Für ein sicheres und solidarisches Cottbus

Offener Brief von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der BTU Cottbus-Senftenberg

Als Lehrende und Forschende am Institut für Soziale Arbeit der BTU nehmen wir Stellung zur aktuellen Debatte um Alltagsrassismus und Gewalt in unserer Stadt. Wir tun dies, weil Wissenschaft die Aufgabe hat, sich für Demokratie, gegenseitigen Respekt und Menschenwürde einzusetzen.

Mit Sorge nehmen wir die rassistische Gewalt von Personen wahr, die sich in der (extremen) Rechten organisieren. Der Zusammenschluss von rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppierungen in der Organisation "Zukunft Heimat" verbreitet eine Stimmung von Hass und Gewalt. Diese Stimmung trifft alle Menschen, die nicht in das völkische Weltbild passen. Die Statistiken der Berater_innen der Opferperspektive e.V. zeigen eine Zunahme von Fällen, in denen Geflüchtete und Einheimische, die sich für Demokratie einsetzen, von dieser Gewalt betroffen sind. Die Angst vor rassistischer Gewalt hat für viele Personen in Cottbus einen realen Hintergrund, viele haben Angst, auf die Straße zu gehen, weil ihnen bereits rassistische Beschimpfungen und/oder Bedrohungen widerfahren sind. Diese Angst geht uns alle an: Wir rufen dazu auf, eine kritische öffentliche Debatte über die Ursachen zu führen und gemeinsam Wege hin zu einem friedlichen, solidarischen Miteinander in der Stadtgesellschaft mit allen hier Lebenden zu entwickeln.

Mit Sorge haben wir einzelne Gewalttaten zur Kenntnis genommen, die von Geflüchteten ausgingen. Wir wurden Zeugen, wie diese unterschiedlichen Taten auf das Merkmal "Flüchtling" reduziert wurden. Dort, wo es nötig gewesen wäre, die individuellen Hintergründe zu beleuchten, wird allein der Umstand, dass die Tatverdächtigen "Fremde" sind, zu einem scheinbar logischen Erklärungsmodell. Mehr noch: So wird der Eindruck erweckt, als seien Flüchtlinge und andere Zugewanderte generell gefährlich oder gar gewalttätig. Dass Gewalt generell - egal von wem sie ausgeht - nicht akzeptabel und juristisch zu ahnden ist, ist aus unserer Sicht selbstverständlich; Gewalt zu ethnisieren, ist jedoch ein Problem und hilft uns nicht weiter.

Mit Sorge blicken wir seit langem auf die zunehmende Ausbreitung rassistischen Denkens und Handelns in unserer Stadt. Rechtsextreme Gruppen versuchen, systematisch die Verunsicherung in der Bevölkerung für ihre Zwecke zu nutzen. Dabei resultiert diese Verunsicherung aus den großen strukturellen Veränderungen, denen die Stadt Cottbus und die gesamte Lausitz unterworfen ist. So verbindet sich der offene Rassismus der Wenigen mit der Verunsicherung der Vielen. Geflüchtete, Zugewanderte und Schwarze Menschen, die schon lange hier leben oder hier geboren wurden, sind die Opfer dieser Kampagnen: Sie müssen immer häufiger mit Beschämung, Diskriminierung bis hin zu Angst vor Gewalt leben, weil ihnen subtil oder offen in dieser Stadt ein friedliches Leben verweigert wird.

Mit Sorge erfüllen uns Ergebnisse des Krisentreffens zwischen der Cottbuser Stadtverwaltung und Brandenburgs Innenministerium, zu denen gehört, vorläufig keine weiteren Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Cottbus aufzunehmen. Auch wenn die Forderung der Stadtverwaltung nach einem vorläufigen Zuzugsstopp schon viel länger besteht, entsteht der Eindruck, dass dieser Forderung aufgrund der gegenwärtigen menschenverachtenden oder rechten Hetze nachgegeben wurde. Dabei müssen wir hier aus Fehlern der Vergangenheit lernen: Wir wissen heute, dass die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl 1993 als Reaktion auf die Pogrome in Hoyerswerda (1991) und in Rostock (1992) dazu führten, dass Neonazis dies als Erfolg ihrer Kampagne feierten. Die gesellschaftliche Atmosphäre von Hass und Gewalt verschärfte sich weiter. Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass der Zuzugsstopp die Atmosphäre in Cottbus beruhigt. Auf diesem Weg wird es nicht gelingen, eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und des vorurteilsfreien Zusammenlebens verschiedener Menschen in der Stadt zu fördern. Erfahrungen in anderen Städten zeigen, welche Strategie eine veränderte Atmosphäre ermöglicht hat: Wichtig ist, dass alle Verantwortlichen in Politik, Verwaltung, Bildung, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft Rassismus und Rechtsextremismus als Problem klar benennen und sich für Demokratie einsetzen. Hierzu gehört zu allererst ein Perspektivwechsel auf die von Rassismus und rechter Gewalt Betroffenen, getragen von einer politisch geförderten demokratisch engagierten Zivilgesellschaft.

