Ein Jahr DFG-Schwerpunktprogramm 2255 »Kulturerbe Konstruktion«

Seit einem Jahr arbeitet das von der BTU Cottbus-Senftenberg aus koordinierte DFG-Schwerpunktprogramm „Kulturerbe Konstruktion“ (SPP 2255). Der mit 2,5 Mio € pro Jahr finanzierte Verbund aus 19 Forschungseinrichtungen in Deutschland und Österreich hat bereits im ersten Jahr Maßstäbe gesetzt.

Wie sollen und können wir umgehen mit dem bautechnischen Erbe der Hochmoderne? Wie lässt sich die rasante Entwicklung der Ingenieurkonstruktionen zwischen 1880 und 1970 bautechnikgeschichtlich fassen und verstehen? Wie erkennen wir die oft weit über das Bauliche hinausreichenden Werte dieses jüngsten Erbes, und vor allem – welche denkmalpflegerischen und ingenieurwissenschaftlichen Strategien und Methoden lassen sich für dessen Erhaltung und Fortschreibung entwickeln?

Im Frühjahr 2019 genehmigte der DFG-Senat die Einrichtung des von einer Gruppe um Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz vorgeschlagenen Schwerpunktprogramms (SPP) 2255 „Kulturerbe Konstruktion – Grundlagen einer ingenieurwissenschaftlich fundierten und vernetzten Denkmalpflege für das bauliche Erbe der Hochmoderne“ (siehe Meldung vom 17.6.2019). Als interdisziplinäres Verbundprojekt widmet es sich erstmalig umfassend der Geschichte, der denkmalpflegerischen Bewertung sowie den Herausforderungen für einen nachhaltigen Erhalt des bautechnischen Erbes der Hochmoderne.

Teilprojekte und Koordination

Bereits die Ausschreibung für die erste, auf drei Jahre angesetzte Programmphase des SPP 2255 fand außergewöhnlich großes Interesse. Nicht weniger als 36 Vorschläge für Teilprojekte gingen bei der DFG ein. Angesichts des auf 7,5 Mio € limitierten Fördervolumens konnten davon im Sommer 2020 leider nur elf positiv beschieden werden. Da sich für fast alle Teilprojekte jedoch bereits interdisziplinäre Teams zusammengefunden hatten, arbeiten faktisch im Verbund des SPP 2255 nun 26, zum Teil eng miteinander verzahnte Forschungsvorhaben mit insgesamt rund 70 Mitwirkenden an 19 verschiedenen Forschungseinrichtungen in Deutschland und Österreich.

Inhaltlich schlagen die Projekte einen weiten Bogen von Ingenieurbauwerken wie Eisenbahnbrücken oder Hallenbauten über spezifisch hochmoderne Methoden und Baustoffe in der seriellen Vorfertigung bis hin zu Präsentations- und Versuchsmodellen. Die methodische Spannweite reicht von historisch-empirischen Zugängen über materialbezogene Ansätze für Sanierung und Erhalt bis hin zu ingenieurwissenschaftlichen Untersuchungen zu Tragverhalten und Ertüchtigungsoptionen.

Das erste Jahr

Im Januar 2021 nahm das an der BTU Cottbus-Senftenberg angesiedelte Koordinationsteam um Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz als Sprecher und Dr.-Ing. Roland May als Wissenschaftlichem Kurator seine Arbeit auf. Der Cottbuser Zentrale obliegt die Steuerung des interdisziplinären Verbunds. Unterstützt wird sie durch einen Programmausschuss, in den jedes der vier, aus den Teilprojekten gebildeten thematischen Cluster ein*e Sprecher*in entsandt hat. Ein international besetzter Wissenschaftlicher Beirat begleitet die Arbeit des SPP 2255 und kommuniziert sie über die Landesgrenzen hinaus.

Ausdrücklich betonte die DFG bereits bei der Einrichtung die zentrale Bedeutung von Kommunikation und Austausch in einem disziplinär derart breit aufgestellten Verbund wie dem SPP 2255. Hier liegt die wichtigste Aufgabe der Koordination: Gemeinsame Veranstaltungen unterschiedlicher Ausrichtung und Größe ergänzen die stark fokussierte Arbeit in den einzelnen Teilprojekten und bereichern sie um transdisziplinäre Impulse.

