Wilhelm von Sens († 1180) Biografie

Tabellarische Biografie

Vermutungen werden durch kursive Schrift in den folgenden Kapiteln dargestellt.

JahrEreignis
12. Jh.Geburtsort und Geburtsjahr von Wilhelm von Sens unbekannt.
1136Bis 1180 Mitglied der Senser Bauhütte.
1136Arbeit als Steinmetz und master mason (Werkmeister) an verschiedenen Bauwerken in Frankreich wie bspw. in Sens, Saint-Denis und Valenciennes bis 1174.
1174Berufung nach Canterbury mit anschließender Reise nach England. Im September Begutachtung der Kathedrale von Canterbury in der Verwaltungsgrafschaft Kent, England, UK.
1175Arbeit als master mason in Canterbury, England, UK bis 1179.
1178Sturz vom Baugerüst. Wilhelm von Sens trug irreparable Verletzungen davon.
1178Bis 1179 Weiterführung seiner Arbeit durch Anweisungen aus dem Krankenbett.
1179Rückkehr nach Frankreich (wahrscheinlich nach Sens).
1180Am 11. August in Frankreich verstorben.

Ausführliche Biografie

Herkunft von Wilhelm von Sens

Der exakte Geburtsort und das Geburtsjahr des Baumeisters sind nicht verzeichnet. Es wird vermutet, dass er aus Sens, einer im Norden Frankreichs in der Region Burgund gelegenen Stadt stammt und daher seinen Namen Wilhelm von Sens trägt. Die Stadt Sens gehört zum französischen Département Yonne und befindet sich am gleichnamigen Fluss Yonne etwa 130 Kilometer südlich von Paris. Vom 8. Jahrhundert bis 1622 war Sens durchgängig Erzbischofssitz und die Erzbischöfe von Sens waren jeweils Primas von Gallien und Germanien. Demzufolge hatte Sens eine bedeutende Rolle im kirchlichen Geschehen. Seit dem Jahr 1622 ist Sens eine eigenständige Erzdiözese.

Der Kirchenbau im Mittelalter

Mit der Völkerwanderung im 5. Jahrhundert und dem einhergehenden Niedergang des Imperium Romanum brach mit der erreichten Hochkultur auch der Berufsstand des Architekten zusammen. Es mischten sich im 6. und 7. Jahrhundert der von Zimmerleuten und Bauern ausgeführte traditionelle Holzbau und Reste römischer Bautechnik. Erst unter Karl des Großen entstanden Großklöster mit dreischiffigen Basiliken im Fränkischen Reich, die das neue geistige Zentrum bildeten. Im Frühmittelalter bildeten somit die Klöster das Bildungsmonopol. Die Klöster, der zur aktiven Arbeit verpflichteten Benediktiner waren die eigentlichen Bauschulen und bis zum 12. Jahrhundert Träger des monumentalen Kirchenbaus. Die Mönche erlangten ihre Fähigkeiten auf den Baustellen der Klöster und gaben ihre Kenntnisse auch an Laien weiter.

Mit dem Bau der Abteikirche Saint-Denis bei Paris um 1140 wurde die Gotik eingeleitet. Der zuständige Bauherr und Bauleiter von Saint-Denis, Abt Suger, beschrieb in seinem „Buch über die Kirchenweihe“ den Entwurf als spirituelles Programm und das neue Bauprinzip als gebaute Theologie. Nach Suger sollte das neue Licht durch die leuchtenden Bilderwände der Fenster die ganze Kirche durchströmen. Der mittelalterliche Sakralbau sollte durch das neue Verständnis vom Bauen zum Abbild und zur Verkörperung der göttlichen Ordnung werden.

Die neuen Werkmeister im 12. Jahrhundert

Durch vermehrte Stadtneugründungen im 11. und 12. Jahrhundert änderte sich die Struktur der europäischen Stadt und die Bürger dieser Städte setzten neue wirtschaftliche Impulse. Immer größere Kirchen und Kathedralen wurden gebaut. Zudem hielten die Klösterleitungen internationale Zusammenkünfte ab, wo unter anderem die kirchliche Baukunst erörtert wurde. Diese Beratungen legten den Grundstein für die international arbeitenden Bauhütten. Mit den immer größer werdenden Kirchenbauten übernahmen allmählich weltliche Werkleute die Aufgabe der Erbauung und lösten die Bruderschaften der Mönche in ihrer Tätigkeit ab. Seit dem 12. Jahrhundert zogen die Großbaustellen der gotischen Kathedralen Fachleute über die Ländergrenzen hinweg an, da sie in ihrer Größe und Qualität nicht mehr von der Kapazität der Bauzünfte allein bewerkstelligt werden konnten. Es bildete sich die Institution der Bauhütte, deren Baumeister international tätig waren und vielseitige praktische und theoretische Kenntnisse hatten. Die gesamte Ausbildung der Baufachleute vom Lehrling bis zum Baumeister erfolgte anhand der täglichen Baupraxis. Die nun tätigen neuen Baumeister oder Werkmeister hatten somit eine handwerklich praktische Ausbildung statt einer theoretischen. Ihre Arbeit am kirchlichen Bau begann mit dessen Planung und endete mit der Fertigstellung. Es lebte eine Art internationales Schulsystem auf. Die in einer Bauhütte organisierten Handwerker waren besonders gut ausgebildet und es galt eine Rangordnung nach der die Steinmetze als Fachelite an höchster Stelle standen. Die Bauhütten waren streng hierarchisch geordnete Handwerkergemeinschaften als Berufsgenossenschaften. Es galten eigene Hüttenordnungen und jedes Mitglied musste einen Eid darauf schwören. Die Pflichten jedes einzelnen waren genau geregelt und die Bauhütten hatten eine eigene Gerichtsbarkeit.