Wir halten eine öffentliche Diskussion für dringend erforderlich, die die bestehende Verunsicherung der Menschen in der Stadt ernst nimmt. Eine solche Debatte kann nur gelingen, wenn die Gleichwertigkeit und die Würde aller ihr Ausgangspunkt ist. Nehmen wir die Gleichwertigkeit aller Menschen ernst, dann werden andere Themen in den Mittelpunkt rücken. Wir werden über soziale Ungleichheit in nationalen und globalen Zusammenhängen reden. Wir werden über die Folgen des Strukturwandels im Land Brandenburg reden, über die Ressourcen, die der Stadt Cottbus zur Verfügung stehen und die den Rahmen für öffentliche Infrastruktur bilden. Wir werden reden müssen über die Lage von sozialen Randgruppen in der Stadt und von den Verunsicherungen in den sozioökonomisch abgehängten Regionen. Wir reden dann nicht mehr über Einheimische und Flüchtlinge, sondern über die Bedingungen, unter denen alle nach ihrer Fasson leben können.

Mit Zustimmung blicken wir auf das Versprechen, unter anderem mehr Stellen für Soziale Arbeit in Cottbus einzurichten. Die BTU Cottbus-Senftenberg bildet in Sachsendorf jedes Jahr nahezu 100 Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen aus. Viele dieser jungen Menschen haben großes Interesse, in der Region zu bleiben und hier ihren Beitrag zur Weiterentwicklung einer gerechteren Gesellschaft zu leisten. Oft genug erleben sie aber wenig gesellschaftliche und berufliche Anerkennung, die sich unter anderem in unzureichenden Arbeitsbedingungen äußert. Wir gehen davon aus, dass eine stärkere Anerkennung der Leistung von
Sozialer Arbeit auch zu einem solidarischen Zusammenleben aller in Cottbus beiträgt. Allen Beteiligten muss aber bewusst sein, dass die angedeuteten Probleme deutlich mehr verlangen, als die Soziale Arbeit auszubauen.

Wir fordern die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung dazu auf,
öffentliche Signale gegen rechtsextreme Gewalt und Alltagsrassismus zu setzen. Dies ist die Basis eines demokratischen Dialogs mit der Stadtgesellschaft, an der wir uns als Bürgerinnen und Bürger und als ExpertInnen beteiligen wollen. Die Zukunft von Cottbus liegt nicht in Ausgrenzung und Zuzugsstopp. Die Zukunft liegt darin, eine Vision davon zu entwickeln, wie Menschen, mit verschiedenen Erfahrungen, Wünschen, Lebensentwürfen, mit verschiedenen Ressourcen und
Fähigkeiten auf der Basis gegenseitigen Respekts zusammenleben
können.

Lehrende und Mitarbeitende des Instituts für Soziale Arbeit an der BTU Cottbus-Senftenberg: Dr. Oda Baldauf-Himmelmann, Prof. Dr. Birgit Behrensen, Dipl. Soz. Arb./Soz. Päd. André Berndt, Dipl. Soz. Päd. Kathrin Coobs, MA Sozialpädagogik Doinita Grosu, Prof. Karl-Heinz Himmelmann, Prof. Dr. Annemarie Jost, Gerd Kaufmann, Harald Kunz, Prof. Dr. Burkhard Küstermann, M.A. Christine Matt, Dr. Kay Mengel, Prof. Dr. Ulrich Paetzold, Prof. Dr. Norbert Pütter, Prof. Dr. Heike Radvan, M.A. Soziale Arbeit Anja Raschke, Dipl.-Kulturpäd. Katharina Roesler-Istvánffy, Prof. Dr. Agnes Saretz

Lehrende und Mitarbeitende des Instituts für Gesundheit an der BTU Cottbus-Senftenberg: Prof. Dr. Ludwig Bilz, Prof. Dr. Juliane Eichhorn, Prof. Dr. Heidrun Herzberg, Prof. Dr. Sven Michel, Prof. Dr. Jacob Spallek, Prof. Dr. Anja Walter

Lehrende und Mitarbeitende des Lehrstuhls Interkulturalität: Prof. Dr. Anna Amelina, Manuel Peters, Dr. Anca Prodan, Jana Schäfer, Miriam Trzeciak

Lehrende und Mitarbeitende des Studiengangs für Instrumental- und Gesangspädagogik an der BTU Cottbus-Senftenberg: Prof. Dr. Katharina Bradler, Jonas Olejniczak, Prof. Simone Schröder

Kontakt

Prof. Dr. phil. Heike Radvan
Methoden und Theorien der Sozialen Arbeit I
radvan(at)b-tu.de