Fliegende Flächen 2011

Studierende im Masterstudium der Architektur und des Bauingenieurwesens entwarfen, planten und bauten über den Zeitraum eines Jahres eine Membranskulptur zum 20-jährigen Gründungsjubiläum der BTU Cottbus im Sommer 2011.

Vom ersten Entwurfskonzept bis zur handwerklichen Beteiligung bei der Umsetzung realisierten Studierende die Membranskulptur in Zusammenarbeit mit der Firma TEGE.

Einführung

Fliegende Flächen - ein Höhenflug

Großes fängt klein an. 30 mm – mehr nicht. Dies ist die Breite eines Membransegels an der äußersten Spitze, wo sich das Gurtband um den Schäkel legt. Hier liegt der Ursprung für etwas Großes. Das Gurtband verzweigt sich – in dem sich stetig vergrößernden Zwischenraum entspringt die Membranfläche. Diese wird rasch größer und nimmt Rundungen an, je weiter man sich vom Ursprung entfernt.

Unterdessen nehmen die Gurtbänder schwungvoll Anlauf auf die nächste Spitze. Dazwischen formt sich in strahlendem Weiß eine gekrümmte Fläche auf, deren räumliche Gestalt durch die Nahtlinien visuell noch klarer erlebbar wird. Dies ist die Eleganz des Membranbaus.

Dieses Bild bot die Membranskulptur „Mettre“ dem Betrachter, der – vielleicht in der Hängematte liegend – seine Blicke nach oben schweifen ließ. Die Membran spannt über ihm – ein Himmels- Zelt. Mettre, aus dem Französischen, heißt „gehen, stellen, legen“. Es lohnt sich, von der Hängematte aufzustehen und neue Blickwinkel zu entdecken. Die Membranflächen verändern ihre Form mit jedem Schritt. Ein großes Segel, welches eben noch flächig den Blick verstellte, wird zu einem dünnen, weißen Strich. Andere Flächen dagegen gewinnen an Dominanz. „Mettre“ ist eine begehbare Skulptur, die erlebt werden will. Der Besucher bleibt in Bewegung, um die Bewegung der „Fliegenden Flächen“ vollends zu erleben. Es gibt kein Anfang und kein Ende, kein vorne und hinten. Nur eine schier unendliche Anzahl von neuen Perspektiven.

Schließlich kommt das Unvermeidliche: die Sehnsucht, die scheinbar so fragilen Stoffgebilde zu berühren, anzufassen. Sie stehen unter Spannung, sind hart. Das überrascht. Sie sind so fest, dass man auf ihnen mit den Fingerkuppen trommeln kann. Es wird die Kraft spürbar, welche die Form am Leben hält. Ohne die Vorspannung wären die Segel ein faltiger Klumpen Stoff. Form und Kraft bedingen einander. Das ist die Physik des Membranbaus.

Minimalflächen. Gerechnete Gebilde. Der Blick folgt dem Bahnenverlauf bergab zur nächsten Spitze. Die Gurtbänder sammeln die Kräfte ein, alles mündet im Schäkel, hochkonzentriert, und fließt ab durch den Wantenspanner und das Anschlagseil in die Fachwerkträger. Sie bilden das Rückgrat der Skulptur, ein Rahmen im statischen Sinne und im gestalterischen: ein dreidimensionaler Bilderrahmen, der den „Fliegenden Flächen“ den Raum bot, sich zu entfalten.

Dies zu entwerfen, verstehen, zu visualisieren, zu berechnen, zu verfeinern, zu errichten und zu erleben – es hat Spaß gemacht. Studierende der Fachrichtungen Architektur, Bau- und Wirtschaftsingenieurwesen bildeten ein Team. Die Architekten entwickelten Anordnung und Form der Membransegel, die Bauingenieure überprüften Tragfähigkeit und Standsicherheit des Rahmensystems, die Wirtschaftsingenieure organisierten wichtige Bauteile. In den wöchentlichen Seminaren wurden Ergebnisse ausgetauscht und Etappenziele definiert. Multidisziplinäre Projektarbeit.

Gefragt war nicht nur der Kopf. Fingerspitzengefühl half beim Schneiden des Membranstoffes bei TEGE. In der Realität gibt es keine Undo-Funktion. Muskelkraft war beim Aufbau des Fachwerkgerüstes gefragt, dort vor allem beim Beladen der Stützenfüße mit Betonplatten. Mut brauchte es, um in 4 m Höhe auf dem Fachwerkträger rutschend die Lampen zu befestigen. Und das Spannen der Segel gelang nur, da alle an einem Strang zogen.

Die Membranskulptur als Ganzes gelang nur, da alle an einem Strang zogen. Innerhalb der BTU Cottbus – Verwaltung, Lehrstühle, Zentralwerkstatt - aber vor allem darüber hinaus. TEGE Planen und Zelte GmbH sagte Unterstützung zu bereits im Herbst 2009, als Umfang und Aufwand des Projektes noch gar nicht feststand. MMC, die Multi-Mediale Cooperative, war kooperativ von Anfang an. Die Max-Grünebaum-Stiftung sicherte die Finanzierung. Das Vermächtnis des Cottbuser Tuchfabrikanten und Namensgebers lebend und pflegend unterstützt die Stiftung das Bauen mit Textilien. Es fügt sich.

Der Kreis der Förderer weitete sich stetig bis zum Tage der Eröffnung. Sie alle machten der BTU zum 20. Geburtstag ein Geschenk: die Membranskulptur. Der Wert dieses Geschenkes geht weit über das Materielle hinaus. Durch den Praxisbezug haben wir – die Studierenden und der Seminarleiter - sehr viel gelernt. Ein passenderes Geschenk zum Geburtstag einer Bildungseinrichtung ist kaum vorstellbar.

Frank Ohm

Seminar "Fliegende Flächen" im WS 2010/11

Form und Tragverhalten bedingen einander bei Membranbauten. Unmöglich kann der Architekt ein Membrantragwerk im Computer (früher hieß das:am Reißbrett) entwickeln und anschließend dem Statiker zum Rechnen geben. Wie bei kaum einer anderen Konstruktionsweise sind Gestalt und Stabilität- also Architektur und Tragwerk - so anschaulich,so unmittelbar erlebbar wie bei Membranbauten. Ein ideales Thema in der Tragwerkslehre und sehr gut geeignet, um die projektbezogene Zusammenarbeit von Studierenden der beiden Fachrichtungen Architektur und Bauingenieurwesen zu fördern. „BTA2“ und „HI 4“ waren inhaltlich eins: „Fliegende Flächen“.

Die zweisemestrige Lehrveranstaltung befasste sich im Wintersemester 2010/11 mit den theoretischen Grundlagen des Membranbaus und dem Entwurf der Membranskulptur. Der am Semesterende aus einem seminarinternen Wettbewerb hervorgegangene Siegerentwurf wurde im Sommersemester 2011 weiter ausgearbeitet und schließlich gebaut.

Tragwerksplanung
Aufbau und Eröffnung