leichter und kostengünstiger gebaut werden. Das Verhalten einzelner Bauteile in der Praxis muss bereits in der Entwicklung genau vorhergesagt werden können. In immer weniger Komponenten innerhalb des Triebwerks müssen mehr Funktionen gebündelt werden. Die Herausforderung besteht darin, aus den zum Teil gegensätzlichen Teillösungen für einzelne Anforderungen die bestmögliche Lösung zu finden, damit teure Versuche reduziert und die Entwicklungszeit deutlich verkürzt werden können. Dazu bedarf es hochspezialisierter Fachkräfte in den einzelnen Teil-Disziplinen wie der Aerodynamik, Festigkeit, Fertigung und Triebwerksingenieure, die das gesamte Produkt und seine Anwendung im Fokus haben.

Unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Arnold Kühhorn arbeiten die Experten im Fachgebiet Strukturmechanik und Fahrzeugschwingungen an der Optimierung der Verdichter-Räder in Turbomaschinen. Sogenannte Blade Integrated Disks (kurz Blisks) bestehen im Gegensatz zu bisher genutzten Technologien aus nur einem Bauteil. Der Vorteil: Das Gewicht kann deutlich reduziert, die Leistung erhöht und der Montage-Aufwand verringert werden. Nachteil: Bricht ein solches Verdichter-Rad zum Beispiel infolge einer Material-Ermüdung, kann die gesamte Turbine Schaden nehmen und teure Reparaturen zur Folge haben. Daher müssen die Belastungsgrenzen der Bauteile exakt berechenbar sein. Die Forscherinnen und Forscher der BTU untersuchen, inwieweit Blisks in der Anwendung von der Theorie abweichen. Abweichungen entstehen beispielsweise durch Ungenauigkeiten in der Fertigung oder die Inhomogenität der Materialien. Daraus resultierende Schwingungen führen zu einer höheren Belastung (Mistuning) der Bauteile in der Praxis. In der Entwicklung müssen sie daher exakt abgebildet werden können, um die Grenzen der Technologie abschätzbarer zu machen. Zu diesem Zweck haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbesserte Algorithmen zur Analyse von Daten für "Blade Tip Timing" (BTT) entwickelt. Mit Hilfe dieser Analyse-Methode können Schwingungen automatisiert berührungslos erfasst und auftretende aeroelastische Phänomene an den Verdichter-Rädern umfangreich analysiert und ausgewertet werden. Die Ergebnisse fließen anschließend in die 3D-Visualisierung ein.

Virtual Reality-System zur Visualisierung technischer Daten

Mit Hilfe eines innovativen Virtual Reality-Systems des Fachgebiets Medientechnik unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Christian Hentschel können Triebwerke und Prozesse detailgetreu in Echtzeit dargestellt und dokumentiert werden. In einer innovativen lichtstarken 3D-Projektion wird es über eine Gestensteuerung ohne Hilfsmittel wie Joystick oder spezielle Handschuhe möglich sein, Einzelteile des Triebwerks interaktiv zu entnehmen, zu bearbeiten und wieder einzufügen. Eine Tracking-Technologie verfolgt die Augenbewegungen der Nutzer und richtet die 3D-Darstellung daran aus. Durch die detailreiche Darstellung des Triebwerks können Entwicklungsingenieure umfangreiche technische Daten auf einen Blick erfassen und Prozess-Ergebnisse schnell bewerten. Ziel ist es, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten in Echtzeit an ein und derselben Entwicklung arbeiten und sich darüber austauschen können. Damit können Zeit und Reisekosten eingespart werden.

Optimierung von Triebwerks-Komponenten in kürzester Zeit

Eine Anforderung an Triebwerkshersteller ist es, die Vorgaben von Flugzeug-Produzenten innerhalb kürzester Zeit auf ihre Machbarkeit zu überprüfen. Eigenschaften wie Gewicht, Wirkungsgrad, Lebensdauer oder Kosten müssen so kombiniert werden, dass sie optimal auf die Anforderungen des Herstellers abgestimmt sind. Mit der Integration der automatisierten Bewertung verschiedener Konzepte in den Arbeitsablauf des Ingenieurs befasst sich das Fachgebiet Technische Mechanik und Fahrzeugdynamik. Unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Dieter Bestle entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der BTU automatisierte Verfahren, die dem Entwurfsingenieur die zeitintensive Suche nach der optimalen Lösung zur Reduzierung des Gewichts und zur Steigerung von Effizienz und Lebensdauer einer Turbine abnehmen.

Für einen optimierten Entwurf eines Triebwerks ist es erforderlich, die einzelnen Komponenten nicht isoliert zu betrachten. Um eine gute Abstimmung des gesamten Triebwerks zu erreichen, müssen sie in ihrer Interaktionen untersucht werden. Unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Klaus Höschler entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachgebiet Flug-Triebwerksdesign unter anderem die automatisierte Erzeugung von Konstruktionsplänen für das Gesamttriebwerk.

Sicherung einer einheitlichen, qualitativ hochwertigen Datenbasis

Die Grundlage optimierter Abläufe im Unternehmen sind belastbare Daten. Doppelte und fehlerhafte Datensätze hemmen die Prozesse und stellen getroffene Entscheidungen in Frage. An einem soliden Daten-Management-Werkzeug arbeitet das Fachgebiet Industrielle Informationstechnik unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Irene Krebs. Mit einer einheitlichen, qualitativ hochwertigen Datenbasis können Nutzer ihre Daten schnell analysieren und damit rechtzeitig auf Markt-Tendenzen reagieren.

Das University Technology Centre (UTC)

Als erste deutsche Forschungseinrichtung erhielt die BTU Cottbus–Senftenberg im April 2005 den Status "University Technology Centre". Damit ist die Universität in das weltweite Netzwerk des Triebwerksherstellers Rolls-Royce eingebunden. Rolls-Royce hat wesentliche Teile der Forschung und Technologie-Entwicklung an ausgesuchte Professorengruppen renommierter Hochschulen übertragen. Zu ihnen zählen auch die Universitäten Oxford und Cambridge. Für diese UTC’s wurden thematisch abgestimmte Forschungseinheiten mittel- bis langfristig vereinbart. An der BTU Cottbus–Senftenberg werden zehn Promotionsstellen und eine Habilitationsstelle gefördert. Akademisch betreut werden die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler von fünf Professoren und sieben Mitarbeitern der Universität. Um die Praxistauglichkeit der entwickelten Methoden sicher zu stellen, werden diese zusätzlich durch elf Triebwerksexperten beim Industriepartner Rolls-Royce beraten. Die Förderung der BTU erfolgt mit Mitteln der Europäischen Union durch das Ministerium für Wirtschaft und Energie (MWE) Brandenburg, der Industriepartner wird mit Bundesmitteln im Rahmen des "Luftfahrtforschungsprogramms 5" gefördert.