Othmar Hermann Ammann (1879 – 1965) Biografie

Biografie
1879Geburt von Ammann am 26. März in Feuerthalen bei Schaffhausen, Kanton Zürich, Schweiz.
1885Besuch der Volksschule und anschließend der Industrieschule (technische Abteilung der Kantonsschule) in Zürich, Schweiz.
1897Erwerb der Matura, der Schweizer Hochschulreife.
1897Beginn seines Bauingenieurstudiums am Eidgenössischen Polytechnikum (heute Eidgenössische Technische Hochschule, ETH) in Zürich. Ausbildung u.a. bei Wilhelm Ritter (1847-1906).
1900Praktikum in Montreux, Kanton Waadt, Schweiz. Hier erste praktische Erfahrungen mit dem Brückenbau.
1902Erwerb des Hochschuldiploms.
1902Erste Anstellung nach dem Studium bei der Stahlbaufirma Wartmann & Valette in Brugg, Kanton Aargau, Schweiz.
1903Anstellung bei der Stahlbaufirma Buchheim & Heister in Frankfurt/ M., Hessen, Deutschland.
1904Emigration in die USA.
1904Arbeit im Ingenieurbüro von Joseph Meyer in New York City, New York, USA.
1905Anstellung bei der Pennsylvania Steel Company in Harrisburg, Pennsylvania, USA. Dort beruflicher Aufstieg vom einfachen Konstrukteur zum Assistent des Chefingenieurs F.C. Kunz.
1907Bis 1908 Erarbeitung eines Untersuchungsberichts zum Einsturz der Québec-Brücke über den St.-Lorenz-Strom bei Lévis, Québec, Kanada mit F.C. Kunz.
1909Arbeit im Ingenieurbüro Kunz & Schneider in Philadelphia, Pennsylvania, USA. Infolge Mitarbeit an der Planung der Queensboro-Brücke in New York City, New York, USA.
1912Stellvertretender Chefingenieur im Konstruktionsbüro von Gustav Lindenthal (1850-1935) in New York City, New York, USA. Zuständig u.a. für den Bau der Hell-Gate-Brücke und der Sciotoville-Brücke.
1917Zeitweise Leiter einer Baumaterialfirma.
1917Rückkehr zu Lindenthal. Dort Mitarbeit an dessen Entwurf für eine Hudsonbrücke in New York City.
1923Aufgabe der Anstellung bei Lindenthal aufgrund von Streitigkeiten.
1923Erarbeitung eines Brückenentwurfs über den Hudson River nun als selbständiger Bauingenieur.
1925Technischer Leiter der „Port Authority of New York and New Jersey“ (Authority = Behörde). Konstruktion der George-Washington-Brücke sowie zahlreicher weiterer Brücken und Tunnel in und um New York City.
1929Veröffentlichung des Buchs „Specifications for Design of Bridges carrying Highway and Electric Rail Passenger Traffic“. Späteres Standardwerk im Brückenbau.
1930Veröffentlichung des Buchs „Specifications for Design of Bridges carrying Highway and Electric Rail Passenger Traffic“. Späteres StandarVerleihung der Ehrendoktorwürde der ETH Zürich, Schweizwerk im Brückenbau. .
1931Beratende Mitarbeit an der Golden-Gate-Brücke von San Francisco, Kalifornien, USA.
1932Verleihung der Ehrendoktorwürde der New York University, USA.
1933Zusätzlich Chefingenieur der Triborough Bridge and Tunnel Authority.
1939Pensionierung als Chefingenieur der Hafenbehörde und der Triborough Authority.
1939Eröffnung eines eigenen Büros in New York City.
1940Als Experte eingesetzt zur Untersuchung des Einsturzes der Tacoma-Narrows-Brücke (Tacoma, Washington, USA).
1946Gründung des Büros Ammann & Whitney zusammen mit Charles S. Whitney. In den darauf folgenden Jahren Bau weiterer Brücken in den Bundesstaaten New York, New Jersey, Delaware und Pennsylvania.
1950In den 1950er und 60er Jahren Leitung verschiedener Kommissionen der New Yorker Hafenbehörde zu weitgespannten Hängebrücken.
1962Vollendung des Unterdecks der George-Washington-Brücke, New York City.
1964Verleihung der National Medal of Science durch US-Präsident Lyndon B. Johnson, erstmalig an einen Bauingenieur.
1965Tod Ammanns am 22. September im Alter von 86 Jahren in Rye, Westchester County, New York, USA.
Herkunft und Familie

