Wilhelm von Sens († 1180) Erfindungen und genutzte Technologien in der Zeit der Frühgotik

Arbeitsweisen des gotischen Baumeisters

Im Hochmittelalter waren Ingenieure und Architekten, wie wir diese Berufsgruppen heute definieren, unbekannt. Die Baufachleute der Früh- und Hochgotik planten weder am Reißbrett, noch stellten sie statische Berechnungen auf. Sie waren in erster Linie Handwerker. Wie auch Wilhelm von Sens hatten sie eine lange und harte Lehrzeit zu absolvieren. Ein Maurer lernte zum Beispiel drei und ein Steinmetz fünf Jahre bei einem Meister. Daraufhin wanderten sie zwei Jahre von Hütte zu Hütte, um ihre Kenntnisse zu vertiefen. Nur die Fähigsten unter ihnen durften bei einem Hüttenmeister „als Diener auf Kunst“ zwei weitere Jahre weiter lernen, um zum Baumeister aufzusteigen. Meist folgte noch die Arbeit als Parlier (Vertreter oder Sprecher des Meister), bevor dem jungen Baumeister ein Bau übertragen wurde. In etwa zehn Jahren wurden die Lehrlinge bis zum Meister ihres Handwerks ausgebildet und hatten sich aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten spezialisiert. Die Mitglieder einer Bauhütte verband ein ausgeprägtes Berufsethos und selbst die leitenden Hütten- oder Werkmeister ließen sich stolz mit ihren Handwerkszeugen abbilden. Im 12. Jh. waren allein die Steinmetze in den Bauhütten vereinigt. Erst in den späteren Jahrhunderten wurden die Maurer zugelassen. Wilhelm von Sens war Steinmetz und ein so genannter „master mason“ - Werkmeister, welcher die Baufachleute (Zimmerleute, Maurer etc.) bei der Konstruktion einer Kathedrale anleitete und in dem Sinne als Architekt, Ingenieur, Verwalter und Bauleiter funktionierte.
 
Das Können des Hüttenmeisters lag vor allem im Koordinieren der einzelnen Leistungen der Steinmetze und Mauerer am Bauwerk, die grafische Darstellung der konstruktiven Lösung für den nächsten Bauabschnitt sowie der Bemessung der Bauteile. Er plante das Gebäude in seiner Form und dessen Konstruktion, überwachte den Transport und das Brechen der Steine, bestimmte die Form der Werksteine und erstellte Muster, welche für den späteren Zuschnitt der Steine gebraucht wurden, um Türen, Fenster, Bögen und Gewölbe auszubilden. Mit den Gesetzen der Geometrie war es ihm möglich die Aufrisse für den Bau mittels Quadratur und Triangulatur zu planen.

Die Geometrie

Im Alten Testament heißt es: „Du (Gott) hast alle Dinge nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“ In der von Gott den Menschen geschenkten Geometrie lag die Grundlage des Messens und Berechnens. Darin sahen die Baumeister des Mittelalters ihr göttliches Lehrbuch und Werkzeug. Die Baukunst ist dabei die angewandte Geometrie und das Erscheinungsbild ist abhängig von der Harmonie der Proportionen der Maße. Die Baumeister der Gotik gingen bei der Planung von einem Grundmaß aus. Auf der Grundlage der geometrischen Grundformen des Quaders und des Dreiecks bestimmten sie alle Maße und Maßverhältnisse.
 
Die Kenntnis über das „Rechte Maß“, welches sich aus Quadratur und Triangulatur ergab, wurde als göttliches Geheimnis in den Bauhütten streng geheim gehalten. Wo sich bei früheren Bauten mit Ritzzeichnungen an den Wänden oder auf dem Fußboden beholfen wurde, waren die Aufrisse vom gotischen Baumeister etwas Neues. Aus diesem Grund wird der Werkmeister der Bauhütte oftmals als Baukünstler mit Zirkel und Winkelmaß dargestellt. Dies war das Werkzeug für den Riss, aber auch für die Schablonen und das Aufschnüren des Grundrisses auf dem Baugrund. Von Wilhelm von Sens sind derartige Skulpturen, Büsten, die meist in den erstellten Bauten selbst zu finden sind, oder gezeichnete Aufrisse nicht überliefert.
 
Die Baumeister arbeiteten nach Erfahrungen, Beobachtungen und Konstruktionshilfen. Statische Kenntnisse und Berechnungen gab es keine. Aus diesem Grund arbeiteten sie mit Modellen, die aus den Grundrissen abgeleitet wurden. Dabei kam es des Öfteren zum Einstürzen von Türmen und Gewölben, was den Baufortgang um einige Jahre verzögerte. Erst Ende des 14. Jahrhunderts zeigte sich die erste Abgrenzung des berechnenden Meisters vom reinen Praktiker. Der gelehrte, theoretisch denkende und entwerfende „Architectus“, der nicht mehr dem Handwerkerstand zugehörig war, entwickelte sich aber erst im 16. Jahrhundert, in der Renaissance.

Erfindungsreichtum und Fertigkeiten

Die gotische Baukunst setzte hoch entwickelte, technische und handwerkliche Fähigkeiten voraus, die der Baumeister in seiner langen Lehrzeit in der Bauhütte erwarb. Dem Bericht des Gervasius von Canterbury zufolge entwickelte Wilhelm von Sens ausgeklügelte Maschinen für die Be- und Entladung der Transportschiffe, mit denen die aus Frankreich angeforderten Steine befördert wurden. Des Weiteren ist beschrieben, wie er Schablonen/ Vorbilder den Steinmetzen zum Formen der benötigten Steine und Modelle nach den Grundrissen den Maurern bereitstellt. Die Schablonen waren aus Holz gefertigt und dienten als Vorlage der Steinmaße. Zur Beförderung der Steine und des Mörtels in die Höhe auf der Baustelle konstruierte Wilhelm von Sens Arbeitsgeräte wie z.B. Winden.