Diskussion über den Umgang mit dem Haus Wolf in Gubin

Haus Wolf: Digitale Rekonstruktion auf Grundlage der im "The Wolf House Project" gesammelten Daten.
© BTU Cottbus 2001

Der AIV-Salon wird am 23. Mai 2016 die verschiedenen Standpunkte der Diskussion an einen Tisch bringen: 

Das Haus Wolf in Gubin, Mies van der Rohe: Rekonstruktion oder nicht?

Statements

Wenn Sie ein Statement zur Diskussion abgeben möchten, schicken Sie es bitte per E-Mail an cultural-heritage-centre(at)b-tu.de. Wir werden es dann an dieser Stelle veröffentlichen.

Franco Stella

Zerstörte Baudenkmäler: Rekonstruktion versus Interpretation

Anlass dieser Schrift ist ein Brief Philipp Oswalts an Florian Mausbach – von diesem an die Freunde und Unterstützer der Rekonstruktion der Mies van der Rohe Villa Wolf in Gubin verteilt – dessen Inhalt ein Plädoyer für die „zeitgemäße Interpretation“ gegenüber der „originalgetreuen Rekonstruktion“ ist. Die erste wird am Beispiel des Fioretti-Marquez-Wiederaufbaus der Gropius’chen Meisterhäuser in Dessau, die andere an den Beispielen der geplanten Rekonstruktion der Mies van der Rohe Villa und des Berliner Schlosses vorgeführt. Die gegen die originalgetreue Rekonstruktion erhobenen Vorwürfe beruhen meines Erachtens auf einer „integralistischen” Idee des Neuen, die keine Autonomie der Architektur von Technik und Mode anerkennt. Konsequent wird auch eine durch einen gewaltsamen Akt der Menschen oder Naturkatastrophe verursachte Zerstörung eines wertvollen Bauwerks als unverhoffte Gelegenheit zur Durchsetzung des Neuen begrüßt.
Oswalts Bezeichnung der “zeitgemäßen Interpretation” der Dessauer Meisterhäuser als Rekonstruktion scheint mir nicht berechtigt. Die geistige Vaterschaft obliegt nun den Architekten Bruno Fioretti Marquez und nicht mehr Gropius. Egal ob gut oder schlecht, ist die Bruno Fioretti Marquez Architektur keineswegs als die Gropius Architektur unserer Zeit anzusehen.
Wenn kein originaler Teil mehr vorhanden ist – wie es beim Direktorenhaus in Dessau der Fall ist – wie wird verständlich, dass ein neuer Text die Interpretation eines alten ist? Das wiederaufgebaute Haus in Dessau – sowie auch die Paulinerkirche in Leipzig – ist keine Wiedergewinnung eines verlorenen Originals.
Für eine falsche Schlussfolgerung, häufig in der Doktrin der Moderne, halte ich die Idee, dass eine Rekonstruktion, die ein Neubau im materiellen und technischen Sinne sein muss, auch eine neue Form, und ggf. auch eine neue Materialität, haben soll. Der wesentliche Unterschied zwischen Entwerfen und Bauen, Konzeption und Konstruktion, wird damit missachtet. Anders als in der Malerei hängt in der Architektur sowohl die erste Konstruktion als auch die Rekonstruktion nicht von der Hand des Architekten ab, sondern von zeichnerischen, photographischen und literarischen Dokumenten, die den Entwurf (bzw. eine verlorene Konstruktion) für einen Bau versinnbildlichen, der dann von anderen Händen auch erst viele Jahre später ausgeführt werden kann.
Sehr allgemein erscheint mir auch Oswalts Vorwurf, dass eine originalgetreue Rekonstruktion die Ereignisse der Geschichte verschleiere. Als eloquentes Zeugnis einer traumatischer Geschichte hätten die kriegszerstörten Baudenkmäler Berlins als “Trümmertheater” erhalten bleiben sollen? Eher das Gegenteil scheint mir fast immer richtig.
Die möglichst originalgetreue Rekonstruktion eines wertvolles Bauwerks ist meist die beste zivile Reaktion auf gewaltsame Akte der Zerstörung, sei es durch die Menschen oder durch die Natur.
Im Fall des Berliner Schlosses: Sollten die von Nationalsozialisten oder DDR-Machthabern verursachten Zerstörungen das letzte Wort sein?
Für die Wiedergewinnung bzw. Vergegenwärtigung der zivilen und kulturellen Werte des Berliner Schlosses, der Mies Villa Wolf, sowie der kürzlich vom IS zerstörten Baudenkmäler von Palmyra, ist meines Erachtens die “originalgetreue Rekonstruktion” das bestmögliche Instrument. Als “originalgetreue Rekonstruktion” meine ich die Rekonstruktion eines Bauwerks “wo und wie es war”, auch wenn dies nur durch einen “möglichst nicht wahrnehmbaren” Einsatz neuer Bausubstanz und neuer Technik erfolgen kann.

