Technikgenese landschaftlicher Objekte mit Simondon 2020 | Seminar

Ein Bericht von Georg Hausladen.


Das Seminar „Technikgenese landschaftlicher Objekte mit Simondon“ wurde im Sommersemester 2020 in 14-tägiger Taktung als Wahlpflichtfach im Onlineformat angeboten. Es führte in die Technikphilosophie Gilbert Simondons ein und erprobte anhand spezifischer Fallstudien die Relevanz und Tragweite von Simondons Begriffsapparat für eine technologische Betrachtung der Genese von Landschaften.



Den zentralen Bezugspunkt des Seminars bildete Simondons technikphilosophisches Hauptwerk „Die Existenzweise technischer Objekte“ (Simondon, 2012 (1958)). Auf Basis eines „funktionalen“ Denkens (das sich allerdings in wesentlichen Zügen von dem Funktionsdenken der klassischen Kybernetik unterscheidet) und vor dem Hintergrund seiner Philosophie der „Individuation“ stellt Simondon die Genese des technischen Objekts in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Technische Objekte entwickeln sich ihm zufolge von einem „abstrakten“ zu einem „konkreten“ Zustand, womit fundamentale Veränderungen sowohl der inneren Organisation als auch der Umweltbezüge der Objekte einher gehen. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stehen dabei drei Typen von technischen Objekten, das „Element“, das „Individuum“ und das „Ensemble“, die jeweils eigenständige Organisationsformen darstellen, deren Spezifik sich aber stets nur relativ zueinander ergibt. Simondons übergeordnetes Ziel ist es, den technischen Objekten eine ihnen gebührende kulturelle Stellung zu verschaffen, die jenseits ihrer bloßen Nützlichkeit liegt. Explizit behandelt er allerdings nur „klassische“ technische Objekte. Seine Beispiele sind u. a. Verbrennungsmotoren, Elektronenröhren, Flugzeuge und Turbinen. Renaturierte Seen, Tagebaue, Wirtschaftswälder, Wiesen und Äcker oder auch Siedlungen und Städte, die prinzipiell ebenfalls als technische Individuen fokussiert werden können, behandelt er nicht, obwohl die Landschaft als „geographische Welt“ eine gewisse (aber nicht weiter explizierte) Rolle insbesondere auf Ebene der technischen Ensembles spielt. An diesem Punkt setzte das Seminar an.

Mit der Landschaft nahm das Seminar einen Bereich der technisierten Welt in den Blick, der nicht nur bei Simondon, sondern allgemein technikphilosophisch bislang kaum beleuchtet wurde. Anhand konkreter Fallstudien wurde die Relevanz und Tragweite von Simondons Denken des technischen Objekts für ein Verständnis der Landschaft untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich die Genese von Landschaften nur bedingt durch Simondons Begriff des technischen Objekts erschließt. Denn die Landschaft unterliegt einem Wandel, der über die Entwicklung spezifischer technischer Objekte (der Landschaftselemente) hinausgeht, weil sich die Nutzung an einem bestimmten Ort im Laufe der Zeit mitunter fundamental verändert. Und doch stehen, wie sich zeigte, auch die verschiedenen Nutzungen eines Ortes in einem genetischen Zusammenhang, der mit Simondon jenseits des „technischen Objekts“ als „Individuation“ der Landschaft erfasst werden kann.

Die Teilnehmer setzten sich im Anschluss an eine Einführungsveranstaltung und anhand eines Fragenkatalogs eigenständig mit dem ersten Teil von Simondons Technikbuch auseinander. Vor dem Hintergrund vorgeschlagener Themengebiete wählten sie Fallstudien, die sie im weiteren Verlauf des Seminars bearbeiteten. Die einzige Vorgabe bestand in der Verortung der Fallstudien in der Lausitz. Die Zwischenergebnisse wurden in zwei Vorträgen präsentiert und schließlich schriftlich ausgearbeitet. Insgesamt nahmen vier Studenten aus verschiedenen Fachrichtungen an dem Seminar teil. Sie bearbeiteten jeweils unterschiedliche Themenbereiche.

Eine Arbeit befasste sich mit Ruinenlandschaften und untersuchte konkret die Ruinen von Textilfabriken in Forst in der Lausitz, wobei zudem die Entwicklung von Webstühlen (manuell, mechanisch, digital) analysiert wurde. Eine weitere Arbeit nahm Industrielandschaften in den Blick und fokussierte das Kraftwerk „Schwarze Pumpe“ sowie damit assoziierte Anlagen (Tagebaue, Gipsproduktion, Teerseen). Die dritte Arbeit setzte sich mit Gewässerlandschaften in der Umgebung von Cottbus auseinander, die ganz unterschiedliche Entwicklungen durchliefen: der „Cottbuser Ostsee“, das Biosphärenreservat „Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaften“ sowie die „Spremberger Talsperre“. Die vierte Arbeit schließlich nahm verschwundene Landschaften in den Blick und durchleuchtete die Genese des Ortes „Wolkenberg“, der dem Tagebau zum Opfer fiel, um dann als Weinberg wieder aufzutauchen, im Vergleich zum Berliner „Teufelsberg“, der sich von einem Wald, über eine „wehrtechnische Fakultät“ in der NS-Zeit, zu einer US-Spionageanlage und schließlich zu einem sehr speziellen öffentlichen Raum wandelte. Diese letzte Arbeit wird hier zur Einsicht gestellt, weil sie sowohl das Potential des Denkens Simondons für die Transformation der Landschaft als auch die Problematik, diese im Sinne eines technischen Objekts zu denken, sehr gut verdeutlicht und daher eine hervorragende Diskussionsgrundlage für eine weiterführende Auseinandersetzung mit der Thematik bietet.