Johann Wilhelm Schwedler (1823 – 1894) Würdigung

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand Johann Wilhelm Schwedler im Mittelpunkt der Ingenieurwissenschaften und besaß einen entscheidenden Einfluss auf die Eisen- und Brückenbauten Preußens. Eine Würdigung dieser Leistung erfuhr Schwedler noch zu Lebzeiten in Form seines Aufstieges im preußischen Beamtenapparat. Sein arbeitsreicher Lebensweg wurde darüber hinaus mit zahlreichen Ehrungen geschmückt: Den Anfang bildete der Rote Adlerorden IV. Klasse im Jahr 1864. Drei Jahre später, 1867 wurde Schwedler für seine Verdienste um die Weserbrücke bei Corvey im Rahmen der Pariser Weltausstellung mit der Goldmedaille ausgezeichnet. 1880 folgte die Verleihung des Roten Adlerordens II. Klasse. 1881 schloss sich eine erneute Ehrung von internationalen Range an: Schwedler erhielt durch den italienischen König Umberto I. (1844-1900) das Große Offizierskreuz, ein Orden der italienischen Krone für Kunst und Wissenschaft. Eine weitere goldene Medaille wurde ihm als Honorierung für seine Verdienste um das Bauwesen 1883 zuteil. Höhepunkt der gebührenden Würdigung durch Fach- und Arbeitswelt war zweifellos die Ernennung Schwedlers zum „Wirklichen Geheimen Oberbaurat“ mit dem Range eines „Rates erster Klasse“ bei seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahre 1891. Diese Verleihung war verbunden mit einer Kundgebung hochrangiger Baumeister jener Zeit und die Überreichung eines künstlerisch gestalteten Huldigungsschreibens mit über 3‘500 Unterschriften aus Fachkreisen des In- und Auslandes an Schwedler. Darin heißt es:

„Zum heutigen Tag, an welchem Sie nach einer langen, arbeitsvollen und segenreichen Tätigkeit im Dienste des Staates, der Wissenschaft und des Bauwesens aus dem öffentlichen Amte scheiden, nahen sich die Vertreter Ihrer Berufsgenossen in Deutschland und über das Reiches Grenzen hinaus, soweit deutsche Arbeit und deutsche Wissenschaft reich, um Ihnen den Zoll freudiger Anerkennung und Dankbarkeit darzubringen. Ihre hervorragenden Verdienste in aller Zweigen des Ingenieurwesens werden in die Geschichte des Bauwissenschaften allezeit einen hohen Ruhmesplatz einnehmen.“ [HERTWIG 1930, S. 37-38; O.A. 1891, S. 89]

Rückblickend prägte Johann Wilhelm Schwedler wie kein anderer die konstruktiven Ingenieurbauten Preußens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Einerseits bildete er durch seine bauwissenschaftlichen Untersuchungen die Grundlagen für neue Bautechniken. Andererseits befähigte ihn seine Beamtenstelle entscheidenden Einfluss zu nehmen. Werner Lorenz formuliert es in seinem Artikel „200 Jahre eisernes Berlin“ treffend:

„Gerade über die Stellung gewinnt er für den Bereich der Ingenieurbauten eine Bedeutung im preußischen Staatsbauwesen, die nur derjenigen vergleichbar ist, die Schinkel ein halbes Jahrhundert zuvor durch seine Position in der Königlichen Oberbaudeputation zugekommen war.“ [LORENZ 1997, S. 297].

Mit seinen drei wichtigsten Innovationen – dem Schwedler-Träger, der Schwedler-Kuppel und dem Dreigelenksystem – setzte Johann Wilhelm Schwedler besondere Marksteine in der Etablierungsphase des Eisen- und Stahlbaus. Ebenso erarbeitete er wichtige Konstruktionsprinzipien und schuf klare Bemessungsregeln für Konstruktionen im Eisenbau. Die Veröffentlichung seiner Überlegungen in Zeitschriften, bei Vorträgen und Fachdiskussionen machten diese der Fachwelt zugänglich. Sein technisch-wissenschaftlicher Diskurs diente darüber hinaus der Mathematisierung der Ingenieurwissenschaft und war seiner Zeit weit voraus.