Der Aufruf vom 17.02.2016 und seine Unterzeichner

„Als auf dem Fachgebiet des Kulturerbes tätige Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer betrachten wir die Absicht, das von Ludwig Mies van der Rohe erbaute und 1945 zerstörte Haus Wolf in Gubin zu rekonstruieren, mit großer Skepsis. Es gibt viele Aspekte, die gegen einen solchen Wiederaufbau sprechen. Unserer Meinung nach unterschätzen die Initiatoren die vielfältigen inhaltlichen wie finanziellen Probleme, die eine Rekonstruktion mit sich brächte, gleichzeitig überschätzen sie deren Nutzen für die Stadt Gubin und für das architekturhistorisch interessierte Publikum. Wir plädieren stattdessen dafür, eine ergebnisoffene Diskussion über den Ort und das verlorene Bauwerk einzuleiten und zu betreiben, mit dem Ziel, dessen vielfältige Bedeutung und Aussagekraft zu erforschen sowie adäquate Ausdrucksmittel zu finden, diese am Ort zu vermitteln.“

As ICOMOS experts assembled in Paris for a conference on post-trauma reconstruction, we view the intention to rebuilt Mies van der Rohe’s Wolf House in Gubin, destroyed in 1945, with great skepticism. There are many aspects arguing against this reconstruction. We feel the initiators of the project underestimate the manifold problems of reconstructing such a building whilst overestimating the benefit for the town of Gubin and for the public. Instead we plead for an open-ended process of discussion about the place, aiming at exploring its manifold significance and at finding the best ways of communicating this significance at the site.

Prof. Dr. Martina Abri, Potsdam
Prof. Dr.-Ing. Uwe Altrock, Kassel
Prof. Inken Baller, Berlin
Prof. Berthold Burkhardt, Braunschweig
Prof. Dr. Adrian von Buttlar, Berlin
Prof. Dr. Nott Caviezel, Wien
Prof. Dr. Thomas Danzl, Dresden
Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin
Prof. Dr. Christian Freigang, Berlin
Prof. Dr. Bernhard Furrer, Bern
PD Dr. Regina Göckede, Berlin
Prof. Dr.-Ing. Valentin Hammerschmidt, Dresden
Prof. Dr. Jörg Haspel, Berlin
Prof. Dr.-Ing. Adolf Hoffmann, Berlin
Prof. Dr. Carola Jäggi, Zürich
Prof. Dr. Detlef Karg, Berlin
Prof. Dr. Axel Klausmeier, Berlin
Prof. Werner Koch, Berlin
Prof. Dr.-Ing. Silke Langenberg, München
Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz, Cottbus/Berlin
Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier, Weimar
Prof. Dr. Elisabeth Merk, Dresden
Prof. Dr. Georg Mörsch, Zürich
Prof. Heinz Nagler, Cottbus
Prof. Philipp Oswalt, Kassel
Dr. Walter Prigge, Leipzig
Prof. Dr.-Ing. Christian Raabe, Aachen
Prof. Dr.-Ing. Klaus Rheidt, Cottbus
VProf. Dr. Britta Rudolff, Cottbus
Prof. Dr. Carsten Ruhl, Frankfurt/Main
Prof. Dr. Ingrid Scheurmann, Berlin
Prof. Dr. Leo Schmidt, Cottbus
Prof. Dr. h.c. Wolfgang Schuster, Cottbus/Berlin
Prof. Dr.-Ing. Andreas Schwarting, Konstanz
Prof. Dr. Eva-Maria Seng, Paderborn
prof.Ing.arch. DrSc. Vladimír Šlapeta, Brno
Prof. Dipl.-Ing. Oskar Spital-Frenking, Trier
Prof. Dr. Philip Ursprung, Zürich
Prof. Dr. Ines Weizman, Weimar
Prof. Thomas Will, Dresden
Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert, Berlin
Prof. Dr. Florian E.R. Zimmermann, München