Nach einem Auftakttreffen mit allen im SPP Mitwirkenden am 23./24. April 2021, das angesichts der Corona-Lage leider nur als Videokonferenz durchgeführt werden konnte, kam es in den epidemiologisch weniger problematischen Sommermonaten gleich zu einer ganzen Reihe erster Vernetzungsveranstaltungen. Das Spektrum reichte von diversen Cluster-Workshops über ein Doktorand*innen-Treffen an der BTU bis hin zu einem ersten Strategie- und Methodenlabor (SuMupLAB) in der 1954/55 errichteten ehemaligen Sendehalle Europe 1 im Saarland. Unter Leitung von Prof. Lorenz setzte sich dabei eine multidisziplinär zusammengesetzte Gruppe Ende September 2021 vor Ort intensiv mit bautechnikgeschichtlichen, denkmalpflegerischen, sanierungstechnischen und entwicklungsperspektivischen Aspekten dieses besonders spektakulären Zeugnisses der Schalenbaukunst auseinander, das im direkten Anschluss von der Bundesingenieurkammer mit dem Titel eines Historischen Wahrzeichens der Ingenieurbaukunst ausgezeichnet wurde.

Zahlreiche dieser Veranstaltung bezogen sich dabei auf das erste Jahresthema des SPP 2255 „Bauen am Limit“. Die „Jahresthemen“ sind übergreifenden Fragestellungen zum baukonstruktiven Erbe der Hochmoderne gewidmet. Nahezu paradigmatisch demonstrierte dies die am 11. November 2021 im Cottbuser Dieselkraftwerk ausgerichtete Hybridkonferenz zum Thema „Bauen am Limit“: Führende Referent*innen aus unterschiedlichen Disziplinen von der Geschichtswissenschaft bis zum Konstruktiven Ingenieurbau untersuchten die Traditionen und Transformationen hochmoderner Leitbilder „am Limit“ – dem Kodifizieren von Limits in Normen und Regelwerken ebenso wie der kühnen Erkundung struktureller Potenziale jenseits tradierter Limits.

Ausblick auf das Jahr 2022

Mit dem neuen Jahresthema „Authentizität“ wird sich das SPP 2255 im Jahr 2022 parallel zur fachspezifischen Arbeit in den Teilprojekten der Frage der Übertragbarkeit eines aus dem „konventionellen“ Denkmalschutz stammenden Begriffs auf das spezifische Problem des bautechnischen Erbes widmen. Zwei Veranstaltungen sind in diesem Rahmen vor Ort in Cottbus vorgesehen: Zum einen Mitte Mai das aus dem letzten Herbst verschobene erste Jahrestreffen aller Mitwirkenden am SPP, zum anderen im September 2022 das nächste SuMupLAB. Im Verbund mit einem vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK) veranstalteten Studierendenworkshop steht dann das bautechnikhistorisch ausgesprochen wertvolle Erbe der aus den 1930er Jahren stammenden Hangarbauten auf dem ehemaligen Flugplatz Cottbus-Nord im Mittelpunkt.

KONTAKT
Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz, Dr.-Ing. Roland May
SPP 2255 Kulturerbe Konstruktion
Lehrgebäude 2 C/D, Raum 127
T +49 355 69 4640 
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Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz
Bautechnikgeschichte
T +49 (0) 355 69-2694
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Dr.-Ing. Roland May
Kunstgeschichte
roland.may(at)b-tu.de
Vom Bauingenieur Gerhard Mensch entwickeltes Tragwerk des Shell-Hauses in Berlin (1930–32). Trotz der technikaffinen Haltung der Hochmoderne spielt das nicht selten überaus faszinierende technologische „Innenleben“ von Bauwerken aus dieser Phase in den Denkmalschutzdiskursen kaum eine Rolle (Visualisierung: Mark Gielen/BTU)