Mimar Sinan (1490 – 1588) Erfindungen
Sinans architektonisches und ingenieurisches Schaffen basiert auf frühosmanische Bautraditionen und der kritischen Auseinandersetzung mit vor allem den byzantinischen Gewölbekonstruktionen. Dabei war er fixiert von der Idee, den absolut zentralsymmetrischen Raum zu schaffen. Dieses architektonische Motiv war schon früh von den osmanischen Baumeistern aufgenommen worden. Von den frühosmanischen Bauten übernahm Sinan auch die kristallinen Formen - Mukarnas, die er in den Übergängen von Wand- und Gewölbekonstruktionen einplante.
Die größte Herausforderung für Sinan lag aber in der Nacheiferung der byzantinischen Kuppelkonstruktionen. Die Hagia Sophia wurde dabei zu seinem Lieblingsstudienobjekt. Das Wissen, welches er dadurch erwarb, sollte in seinen Bauwerken angewendet und vor allem aber übertroffen werden. Übernommene Baudetails können gut in den beiden Sultansmoscheen Süleymaniye (Istanbul) und Selimiye (Edirne) herausgelesen werden. Zu diesen gehören die Schildwandkonstruktion und die Stützkuppeln.
Bei VOGT-GÖKNIL findet sich zum Thema "Hagia Sophia" und Selimiye Cami folgendes Zitat von Sinan: "... diejenigen, die sich in den christlichen Ländern als Architekten hervortun, stellen die Behauptung auf, sie wären den Mohammedanern in ihrer Kunstfertigkeit überlegen, da diese nicht erreicht haben, so eine Kuppel wie die der Hagia Sophia zu erreichen. Die Behauptung, so eine Kuppel zu bauen, wäre äußerst schwierig, hat im Herzen der Ärmsten (im eigenen Herzen) eine tiefe Wunde geschlagen. Mit Gottes Hilfe und des Sultans Gnade ist es mir jedoch gelungen, an der Moschee des Sultan Selim die Kuppel im Durchmesser vier, in der Höhe sechs Zira größer zu bauen." (Fußnote: Mustafa Sa'i: Tezkeret-ül-Bünyan) [VOGT-GÖKNIL 1993, S. 18]. Das altosmanische Längenmaß Zira lässt sich mit folgendem Verhältnis besser nachvollziehen: 1 Zir'a = 75,8 cm [KURAN 1987, S. 303]. Die höchste Stelle der Kuppel der Hagia Sophia liegt bei 56 m. Ihr Durchmesser beträgt 31 oder 33 m. Um seine kühnen Ideen umzusetzen, experimentiert Mimar Sinan mit verschiedenen Grundrissmustern. Er versucht es mit Vier-Pfeiler-Moscheen, Sechs-Pfeiler-Moscheen und Acht-Pfeiler-Moscheen. Die meisterlichste Umsetzung seiner Zentralbauidee und der größendimensionalen Übertreffung der Hagia Sophia gelingt ihm mit der Selimiye-Cami in Edirne. Hier finden sich ebenfalls die architektonischen Details Schildwand und Stützkuppeln wieder. Aber auch entwickelt er eine Art Strebesystem, das es Sinan wirklich zulässt in diesen Dimensionen zu bauen.
Sinan investiert ebenfalls viel Zeit mit der intensiven Auseinandersetzung den verschiedenen Baugründen. So entwickelt er verschiedene künstliche Plattformen für seine Bauwerke. Beispiele hierfür sind bei der Iskele Cami in Uesküdar (= Üsküdar, heute Teil der Stadt Istanbul) und bei der Süleymaniye in Istanbul zu finden. Letztere erhält zur Erzeugung der Plattform gewölbte Substruktionen.
Vor alledem ließ er Messungen des Baugrundes durchführen, um Aussagen treffen zu können für dessen Bewegungen. Um den Grund zu stabilisieren setzte Sinan Pfähle ein, auf denen die dann die eigentlichen Fundamente folgten. Bevor das Bauwerk wirklich gebaut wurde, wartete Sinan oft einige Jahre ab, um den Baugrund und die Fundamente setzen zu lassen. Neben diesen Maßnahmen entwickelte er Strategien zum besonderen Schutz der Fundamente und der unteren Bereiche seiner Gebäude. So ließ er Wände um die eigentlichen Fundamente bauen, legte Drainagesysteme zum Feuchteschutz an, die noch mit einem Luftzirkulationssystem unterstützt wurden. Für die Fundamente und die Bodenplatte verwendete er speziellen Zement. Zur Aufnahme der doch immer wieder auftretenden Bodenbewegungen (Erdbeben) integrierte er Bewegungsfugen aus Blei in seine Bauten. [SAOUD 2007]
Liste der von Sinan genutzten Bautechniken
- Strebewerk (Selimiye Cami in Edirne)
- Substruktionen mit Gewölben (Süleymaniye Cami in Istanbul)
- Schildwand, Stützkuppel (versch. Moscheen, darunter die Selimiye Cami in Edirne)
- Entwicklung der Zentralbauidee mit auf vier (Sehzade Cami, Istanbul), sechs (Nurbanu Sultan, Uesküdar) und acht Stützen (Selimiye Cami, Edirne; Rüstem Pascha Cami, Istanbul) ruhenden Hauptkuppeln
- Spitzbogen (Brücken, Aquädukte)
- Verschiedene Techniken zur Festigung des Bauuntergrundes und der Fundamentierungen (Schutz vor Erdbeben und Grundwasser):
- Messungen der Erdbewegungen des Baugrundes
- Pfahlsetzungen zur Stärkung des Untergrundes Wände zum Schutz der Fundamente
- Wartezeiten für Baugrund- und Fundamentsetzungen
- Drainagesystem unterstützt mit Luftzirkulationssystem
- Verwendung von speziellem Zement
- Bleiverwendung für Bewegungsfugen
u.v.m.