Johann Wilhelm Schwedler (1823 – 1894) Erfindungen

Tabellarische Übersicht

Der Name Johann Wilhelm Schwedler wird stets mit dem nach ihm benannten Schwedler-Träger und seiner Schwedler-Kuppel verbunden. Die Verdienste des preußischen Baubeamten um die Einführung des Dreigelenksystems und sein Beitrag um die Bemessung von Bauteilen im Eisenbau, wie bspw. die Veröffentlichung „Ueber Nietverbindungen“ von 1867 zeigt, dürfen jedoch nicht vergessen werden. Die folgende Liste gibt einen Überblick über die in diesem Kapitel erläuterten schwedlerschen Konstruktionsprinzipien. Weitere Erfindungen bzw. Theorien Schwedlers können über das Publikationsverzeichnis des Ingenieurs erschlossen werden.

JahrErfindungBemerkungen
1851Schwedler-TrägerAuch: Schwedlerträger. Beide Schreibweisen sind in der genutzten Literatur gängig.
1863Schwedler-KuppelAuch: Schwedlerkuppel. Beide Schreibweisen sind in der genutzten Literatur gängig.
1864Dreigelenksystem

Ausführliche Erläuterungen

1851 – Schwedler-Träger

Die Brückenbauer Mitte des 19. Jahrhunderts sahen sich aufgrund der steigenden Anforderungen des Eisenbahnverkehrs gezwungen, vorhandenes, aus Bautraditionen stammendes Wissen und auf wissenschaftlicher Grundlage basierende theoretische Kenntnisse zu vereinen. Hieraus entwickelten sie Methoden, die das Konstruieren auf dem Gebiet des Brückenbaus berechenbar und nachprüfbar machten. Zudem standen die Aspekte der wirtschaftlichen Dimensionierung im Vordergrund, da die ursprünglich weitverbreiteten Gittertragwerke material- und arbeitsaufwendig waren.

Mit der „Theorie der Brückenbalkensysteme“ aus dem Jahre 1851 verfasste Johann Wilhelm Schwedler die Grundlage für seine Entwicklung des später nach ihm benannten Trägers. In dieser Publikation formulierte Schwedler erstmals eine Theorie des statisch bestimmten Fachwerkträgers, ohne den Begriff so zu verwenden. Diesen definierte im selben Jahr und unabhängig von Schwedler Carl Culmann (1821-1881) in Zürich. In der veröffentlichten Theorie schreibt Schwedler: „Die Theorie gibt nur im Allgemeinen ein Schema, nach welchem die Stabilität des Bauwerkes durchdacht werden soll, dem einzelnen Baumeister bleibt es danach überlassen, in jedem besonderen Falle dieses Schema mit seinen Gedanken auszufüllen.“ [HERTWIG 1930, S. 61] Folglich wollte Schwedler mit seiner Theorie den Ingenieuren seiner Zeit ausschließlich ein Hilfsmittel an die Hand geben. Selbständige Entwicklungen daraus ließ er für die Planer offen. Dies verstand er gleichfalls für sich selbst, weswegen der sogenannte Schwedler-Träger über Jahre hinweg überarbeitet wurde, was an den näher vorgestellten Projektbeispielen Brahebrücke von Czersk (1860-1861) und Weserbrücke bei Corvey (1863-1865) deutlich ablesbar ist.

J.W. Schwedler ging bei seiner Entwicklung des neuen Trägers vom Fachwerkträger aus. Wichtig war es für ihn, dass alle Diagonalstäbe des Trägers bei allen auftretenden Belastungszuständen ausschließlich auf Zug beansprucht würden. Diese Diagonalen könnten nachfolgend als schlanke Flacheisen ähnlich schlaffen Bändern ausgebildet werden. Des Weiteren wollte Schwedler bei seiner Tragwerksneukonzeption auf Gegendiagonalen verzichten (Abb. 4.01). Beide Ansätze dienten nicht zuletzt aus dem Aspekt der Ökonomie der Optimierung des Trägers, denn auf diese Weise würde sich viel Material einsparen lassen. Um eine genaue Zuordnung der Druckkräfte in den Vertikalen und der Zugkräfte in den Diagonalen des Trägers bei jedem Belastungsfall gewährleisten zu können, waren die Gurtungen am Lastabtrag entsprechend zu beteiligen und die Knotenpunkte gemäß auszubilden. 