Wilhelm von Sens in Frankreich

Wilhelm von Sens war als einer der ersten gotischen Baumeister tätig, als die Architektur im gotischen Stil in Frankreich aufblühte und sich zu verbreiteten begann. Zur Erreichung des Titels „master mason“ hatte Wilhelm von Sens zuvor lange Lehrjahre bei einem Meister zu absolvieren. Es wird vermutet, dass Wilhelm von Sens innerhalb der Senser Bauhütte seine handwerklichen Fertigkeiten für das moderne Bauen im gotischen Stil erhielt. Es war nicht unüblich, dass angesehene Bauhütten gleichzeitig mehrere Kirchenbauten errichteten. In diesem Zusammenhang ist auch für Wilhelm von Sens anzunehmen, dass er an mehreren Großbaustellen bedeutender gotischer Kathedralen arbeitete. Wilhelm von Sens war verantwortlicher Baumeister für den im Jahr 1140 begonnenen Bau der Kathedrale von Saint-Etienne in Sens, welche zusammen mit der 1136 begonnenen und 1144 geweihten Abteikirche Saint-Denis nahe Paris, in deren Verbindung sein Name auch erwähnt wird, eine der ältesten und ersten Bauwerke im gotischen Stil ist. Als Meister - master mason - werden Wilhelm von Sens zudem weitere Gebäude in Frankreich zugerechnet. Unter anderem z.B. in Valenciennes. In seinen Entwürfen benutzte er Spitzbögen sowie Schwibbögen und das Kreuzrippengewölbe zur Betonung der Vertikalität der Säulen und Spitzen um eine größere lichte Raumhöhe zu erzeugen. Zudem beherrschte er den Umgang mit dem Baustoff Holz genauso gut wie mit Stein.

Wilhelm von Sens in England

Auf Grund der internationalen Freizügigkeit der Werkmeister kam auch Wilhelm von Sens über die Landesgrenzen von Frankreich nach England und erschuf seinen bekanntesten Bau, den gotischen Chor der Kathedrale in Canterbury. Der Ruf und die Erfindungsgabe von Wilhelm von Sens verschafften ihm die Aufmerksamkeit der Mönche von Canterbury [SCHRÖDER 2000]. Zum Wiederaufbau der Kathedrale in Canterbury wurden französische und englische Baumeister berufen, die als erstes die Überreste der eingestürzten Kathedrale zu begutachten hatten. Die herbeigerufenen Baumeister schlugen verschiedene Lösungen vor. Eine Partei setzte sich für die vollständige Rekonstruktion der ehemaligen Kathedrale ein. Wilhelm von Sens gehörte zu der zweiten Partei, deren Ansatz es war, die Überreste ab zu reißen und die Kathedrale im neuen Stil wieder aufzubauen, um dadurch auch mehr Sicherheit vor einem erneuten Einsturz zu gewährleisten. Wilhelm von Sens wurde die Leitung und Organisation des Baues zugesprochen und er war zuständig die angereisten Steinmetze anzuleiten oder ihnen neue Fertigkeiten beizubringen. Als leitender Werkmeister der Kathedrale stand er in der Rangordnung an höchster Stelle. Bedauernswerterweise stürzte Wilhelm von Sens im vierten Jahr seiner Tätigkeit (1178) von einem Baugerüst 15 m in die Tiefe. Der Sturz hinterließ schwere Verletzungen, die ihn aus dem Krankenbett nicht wiederkehren ließen. Anfangs versuchte er noch den Bau weiterhin aus der Ferne zu leiten, übergab die Bauleitung aber bald darauf einem seiner Mitarbeiter, einem Mönch. Wilhelm von Sens war im Jahre 1179 nicht länger der Auffassung, dass er gesunden würde und kündigte das Werk auf. Er verließ Canterbury und kehrte nach Frankreich zurück. Angenommen wird, dass er in seine Heimatstadt Sens zurück reiste. Am 11. August 1180 erlag Wilhelm von Sens den erlittenen Verletzungen seines Sturzes vom Baugerüst.