E-Mail-Konversationen

17.10.2014  E-Mail von Florian Mausbach an Leo Schmidt
19.10.2014  Antwort von Leo Schmidt an Florian Mausbach

15.02.2015  E-Mail von Florian Mausbach an Leo Schmidt
27.03.2015  Antwort von Leo Schmidt an Florian Mausbach

28.04.2015  E-Mail von Florian Mausbach an Leo Schmidt
28.04.2015  Antwort von Leo Schmidt an Florian Mausbach

02.05.2015  E-Mail von Florian Mausbach an Leo Schmidt

16.10.2015  E-Mail von Leo Schmidt an Florian Mausbach
16.10.2015  Antwort von Florian Mausbach an Leo Schmidt

18.10.2015  E-Mail von Leo Schmidt an Florian Mausbach (Leo Schmidt bezieht sich auf diesen Artikel)
18.10.2015  Antwort von Florian Mausbach an Leo Schmidt

17.02.2016  Aufruf-E-Mail von Leo Schmidt an Kollegen

22.02.2016  E-Mail von Leo Schmidt an die Bürgermeister Bartczak (Gubin/PL) und Mahro (Guben/D)

24.02.2016  E-Mail von Florian Mausbach an Philipp Oswalt
17.03.2016  Antwort von Philipp Oswalt an Florian

26.02.2016  E-Mail von Leo Schmidt an Kollegen

27.02.2016  E-Mail von Dietrich Neumann an Leo Schmidt
28.02.2016  Antwort von Leo Schmidt an Dietrich Neumann
01.03.2016  Antwort von Dietrich Neumann an Leo Schmidt

05.04.2016  E-Mail von Dietrich Neumann an Philipp Oswalt
05.04.2016  Antwort von Philipp Oswalt an Dietrich Neumann
05.04.2016  E-Mail von Leo Schmidt an Dietrich Neumann und Philipp Oswalt

Zeitungsartikel
Veranstaltungen und Termine

23. Mai 2016

AIV Salon: Das Haus Wolf in Gubin, Mies van der Rohe: Rekonstruktion oder nicht?

Montag, 23. Mai 2016, 19.00 Uhr im AIV, Bleibtreustr. 33, 10707 Berlin, per Aufzug ins oberste Geschoss

Einladung

Ankündigung auf der Seite des Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin e.V.

11. März 2016

MIES VAN DER ROHE MUSEUM VILLA WOLF GUBIN – Die „Urvilla der Moderne“ – Mies van der Rohes Villa Wolf in Gubin – Wiederaufbau als Modell 1:1
Auftaktveranstaltung, Fachtagung und Ausstellung
Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek im Berliner Kulturforum
Programm

Studentenprojekte

BTU Cottbus-Senftenberg: Site Design: The Wolf House Revisited
Entwurfsprojekt der Lehrstühle Denkmalpflege und Entwerfen, Wohn- und Sozialbauten
betreut von Prof. Dr. Leo Schmidt, Weronika Bartkowiak, Prof. Bernd Huckriede, Dipl.-Ing. Barbara Witt
Projektseite


FH Potsdam: Rekonstruktion der kriegszerstörten Villa Wolf (Gubin) von L. Mies van der Rohe
UROP-Projekt von Sven Herrmann, betreut von Prof. Dr. Annegret Burg und Dr. Ivan Brambilla.
Projektseite