Aufgrund dieser Überlegungen kam Schwedler zu folgenden Entwicklungen und seinem neuartigen Träger: Die Verbindung der Knotenpunkte von Diagonalen und Gurtungen definierte er als drehbare Gelenke. Der Trägerobergurt formte sich – ausgehend von einem einfachen Fachwerkträger – von einer geraden Linie zu einem Parabelausschnitt, welcher in der Trägermitte vertikal gespiegelt wurde. Der Obergurt wurde an beiden Trägerenden unmittelbar mit dem Untergurt verbunden, erhob sich im Verlauf des Trägers parabelförmig und senkte sich zur Trägermitte ab (Abb. 4.02). Aus formalen, gestalterischen, konstruktiven und ökonomischen Gründen wurde dieser Feldbereich letztlich durch einen horizontalen Abschnitt ersetzt. Dieser parallel ausgeführte Abschnitt bildete von da an die größte Höhe des Trägers. Der Untergurt des Schwedler-Trägers blieb gerade und trug für gewöhnlich die Fahrbahn mit den Gleisen. Im Laufe der Weiterentwicklung der neuen Trägerform entstanden weitere Details, die für den Träger so typisch wurden: Schwedler erkannte, dass Gegendiagonalen im Bereich der Trägermitte unabdingbar waren, da dies die bei Nutzung aufkommenden wechselnden Verkehrslasten für eine Stabilität des Trägers erforderten (Abb. 4.03). Ebenfalls charakteristisch für den Schwedler-Träger wurde die Führung der Diagonalen über zwei Gefache, um so einer zu steilen Stellung der Diagonalen und der damit verbundenen möglichen Druckbeanspruchung dieser von vornherein entgegenzuwirken (siehe Weserbrücke bei Corvey, 1863-1865). Typisch wurde darüber hinaus für den Schwedler-Träger die fächerartige Anlage der Diagonalen aufgrund der speziellen Ausformung des Obergurtes.

1863 – Schwedler-Kuppel

Die enormen technischen Entwicklungen stellten die Ingenieure des 19. Jahrhundert vor immer neue Bauaufgaben. Durch geeignete konstruktive Mittel mussten diese Anforderungen in die Bautechnik umgesetzt werden. Neue Bautechniken wiederum lieferten die Grundlage neuer Bauaufgaben. Johann Wilhelm Schwedler beschritt mit der nach ihm benannten Schwedler-Kuppel ein neues Gebiet der Bautechnik. 1863 konstruierte er mit der Kuppel über dem Gasbehältergebäude der Imperial-Continental-Gas-Association in Berlin-Friedrichshain erstmals eine räumlich wirkende Fachwerkkuppel, deren Tragsystem innerhalb der Mantelfläche lag. Im selben Jahr veröffentlichte er den Aufsatz „Dachconstruction zum Gasbehälter-Gebäude der Imperial-Continental-Gas-Association zu Berlin“ in der Zeitschrift für Bauwesen und hielt einen Vortrag „Zur Theorie der Kuppelgewölbe“ beim Architektenverein zu Berlin. Drei Jahre später, im Jahre 1866, folgte Schwedlers Veröffentlichung „Die Construction der Kuppeldächer“, in der er nicht nur über seine ersten Fachwerkkuppeln berichtete, sondern auch die Theorie eines vereinfachten baustatischen Rechenverfahrens präsentierte.