Othmar Hermann Ammann wurde am 26.03.1879 in Feuerthalen bei Schaffhausen in der Nähe von Zürich, Schweiz geboren (siehe Abb. 2.03). Sein Vater Emanuel Christian Ammann war Kaufmann und Fabrikant. Seine Mutter Emilie Rosa Ammann, geborene Labhardt, war die Tochter des zu seiner Zeit hoch geachteten und anerkannten Landschaftsmalers Emanuel Labhardt (1810-1874).

Schulzeit und Studium

Schon in der Volksschule und später in der Industrieschule (technische Abteilung der Züricher Kantonsschule) wurde Ammanns technische Begabung früh erkannt und gefördert. 1897, nach bestandener Maturitätsprüfung (Die Matura bzw. Maturität ist vergleichbar mit dem deutschen Abitur.), begann er sein Bauingenieurstudium am damaligen Eidgenössischen Polytechnikum, der heutigen Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), in Zürich. Seine wichtigsten Lehrer waren hier Wilhelm Ritter (1847-1906. W. Ritter war ebenfalls Lehrer von Robert Maillart (1872-1940) und Ludwig von Tetmajer (1850-1905. L.v. Tetmajer hatte entscheidenden Einfluss auf den Aufbau und die Entwicklung des Materialprüfungswesens in der Schweiz.), bei denen er sich neben einer prägnanten und auf das Wesentliche reduzierten Art des Arbeitens vor allem das nötige Rüstzeug in den Bereichen Baustatik und Technologie der Baumaterialien aneignete (Beide waren nach dem Tod von Carl Wilhelm Culmann (1821-1881) ab ca. 1882 am Polytechnikum tätig.). Auch wurde Ammann hier erstmals mit den modernen Brückenkonstruktionen der „Neuen Welt“ bekannt gemacht. Wilhelm Ritter (1847-1906) bereiste mehrere Monate Nordamerika und fasste seine Erfahrungen in dem Buch „Der Brückenbau in den Vereinigten Staaten Amerikas“ zusammen. Ein weiterer Professor Ammanns, genannt Karl Emil Hilgard, arbeitete mehrere Jahre in den USA als Brückenbauingenieur für die Northern Pacific Railroad. Dieser schwärmte vor seinen Studenten von der nur dort vorhandenen Möglichkeit, bereits als junger Bauingenieur mit den wichtigsten und verantwortungsvollsten Aufgaben betraut zu werden, und von der größeren Freiheit bei der Umsetzung der eigenen konstruktiven Vorstellungen und Ideen. Erste praktische Annäherungen an den Brückenbau machte Ammann während seines Studiums im Sommer 1900 bei einem Praktikum in Montreux, Kanton Waadt, Schweiz, wo er beim Bau der Mont-Blanc-Brücke mithalf. 1902 schloss er sein Studium mit dem Diplom ab. In der Zeit danach sammelte Ammann seine ersten beruflichen Erfahrungen bei der Stahlbaufirma Wartmann & Valette in Brugg, Kanton Aargau, Schweiz, und anschließend bei der in Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland ansässigen Stahlbaufirma Buchheim & Heister, wo er sich mit der Stahlbeton-Bauweise intensiv beschäftigte. 
[BILLINGTON 1980; PETROSKI 1995, S. 217-219; STÜSSI 1974, S. 9-12; WIDMER 1979, S. 6-19]

Die ersten Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika

1904 entschloss sich Ammann, seine beruflichen Kenntnisse zu vertiefen, und reiste hierzu in die Vereinigten Staaten von Amerika (siehe Abb. 2.04). Dank guter Noten und entsprechender Empfehlungsschreiben bekam er seine erste Anstellung im Ingenieurbüro von Joseph Meyer in New York City. Hier hatte Ammann die Chance, am Entwurf von 30 stählernen Eisenbahnbrücken mitzuwirken. 