Das Lebenswerk Schwedlers wird in zahlreichen Nachrufen und Artikeln gelobt. Nachfolgend sind in unkommentierter Weise entscheidende Zitate angeführt, durch die sein tiefgreifender Einfluss auf die Ingenieurbaukunst, seine Arbeitsweise und seine Person in würdigenden Worten aus dem Blickwinkel von Zeitgenossen Schwedlers, späteren Bewunderern und Autoren unserer Zeit fassbar werden:

„Im Konstruktiven Ingenieurbau der deutschsprachigen Länder der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nimmt Schwedler den ersten Platz ein. Wie kein anderer prägte er die Konstruktionssprache des Eisenbaus.“ [KURRER 2013]

„Betrachtet man das Lebenswerk Schwedlers aus heutiger Sicht, soweit das überhaupt in dieser zeitlichen Entfernung möglich ist, kann man sich nur in tiefster Hochachtung vor diesem genialen Bauingenieur verneigen, der es in hervorragender Weise verstanden hat, praktische Erfahrungen und Theorie in fruchtbarster Form auf dem notwendigen Niveau zu vereinigen. Niemals war ihm die Theorie Selbstzweck, aber umgekehrt wurde auch jede neue Bauaufgabe auf der theoretischen Basis untersucht, die ihren Anforderungen entsprach. Seine vielzähligen Veröffentlichungen trugen dazu bei, sein Wissen und seine Erkenntnisse den Berufskollegen zu vermitteln und das allgemeine Niveau des Stahlbaues in kurzer Zeit wesentlich zu erhöhen.“ [WERNER 1990, S. 7]

„[...] Johann Wilhelm Schwedler, der uns am 9. Juni d. J. entrissen ward, „unser“ Schwedler, wie wir ihn mit Stolz nennen, der seine ganze Kraft, seinen klaren, durchdringenden Forschergeist stets in den Dienst des praktischen Lebens gestellt hat – zur Lösung der großen und neuen Aufgaben, welche die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts, die Zeit einer vorher nicht geahnten Entwicklung des Verkehrs- und Eisenbahnwesens, in immer sich steigernder Fülle der Ingenieurwissenschaft in allen ihren Zweigen darbot. [...] Schwedlers Schaffen hatte überall strenge wissenschaftliche Anschauung zur Grundlage, und ihm in erster Linie ist es zu danken, wenn im Bau- und Ingenieurwesen, namentlich auf dem von ihm besonders gepflegten Gebiete des Eisenbaues, die mathematisch-physicalische Richtung zur vollen Geltung gebracht ist.“ [SARRAZIN 1895, Sp. 1-2]

„Schwedlers Umgang mit statischen Problemen zeichnet sich vor allem durch eine für die damalige Zeit neue Herangehensweise im Denken aus: Nicht mehr das Experiment, sondern die Berechnung war Grundlage für die nach ihm benannte Kuppel und für den nach ihm benannten Träger.“ [KNIPPERS 2000, S. 105]

„Schwedler hatte auch wegweisende Brückenträger sowie Dreigelenkbinder für Hallen entwickelt, unter anderem für den Frankfurter Hauptbahnhof. Doch gerade seine Kuppel war ihrer Zeit weit voraus. Dabei hatte er sie noch nicht im Detail berechnen können, sondern mit seinem ingenieursmäßigem Gefühl entwickelt.“ [BARDUA o.J.] 

„Sicherheit durch mehr Beweglichkeit: Wie ein Leitsatz durchzieht die Idee Schwedlers Lebenswerk.“ [LORENZ 1990, S. 6]

„Schwedler war [...] eine durch und durch heitere Natur; er liebte frohsinniges, geselliges Wesen und hat als Jüngling wie als gereifter Mann den gebornen Berliner sein ganzes Leben hindurch nicht verleugnet, ...“ [SARRAZIN 1895, Sp. 3]

„In seltener Harmonie vereint er technische Instinkte und Feingefühl für Konstruktionen mit der Fähigkeit, Naturzusammenhänge zu klären und in mathematische Form zu kleiden.“ [HERTWIG 1923, S. 320]

„Der Grundsatz Schwedlers, eine technische Aufgabe so lange durchzudenken, bis er die einfachsten Mittel für ihre Lösung gefunden hatte, wird besonders eindrucksvoll sichtbar in der Art, wie er das Kreuzbergdenkmal gehoben und gedreht hat.“ [HERTWIG 1950, S. 25]

„In Schwedler dürfen wir einen von den wenigen Männern verehren, welche der Baukunst und insbesondere in ihrer Anwendung auf den Eisenbau in der Zeit großartigster Entwicklung des Eisenbahnwesens den Stempel ihres überlegenen Geistes aufgedrückt haben. Er war ein Pfadfinder auf wichtigen Gebieten des Bauwissenschaft, und die Ergebnisse seiner Forschungen werden unvergessen bleiben, wenn die schmalen Pfade, auf denen er jene Gebiete seinen Zeitgenossen zugänglich machte, von der rastlos weiter bauenden und umgestaltenden Wissenschaften längst durch breite und bequeme Heerstraßen ersetzt sein werden.“ [SARRAZIN/ HOFSFELD 1894, S. 246]

„Zentrale Bedeutung als Optimierungskriterium hat für ihn dabei das Primat größtmöglicher Einfachheit, sowohl für das Bauwerk selbst als auch für die Bauausführung, die möglichst praktische und zuverlässige Realisierbarkeit.“ [LORENZ 1997, S. 298]