Mimar Sinan (1490 – 1588) Würdigung

Mimar Sinan war schon zu Lebzeiten ein sehr bekannter und angesehener Mann im Osmanischen Reich. Das beeindruckt natürlich, denn er wuchs in dem Land als "Ungläubiger" auf. Über sein Wirken schrieb ein Freund Sinans, Mustafa Sâ'i - Dichter und Ornamentmaler, zwei Bücher - das "Tezkeret-ül-Bünyan" und die Biographie Sinans (herausgegeben zu Lebzeiten des Baumeisters): das "Tezkeret-ül-Ebniye", das mit den folgenden Worten beginnt: "Ich, der Chefarchitekt Sinan, Sohn des Abdull- Mennan, bin während der Regierung des Sultans Selim Chan, Sohn des Sultans Bayazid, als Devşirme nach Istanbul gekommen." [EGLI 1954]

Sinan erhielt verschiedene Auszeichnungen. Neben den unterschiedlichsten militärischen Titeln, darunter auch die Ehrung zum "Haseki" (= Oberst der Sultansleibgarde), wurde er nicht nur als Baumeister an den Hof des Sultans geholt, sondern wurde sogar der oberste Chef aller Hofbaumeister. Die gute Beziehung zu den Sultanen, vor allem zu Sultan Süleyman dem Prächtigen, wird deutlich durch Sinans Grablege, die sich unweit der Süleymaniye in der dazugehörigen Külliye befindet. Noch einige Jahrzehnte vor Sinans Wirken am Sultanshofe wurden Baumeister als Individuen im Osmanischen Reich nicht bekannt. Ähnlich war es auch im restlichen Europa. Erst Ende des 15. Jh. bekommen sie Namen und das Bauen wird nicht mehr nur als kollektive Aufgabe verstanden. Ein anderer großer Baumeister wurde Mimar Hayreddin, der einige Jahre vor Sinan am Hofe wirkte. Ebenfalls der Architekt der Sultan-Achmed-Cami in Istanbul machte von sich reden, doch keiner der osmanischen Baumeister war zu Lebzeiten so berühmt wie Mimar Sinan.

Auch heut ist Sinan alles andere als ein Unbekannter. Besonders gilt dies für die Einwohner der ehemaligen Ländereien des Osmanischen Reiches. Von den Türken wird er "altehrwürdiger Baumeister Sinan genannt" [BUSSMANN/ TRÖGER 2004]. In der "zweiten Hauptstadt" der Türkei - Istanbul - ist Koca Mimar Sinan Aga sehr präsent. Seine Bauwerke, besonders die Moscheen, prägen das Stadtbild. Aber nicht nur seine Bauten erinnern an ihn, sondern auch plastische Bildnisse, denen der Besucher Istanbuls zufällig begegnet, sowie Straßennamen und eine staatliche Universität der Stadt, die seinen Namen trägt - Mimar-Sinan-Universität (Mimar Sinan University of Fine Arts in Istanbul). In anderen Teilen der Türkei sind ganze Ortschaften und Landstriche nach dem Baumeister benannt. So finden sich beispielsweise ein Ort und eine Landschaft mit dem Namen Kocasinan unweit von Kayseri, der Stadt nahe des Heimatorts des jungen Sinans. Selbst auf einem Geldschein, der bis vor einigen Jahren noch im Umlauf war, fand sich ein Bildnis des Hofbaumeisters. Sinan gilt heut als einer der größten Architekten bzw. Ingenieure der Welt.

Was zeichnet ihn aus, dass er noch heut derart berühmt ist und seine Bauwerke unvergessen sind? Mimar Sinan geht vermutlich als Baumeister mit den meisten Bauprojekten in die Weltgeschichte ein. Es sind weit mehr als 300! Von 357 [VOGT-GÖKNIL 1993], 362 [EGLI 1954] oder 477 [BUSSMANN/ TRÖGER 2004, KURAN 1987] Bauwerken ist in der Literatur die Rede.

Sinan verstand es, sich an jegliche Situationen anzupassen. Er war in der Lage seine Bauaufgaben unter allen Widrigkeiten zur Zufriedenheit seiner Bauherren zu meistern. Obwohl er meist mit dem Moscheenbau in Verbindung gebracht wird, kann er nicht darauf heruntergebrochen werden. Er war äußerst vielseitig und erschuf Bauwerke verschiedenster Typologien; darunter fallen Karawansereien, Magazine, Hammams, Paläste, Grabbauten, Armenküchen, Medreses, Darülkuras, Mesdjids und reine Ingenieurbauwerke wie Brücken und Aquädukte. Sicher müssen auch Brunnen, einfachere Wohnhäuser, Villen, Geschäftshäuser und verschiedene militärische Bauwerke als Bautypen berücksichtigt werden. Auch darf sein Engagement im Städtebau nicht vergessen werden. Neben Neuplanungen beschäftigte er sich auch mit Wiederinstandsetzungen von Bauwerken - wir denken an die Sanierung der Harem-i Şerif in Mekka - und arbeitete auch themenfremd als Schiffsbauer. Demnach war Sinan nicht nur Baumeister, also Architekt und Ingenieur, sondern auch Städtebauer, Schreiner/ Zimmermann, Schiffsbauer, Steinmetz und Restaurator.

Vor Sinan hatte sich die osmanische Baukunst schon 200 Jahre lang entwickelt. Koca Mimar Sinan gilt aber trotzdem als Vater der osmanischen Architektur. Er hat sie nicht neu erfunden, sondern ausformuliert. In seinen Bauwerken überprüft er die Baudetails der altosmanischen Bautradition, bleibt ihr treu, überarbeitet sie und reizt sie aus. Dabei übertrifft er dagewesenes in Größe und Imposanz. Nach seinem Tod gab es kaum noch Änderungen in der Architektursprache.

Mimar Sinan verbindet in seiner Arbeit Vielseitigkeit und das Erringen von Besonderheiten. Beide Eigenschaften sind Zeichen eines Genies! Sinan blieb trotzdem bescheiden und war sozial engagiert. Trotz des heut umfangreichen Wissens bleibt Sinan ein gutes Studienobjekt. Viel ist über seine Moscheen und deren architektonischen sowie kunsthistorischen Wert geschrieben worden. Anzuregen wäre die Verkomplettierung seiner Werklisten und die Vereinheitlichung von den Namen seiner Bauwerke sowie derer Standorte. Den Listen müssten auch Bauwerke aus der Zeit Sinans als Janitschar, an denen er auch handwerklich arbeitete - Neubauten, Anbauten, Umbauten, hinzugefügt werden. Wie Egli [EGLI 1954] schon anregte, sollten dabei die Bauwerke des Statthalters Bosniens, Gazi Hüssrew-beg, besonders in Augenschein genommen werden. Allgemein lässt die Literatur auch eine genauere Betrachtung seiner genutzten und entwickelten Bautechniken und genaue Studien des Tragverhaltens der historischen Bauwerke vermissen. Von den Beschreibungen seiner Moscheen sollte sich die Literatur mehr lösen und weniger beachtete Bauwerke, wie Karawansereien, Magazine, Aquädukte und Brücken, mehr widmen.