Entwerfen im System – Der Architekt Wilfried Stallknecht Ein Ausstellungsprojekt Anke Kuhrmann

Die „Stararchitekten“ der DDR stehen auch heute noch – 20 Jahre nach dem Mauerfall – im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit: Hermann Henselmann, Richard Paulick, Hanns Hopp sind jene Namen, die im Zusammenhang mit dem Bauen in der ehemaligen DDR immer wieder fallen; jüngere Architekturinteressierte nennen vielleicht noch den Architekten der spektakulären Schalenbauten, wie dem Teepott in Warnemünde: Ulrich Müther. Doch die Architektur- und Baugeschichte der DDR wurde von zahlreichen Protagonisten geprägt, die in der Öffentlichkeit weit weniger bekannt sind und auch von der Forschung kaum beachtet werden. Gerade diese Akteure aus der zweiten Reihe bestimmten aber das Baugeschehen und die Wirklichkeit der DDR-Architektur und noch heute prägen ihre Projekte das Gesicht der Städte im Osten Deutschlands. Architekten, Stadtplaner und Denkmalpfleger gehen tagtäglich mit dem baulichen Erbe der DDR um: es wird umgebaut, weitergebaut, saniert und renoviert, aber oft genug auch qualitätvolle Architektur durch Eingriffe entstellt oder vollständig abgerissen, um Platz für profitablere Bauten zu schaffen, wie im Fall der Cottbuser Stadtpromenade: das denkmalgeschützte Ensemble der 60er-Jahre wurde durch weitgehende Abrisse zerstört, um dort ein großflächiges Einkaufszentrum zu errichten. Anlässe genug, Architektur und Städtebau der DDR zum Thema einer Lehrveranstaltung zu machen, um durch die architekturhistorische Auseinandersetzung Qualitäten und Werte von Bauten und ganzer Ensembles zu erkennen und so ein Verständnis für den verantwortungsvollen Umgang mit dieser gebauten Geschichte zu schaffen.

Im Rahmen eines studentischen Projektes wurde im Wintersemester 2008/2009 exemplarisch das Werk Wilfried Stallknechts untersucht. Stallknecht spielt für die Baugeschichte der DDR eine wichtige Rolle: als Architekt, Stadtplaner, Innenraum-Gestalter und Möbel-Designer war er nicht nur wesentlich an der Entwicklung der Plattenbauserien P 2 und WBS 70 beteiligt, mit denen ein Großteil des Massenwohnungsbaus in der DDR realisiert wurde, sondern gestaltete Bauten, wie den inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Wohnkomplex am ehemaligen Leninplatz in Berlin (Abb. 1). Als Stadtplaner war Stallknecht mit seinem Kollektiv verantwortlich für die umstrittene Neugestaltung der historischen Innenstadt von Bernau als „sozialistische Musterstadt“. Sein innenarchitektonisches Hauptinteresse galt vor allem der Entwicklung variabler Wohnungsgrundrisse und flexiblem Mobiliar für den industriellen Wohnungsbau.

Konzipiert wurde die Lehrveranstaltung gemeinsam von dem Lehrstuhl Denkmalpflege der BTU Cottbus und den Wissenschaftlichen Sammlungen des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner. Dort befindet sich ein umfassendes Archiv zur ostdeutschen Planungsgeschichte mit zahlreichen Vor- und Nachlässen – so auch dem Vorlass von Wilfried Stallknecht. Der Lehrstuhl für Denkmalpflege widmet sich in verschiedenen Forschungszusammenhängen Aspekten der DDR-Baugeschichte und macht diese auch immer wieder zum Gegenstand von Lehrveranstaltungen.

Annäherung an Leben und Werk Wilfried Stallknechts

Wilfried Stallknecht – wer ist das eigentlich und welche Projekte gehen auf ihn zurück? Diese Fragen standen am Anfang der Lehrveranstaltung, deren Ziel es war, innerhalb eines Semesters eine Ausstellung zu dem bisher vorrangig in der Fachwelt bekannten Architekten zu erarbeiten. Studierende der Architektur sowie der Masterstudiengänge Bauen & Erhalten und Architekturvermittlung suchten ein Semester lange Antworten auf diese Fragen, um sie abschließend einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Das Projekt bot den Studierenden die seltene Möglichkeit eine Ausstellung vom Anfang bis zum Ende selbst zu gestalten: von der Erarbeitung der Inhalte über die Konzeption ihrer Vermittlung, die Entwicklung und Umsetzung der Ausstellungsarchitektur, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu dem wenig sinnlichen, aber doch grundlegend notwendigen Nachdenken über die Finanzierung und damit dem Einwerben von Sponsorengeldern.