Bereits 1905 nahm er eine Stelle bei der Pennsylvania Steel Company an, um mehr Erfahrungen mit Stahlbrücken zu sammeln. Nach vier Jahren stieg Ammann vom einfachen Konstrukteur zum Assistenten des Chefingenieurs F.C. Kunz auf. Hier beschäftigte er sich unter anderem mit dem Bau der Queensboro-Brücke über den East River in New York City und konnte maßgeblichen Einfluss auf die Gestalt und Konstruktion der Brücke nehmen. 1908 erstellte er mit seinem Vorgesetzten im Auftrag der kanadischen Regierung einen Bericht über die Ursachen des Einsturzes der Québec-Brücke über den St.-Lorenz-Strom bei Lévis, Québec, Kanada. Der Untersuchungsbericht gilt heute noch als ein Musterbeispiel. 

1909 bis 1912 arbeitete Ammann dann im neu gegründeten Ingenieurbüro von F.C. Kunz & C.C. Schneider in Philadelphia, wo er an Vorschlägen einer Bogenbrücke über den Fluss Saint-John in New Brunswick, Québec, Kanada, und dem Neubau der Québec-Brücke bei Lévis, Québec, Kanada mitwirkte.  

Im Jahre 1912 begann Othmar Ammann für Gustav Lindenthal (1850-1935) zu arbeiten, den damals führenden Brückenbauer Nordamerikas. Seine Entwürfe für Brücken in New York dürfte Ammann schon zu Studienzeiten durch Berichte Wilhelm Ritters gekannt haben. Bei Lindenthal stieg Ammann nach nur drei Monaten zum stellvertretenden Chefingenieur auf und hatte entscheidenden Einfluss bei dem Entwurf und der Bauleitung der Hell-Gate-Brücke, einem großen Brückenkomplex im Norden Manhattans, und ihrer zuführenden Viadukte (Abb. 2.05). Sein ausführlicher Bericht über den Brückenbau und all seiner Phasen wurde 1918 von der American Society of Civil Engineers mit dem Thomas-Fitch-Rowland-Preis ausgezeichnet. Ammann war nebenbei auch Projektleiter bei der Errichtung der zweigleisigen Eisenbahnbrücke über den Ohio bei Sciotoville. 

Nach Fertigstellung beider Brücken im Jahr 1917 gab es rezessionsbedingt im Büro von Lindenthal wenig Arbeit. Ammann übernahm zu jener Zeit die Betriebsleitung einer Baumaterialfirma, die Lindenthal und George S. Silzer, der wenige Jahre später Gouverneur von New Jersey werden sollte, gehörte. Ammann konnte die Streiks der Firmenmitarbeiter beilegen und brachte den Betrieb wieder in die Gewinnzone. 

1919 arbeitete Othmar Hermann Ammann wieder im Büro mit Lindenthal. Diesmal ging es um eine Überbrückung des Hudson Rivers zwischen Manhattan und New Jersey. Lindenthal arbeitete schon in den 1880er Jahren an Entwürfen für dieses lange diskutierte Projekt. Jetzt entschieden die politisch Verantwortlichen, dass es Zeit für eine Überbrückung des Hudson Rivers und damit eine erste Straßenverbindung zwischen New York City und dem benachbarten Bundesstaat New Jersey sei. Lindenthal hielt an seinen alten Entwürfen fest. Er steigerte ihre Monumentalität sogar noch mehr, sodass die Pylone dieser Hängebrücke höher waren als das damals höchste Hochhaus in New York City. Dies war zu jener Zeit das Woolworth Building mit 241 m Höhe. Ammann hielt diese Pläne für nicht durchführbar, allein schon aufgrund der hohen Kosten. Er machte erste Pläne für eine eigene Brücke, welche an einer günstigeren Flussstelle gelegen und auch in der Ausführung weniger material- und damit weniger kapitalintensiv war. Nachdem seine Vorstöße bei Lindenthal nicht zur erhofften Einsicht führten, trug Amman seine Vorschläge dem Gouverneur von New Jersey, mittlerweile war dies George S. Silzer, selbst vor. Während Silzer begeistert von den Ideen war, bezichtigte ihn Lindenthal der Illoyalität und beendete 1923 die Zusammenarbeit mit O.H. Ammann. 

