Was die globale Abkühlung vor Jahrmillionen über die Dynamik des Klimawandels verrät

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ungarn, Frankreich und Deutschland entwickeln ein vereinfachtes Modell der Landbrücke zwischen Südamerika und der Antarktischen Halbinsel im südlichen Ozean und können damit bisherige Annahmen über eine der auffälligsten sprunghaften Klimaveränderungen in der Erdgeschichte besser einordnen.

Die Dynamik der historischen globalen Abkühlung, die mit der Vergletscherung der Antarktis einherging, wurde von einem internationalen Forscherteam mit einer Kombination aus Laborexperimenten und Computersimulationen modelliert. Ihre Ergebnisse erschienen im Oktober 2021 im Fachmagazin Scientific Reports. Sie werfen ein neues Licht auf die Zusammenhänge zwischen dem Klimaereignis vor 34 Millionen Jahren und aktuellen Kopplungsprozessen relevant für den Klimawandel.

Interdisziplinäre Forschungsgruppen aus den Fachbereichen Geophysik, Klimaforschung, Strömungsforschung, Geologie und Physik in Ungarn, Frankreich und Deutschland haben den Übergang von der erdgeschichtlichen Epoche des Eozän zum Oligozän untersucht. Vor ca. 35 Mio Jahren begann sich die Drake-Passage, eine Verbindung zwischen Antarktis und Südamerika zu öffnen. Die Antarktis ist seither von allen Kontinenten getrennt. Ein Zirkumpolarstrom hat sich gebildet, der seither die Antarktis im Uhrzeigersinn umströmt. Es wird vermutet, dass die Öffnung der Drake-Passage eine Schlüsselrolle für die extreme Abkühlung der Erde in dieser Zeit spielte. Nach bisheriger Interpretation isolierte der Beginn dieser Zirkulation die Antarktis von Meeresströmungen aus wärmeren Regionen. Dadurch sanken die Temperaturen bis schließlich ein permanenter antarktischer Eisschild entstand, wie wir ihn heute kennen.
Gemeinsam mit Miklos Vincze von der Eötvös Loránd Universität in Budapest haben Forschende um Costanza Rodda, früher Postdoc an der BTU und heute am LEGI Laboratory in Grenoble, sowie Uwe Harlander vom BTU-Fachgebiet Aerodynamik und Strömungslehre und Ion Borcia vom Fachgebiet Statistische Physik und Nichtlineare Dynamik, ein vereinfachtes Labormodell des südlichen Ozeans entwickelt. Ein zylinderförmiger, symmetrischer, um seine Achse gedrehter und mit Wasser gefüllter Tank bildet den Temperaturunterschied nach. Durch Beheizung und Kühlung der Seitenwände entsteht ein Temperaturunterscheid von 11 Grad Celsius. Ein abnehmbares Schott bildet die geschlossene Drake-Passage im Modell nach. Präzise Infrarotsensoren messen die Umverteilung der Temperatur des Modellozeans nach Aufhebung der Barriere. "Man kann es sich ein bisschen vorstellen wie das Öffnen eines Staudamms", so Prof. Harlander. "Zu unserer Überraschung fanden wir heraus, dass die Temperaturen der Tankoberfläche nach der Öffnung der Barriere nicht sanken, sondern stiegen". Das stellt bisherige Annahmen über eine kühlende Wirkung des Beginns der antarktischen Zirkulation in Frage.
Um die Diskrepanz zwischen den experimentellen Ergebnissen und den Daten aus den geohistorischen Rekonstruktionen der Temperaturen aufzulösen, nutzten die Wissenschaftler*innen ein numerisches Klimamodell, das den Wasserkreislauf der Atmosphäre mit einbezieht. Das Modell ermöglichte es ihnen, die Drake-Passage virtuell zu schließen und damit die Konturen der Kontinente neu zu zeichnen. Wird die Bildung von Meereis in der Simulation blockiert, kommt es zu einem leichten Temperaturanstieg, wie im eisfreien Laborexperiment. Die Ergebnisse zeigen, dass es bei der Öffnung der Drake-Passage nur unter Einbeziehung der Eisdynamik und der damit verbundenen verstärkten Strahlungsreflexion zu einem globalen Temperaturrückgang kommen konnte.
Die Ergebnisse der Studie tragen zu einem besseren Verständnis der komplexen Ursache und Wirkung des abrupten Klimawandels vor 34 Millionen Jahren bei. Sie zeigt, dass die Umstellung des Zirkulationssystems des Ozeans in Verbindung mit dem atmosphärischen Wasserkreislauf die plötzliche Abkühlung unseres Planeten erklären könnte. Das Wissen um die miteinander verbundenen ozeanischen und atmosphärischen Prozesse auf dem Planeten macht Prozesse des Klimawandels verständlicher und hilft, den aktuellen Wandel besser einzuordnen.

Kontakt

apl. Prof. Dr. rer. nat. habil. Uwe Harlander
Aerodynamik und Strömungslehre
T +49 (0) 355 69-5121
uwe.harlander(at)b-tu.de
Der Wissenschaftler Ion Borcia untersucht am mit Wasser gefüllten, baroklinen Wellentank im Fluidzentrum des BTU-Fachgebietes Aerodynamik und Strömungslehre den Temperaturunterschied zwischen Südamerika und der Antarktischen Halbinsel (Foto: Ralf Schuster, BTU Cottbus-Senftenberg)