Zu Beginn des Seminars setzten die Studierenden sich mit Leben und Werk Wilfried Stallknechts auseinander. In Vorbereitung der späteren Ausstellungseinheiten beschäftigten sie sich einzeln oder zu zweit mit einem Werkkomplex Stallknechts. Für die Recherche wurde vor allem das Vorlassmaterial des Architekten in Erkner gesichtet und ausgewertet. Für manche Studierende war es der erste Kontakt mit einem Archiv und dem wissenschaftlichen Arbeiten mit den dort vorgehaltenen Unterlagen. Aufgabe der Studierenden war es, die Informationen aus zeitgenössischen Zeitschriften und Publikationen, Entwurfs- und Wettbewerbsunterlagen sowie Aufzeichnungen Stallknechts zusammenzufassen und – bereits im Hinblick auf die spätere Ausstellung – relevantes Bildmaterial sowie Objekte auszuwählen.

Die Kontextualisierung der Stallknechtschen Projekte in die Baugeschichte der DDR stellte eine besondere Herausforderung für die Studierenden dar. Sie mussten hierzu in die allgemeine – im letzten Jahrzehnt beträchtlich angewachsene – Literatur zur DDR-Planungs- und Baugeschichte einsteigen. Einfacher hatten es da zwei Bauen & Erhalten-Studentinnen, die noch selbst als Architektinnen in DDR-Planungsbetrieben gearbeitet hatten; sie konnten als Zeitzeuginnen von ihren Erlebnissen und Erkenntnissen erzählen und den anderen Einblicke in strukturelle Abläufe geben.

In Einzelvorträgen präsentierten die Studierenden ihre Ergebnisse, sodass es im Laufe von sechs Wochen möglich war, sich ein Bild von dem Architektenleben Stallknechts zu machen, aber auch aufschlussreiche Informationen über die Architekturgeschichte der DDR zu sammeln. Anlässlich einer Exkursion nach Berlin und Bernau hatten die Studierenden Gelegenheit, Herrn Dr. Stallknecht persönlich kennenzulernen.  Er hatte sich freundlicherweise bereiterklärt, seine P 2-Experimantalbauten in der Erich-Kuttner-Straße in Berlin-Fennpfuhl und in der Storkower Straße in Berlin-Prenzlauer Berg, die nach seinem Entwurf realisierten Wohnbauten am ehemaligen Leninplatz (heute: Platz der Vereinten Nationen) sowie die von ihm geleitete und nicht unumstrittene Umgestaltung der Bernauer Altstadt in Plattenbauweise vor Ort zu erläutern. Auch im weiteren Fortgang des Projektes stand der 81-Jährige in Gruppen- und Einzelgesprächen den Studierenden zur Verfügung. Gleich zu Beginn des Projektes wurde ausführlich über Wert und Gefahren der „Oral History“ – bedingt durch die subjektive Perspektive des Zeitzeugens – diskutiert und die Studierenden entwickelten einen kritischen Zugang zu dieser mündlichen geschichtswissenschaftlichen Methode.

Forschung vermitteln

Die große Herausforderung des Projektes war es, die erarbeiteten Inhalte für eine Ausstellung aufzubereiten und darüber hinaus auch geeignete Konzepte der Vermittlung zu finden. In einem parallel verlaufenden Prozess musste die Ausstellungsgestaltung – von der Ausstellungsarchitektur (Abb. 2, 3 und 4) über das Tafellayout bis hin zu den Printmedien Plakat, Flyer, Einladung (Abb. 5), Ausstellungsbroschüre – entwickelt werden und zugleich galt es die Fülle an Informationen zu den einzelnen Projekten auf eine präsentable Textmenge zu reduzieren sowie aussagekräftige Bilder und Exponate auszuwählen. Die Kürzung der Vortragstexte hin zu Ausstellungstexten, die vor allem die wesentlichen Informationen enthalten, ohne den Besucher maßlos zu überfrachten, war ein über mehrere Sitzungen anhaltender – manchmal auch schmerzlicher Prozess, denn jeder, der schreibt weiß: von dem einmal Erdachten trennt man sich nur ungern. In diesem kreativsten, vom Suchen nach einem übergreifenden Ausstellungskonzept, der konkreten Ausstellungsarchitektur und einem aussagekräftigen Layout bestimmten Abschnitt des Projektes zeigten sich erstaunlicherweise die größten Schwierigkeiten. Sie resultierten aus den kontinuierlich zu verfolgenden und zu konkretisierenden Entwurfsideen sowie dem Aushalten von Unsicherheiten und anderen Meinungen im Findungsprozess. Wieder einmal wurde deutlich, dass eine Fülle an präsentierten Entwürfen und Ideen fruchtbare Diskussionen im Plenum und gemeinsame Entscheidungen deutlich erleichtert.