Die Hauptkonstruktionselemente der Schwedler-Kuppel waren aus Eisen gefertigt. Diese Elemente waren die radial bogenförmigen Sparren und die horizontalen Ringe. Die aussteifenden Konstruktionsglieder lagen auskreuzender Weise zwischen der Hauptkonstruktion in der Kuppelfläche. Der Vorteil dieser räumlich-tragenden, kreuzweise-verspannten Konstruktionsweise lag darin, dass die Standsicherheit auch bei asymmetrischen Belastungen gewährleistet war und jeder konzentrische Ring ein festes System bildete, welches vorgefertigt werden konnte (Abb. 4.04 bis 4.06).

Die Membrankräfte innerhalb der Kuppel wurden auf die Längs- und Breitenkreise gerechnet. Schwedler bildete so ein Raumfachwerk, das von einem statisch unbestimmten zu einem berechenbaren, baustatisch bestimmten System wurde und eine rotationssymmetrische Membranschale besaß. Die Schwedler-Kuppel führte den Fachwerk-Kuppelbau vom ebenen Dachbinder (Abb. 4.07) zum räumlich tragenden Schalentragwerk und wurde damit „zum Urtyp aller Stabschalen und Netzkuppeln“ [KNIPPERS 2000, S. 108]. 

Die Wirtschaftlichkeit der Schwedler-Kuppel lag insbesondere in ihrem Konstruktionsgewicht, welches sich auf rund 30 Kg/ m² (ohne Dacheindeckung) belief. Solch Konstruktionsgewicht wird selbst heute selten unterschritten, was die damalige Ingenieurleistung Schwedlers und die Fortschrittlichkeit der neuen Kuppelkonstruktion eindrucksvoll verdeutlicht. 

1864 – Dreigelenksystem

Die dritte bedeutende Neuerung, an deren Verbreitung Schwedler großen Anteil hatte, war das Dreigelenksystem. Es sollte sich schon im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in weitgespannten Bahnhofs-, Industrie- und Ausstellungshallen etablieren. Schwedlers theoretische Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit dem Dreigelenksystem lieferte seine Beschäftigung mit festen Hängebrücken. Einen entsprechenden Aufsatz publizierte er 1861 in der Zeitschrift für Bauwesen mit dem Titel „Statische Berechnung der festen Hängebrücke“. Den Weg zum statisch bestimmten Dreigelenksystem vollzog Schwedler schließlich auf „abstrakte deduktive Weise“ [KNIPPERS 2000, S. 107]. 

Ausgehend von der festen Hängebrücke durchschnitt Schwedler zunächst das System in der Trägermitte, um zusätzlich zu den Aufhängepunkten Beweglichkeit herzustellen (Abb. 4.08 bis 4.09). Weitere Analysen führten ihn dazu, das Dreigelenksystem horizontal zu spiegeln und auf Bogenbrücken zu übertragen. Auf diese Weise veränderten sich die Zuordnungen des Ober- und Untergurtes und aus den auf Zug beanspruchten Verbindungsstäben innerhalb des Systems wurden Druckstäbe. Mit diesen Überlegungen gelang es Schwedler das System statisch bestimmt zu formulieren und eine exakte Berechenbarkeit zu gewährleisten. Zu den weiteren Vorteilen des Systems zählten die Unempfindlichkeit bei Wärmedehnung und Setzung sowie die einfache Montage. In Deutschland wurde das statisch bestimmte Dreigelenksystem erstmals in einer Brücke in Berlin umgesetzt: Die sogenannte Unterspree-Brücke entstand in den Jahren 1864 bis 1865 in Berlin-Mitte (Abb. 3.06-3.09).

Im Brückenbau konnte sich die Konstruktion aufgrund der großen Scheitelsenkungen bei Verkehrslasten, der aufwendigen Detailausbildungen und der ungesicherten Horizontalsteifigkeit nicht durchsetzen. Schwedler adaptierte kurzerhand das Dreigelenksystem im Hochbau, wo er es erstmals bei der Halle des Hammerwerks II in Bochum, dem „Urbild des Dreigelenkrahmens“ [KURRER 2014, S. 451], einsetzte und schuf hiermit die Grundlage für künftige Anwendungen im Hallentragwerk (Abb. 4.10).