[PETROSKI 1995, S. 220-227, 242-254; STÜSSI 1974, S. 12-14; WIDMER 1979, S. 20-35]

Der Brückenbauer von New York

Mit der Vorstellung eines eigenen Entwurfs allein war es aber nicht getan. Vielmehr unternahm Ammann, jetzt als unabhängig beratender Ingenieur tätig, zuerst auf eigene Faust eine akribische Untersuchung der aktuellen und zukünftigen Verkehrssituation in und um New York City und verfasste dabei einen ausführlichen Bericht. Am 17.12.1923 stellte er ihn unter dem Titel „Study of a Highway Bridge at New York between Washington Heights and Fort Lee“ der New Yorker Hafenbehörde zur Verfügung und überreichte diesen dem Gouverneur von New Jersey persönlich. Der Bericht sollte Ammanns Antwort auf die Ankündigung der Gouverneure von New Jersey und von New York im August des gleichen Jahres sein, in der beide einen frühestmöglichen Bau von Tunnel oder Brücken zwischen den beiden Bundesstaaten befürworteten und unterstützten. Und dieser Entwurf war im Vergleich zu allen Konkurrenzentwürfen der kostengünstigste und wohldurchdachteste. 30 Millionen Dollar sollte die Realisierung laut Ammann kosten. Der Entwurf Lindenthals war hingegen der teuerste von allen. Er wurde von Lindenthal auf 200 Millionen Dollar veranschlagt. Daraufhin erhielt Ammann den Auftrag zum Bau der Brücke, die bei ihrer Fertigstellung eine mehr als doppelt so große Spannweite aufwies wie die bis dahin längste Brücke der Welt. 

Mit der Vorbereitung des Baus der George Washington Bridge wurde Ammann 1925 auch zum Brückenbauingenieur der New Yorker Hafenbehörde (Port Authority of New York and New Jersey) ernannt. Vier Jahre später, 1929, wurde er zum Chefingenieur befördert und 1937 folgte seine Berufung zum Direktor der Ingenieurabteilung der Port Authority. Von 1933 bis 1939 war er zusätzlich der Chefingenieur der benachbarten „Triborough Bridge and Tunnel Authority“ (Abb. 2.06). Damit hatte Ammann entscheidenden Einfluss auf die Brücken- und Tunnelprojekte im Hafenbereich in und um New York City. In diesem Zeitraum entstanden unter seiner Federführung und Planung zahlreiche Brücken und Tunnel. So zum Beispiel die Bayonne Bridge (1931), welche bis 1977 die längste freispannende Bogenbrücke der Welt blieb, die Triborough Bridge (1936), die Little Hell Gate Bridge (1936), der Lincoln Tunnel (1937) und die Bronx-Whitestone Bridge (1939). Zahlreiche revolutionär erscheinende Entwürfe und Konzepte wurden in dieser Zeit ebenfalls erstellt, wie z.B. die der letztlich nicht gebauten Brooklyn Battery Bridge. 

Mit seinem Austritt aus dem Dienst der Port Authority und der Triborough Authority im Jahre 1939 eröffnete Othmar H. Ammann wieder ein eigenes Ingenieurbüro, welches er 1946 schließlich mit dem Stahlbetonbau-Spezialisten Charles S. Whitney als gemeinschaftliches Ingenieurbüro Ammann & Whitney neu gründete. Im Laufe der Zeit entstanden so weltweit zehn regionale Büros, die neben Brücken vor allem Expressstraßen und Hochbauten planten. Ammann selbst erstellte im New Yorker Büro Entwürfe für weitere weitgespannte Hängebrücken. Hierbei entstand u.a. die Throgs Neck Bridge (1961). Mit dem Entwurf und dem Bau der Verrazano Narrows Bridge (1964) erreichten die von Ammann entworfenen Brücken ihren technischen Höhepunkt. In der Auslegung als weitgespannte Hängebrücke mit einer Spannweite von 1’298 m zwischen den beiden Stütztürmen, stellte Ammann, wie schon 30 Jahre zuvor mit der George-Washington-Brücke, erneut einen Weltrekord auf. 

Nur knapp ein Jahr nach der Eröffnung der Verrazano-Narrows-Brücke starb Othmar Hermann Ammann am 22.09.1965 im Alter von 86 Jahren im Kreis seiner Familie in Rye, Westchester County, New York, USA. 

[PETROSKI 1995, S. 285-294; RASTORFER 2000, S. 25-38, 163-175; STÜSSI 1974, S. 55-63, 75-81; WIDMER 1979, S. 28-91]