Die besondere Erfahrung dieses Projektes lag vor allem auch darin, dass die Entwürfe der Studierenden nicht im fiktiven Stadium verblieben; doch bis zur Realisierung mussten sie bis in kleinste Details von Verarbeitung und Materialfrage durchdacht, konstruiert, gezeichnet und mit den Umsetzenden immer und immer wieder besprochen werden. Es wurde deutlich, wie umfangreich die Einzelschritte sind, die zum Gelingen einer Ausstellung notwendig sind. Die Studierenden machten die Erfahrung, wie viele Gespräche mit jenen für die Ausstellungsräumlichkeiten Verantwortlichen, Sicherheitsbeauftragten, Materiallieferanten, Druckern, Archivaren, Sponsoren, Leihgebern usf. geführt werden müssen. Einige der anfänglich hochgesteckten Ideen für Vermittlungsformen und Präsentationen gingen in der tatsächlichen Umsetzung verloren – sei es aus Zeitmangel, beschränkter Finanzen oder weil deutlich wurde, welchen großen persönlichen Einsatz die Umsetzung solcher Vorstellungen bedeutet.

Nach dem Findungs- und Entwurfsprozess ging das Projekt in die Endphase: letzte Nachrecherchen wurden abgeschlossen, Ausstellungstexte und Filme fertiggestellt, die Bild- und Objektauswahl beendet und an das entwickelte Tafellayout angepasst. In mehrfachen Durchgängen wurden die Ausstellungstexte redigiert, umgeschrieben und noch mal mit den Autoren durchgesprochen. Zu einzelnen Projekten entstanden Modelle im Maßstab 1:50. Sie verdeutlichen u.a. Stallknechts Weiterentwicklung der Plattenbautechnologie – von der P 2 zur WBS 70 – und damit die allgemeine Entwicklung des industriellen Wohnungsbaus in der DDR. Das Rahmensystem für die Ausstellungsarchitektur wurde in der BTU-Tischlerei unter Mithilfe der Studierenden innerhalb von zwei Wochen gefertigt. Hierbei wurden immer wieder Modifikationen zur Verbesserung der Gestaltung sowie der Standfestigkeit vorgenommen. Für die Öffentlichkeitsarbeit wurden Pressemitteilungen geschrieben sowie Flyer, Einladungen und Plakat sowie zum Schluss die Ausstellungsbroschüre, die die gesamte Ausstellung wiedergibt, gedruckt.

Nach nur einem halben Jahr, in dem die Studierenden ein für sie in weiten Bereichen neues Thema erschlossen, erforscht und aufbereitet haben, konnte die Ausstellung dann im April im Foyer des Informations-, Kommunikations- und Medienzentrums der BTU Cottbus eröffnet werden. Manch heiße Diskussion, verzweifelte Suche und durchgearbeitete Nacht waren für diesen Abend vergessen (Abb. 6 und 7). Im Sommer wanderte die Ausstellung nach Bernau, wo sie für einige Wochen in der Städtischen Galerie gezeigt wurde. Anlässlich der Ausstellung fand hier eine Podiumsdiskussion zum Umbau Bernaus in den 70er-Jahren und zum heutigen Umgang mit der damals geschaffenen „Altstadt in Platte“ statt (Abb. 8).

Projektgruppe:

Studierende:

Sina Akik, Katharina Ferjan, Peggy Gneist, Sara Heinrich, Dirk Jerominek, Madeleine Klotz, Christian Kupsch, Ulrike Rohr, Edvard Rothe, Katrin Saloga, Carsten Sauerbrei, Anja Stolzenhain, Ingrid Tacke, Mareen Trusch

Dozenten/Verantwortliche:

Dr. Harald Engler und Alexander Obeth (Wissenschaftliche Sammlungen des IRS, Erkner)
Anne Bantelmann und Dr. Anke Kuhrmann (Lehrstuhl Denkmalpflege, BTU Cottbus)
Prof. Inken Baller (Lehrstuhl Entwerfen und Bauen im Bestand, BTU Cottbus)