Schwerelos forschen: BTU-Team untersucht Konvektionsströmungen im freien Fall
Sie haben eine Woche Zeit, ihr Experiment nach dem langen Transport von Cottbus nach Bordeaux aufs Genaueste zu prüfen, denn am 17. September startet der A310 ZERO-G der französischen Firma Novespace mit insgesamt elf Experimenten für Forschungen im freien Fall. Dann soll alles perfekt funktionieren.
Vom 17.-19. September 2024 werden Prof. Dr.-Ing. Christoph Egbers, Leiter des Lehrstuhls Aerodynamik und Strömungslehre, und ein Team um Dr. Vasyl Motuz Tests mit dem aktuellen Zylinderspalt-Experiment fliegen und Untersuchungen zu thermoelektrischen Konvektionen unter Schwerelosigkeitsbedingungen durchführen.
Auch wenn sie auf langjährige Erfahrungen aus insgesamt 14 Jahren Teilnahme an Parabelflugkampagnen zurückgreifen können, weiß Prof. Christoph Egbers: „Die Anspannung ist jedes Mal sehr hoch und kurz vor Abflug nach Frankreich fast zum Zerreißen. Die Vorbereitungen für einen Parabelflug dauern etwa ein halbes Jahr und erfordern die volle Aufmerksamkeit des gesamten Teams, das in Cottbus sogar aus elf Personen besteht.“ Projektleiter Dr. Vasyl Motuz ergänzt: „Wir bauen alles bis ins kleinste Detail selbst. Da wir mit Laser, Flüssigkeiten und Hochspannung experimentieren, muss alles sicher sein und fehlerfrei funktionieren. Darüber hinaus sind wir zu allen Anpassungen und Veränderungen am Experimentaufbau in engem Kontakt mit unseren französischen Kollegen von Novespace. Alles läuft nach einem strengen Protokoll.“
Die Herausforderung in diesem Jahr besteht darin, den Experimentaufbau für jeden Flug anzupassen. In drei differenzierten Versuchsaufbauten untersuchen die Forscher den Einfluss eines thermoelektrohydrodynamischen Kraftfeldes auf den Wärme- und Stofftransport. Das erfordert hohe Konzentration und extrem genaues Arbeiten unter den hohen Sicherheitsanforderungen der Deutschen Raumfahrtagentur des DLR.
Die im aktuellen Projekt „Dielektrophoretisch induzierte Konvektion (DEPIK)– PFK 2“ erhobenen Daten sollen wichtige Informationen für die Entwicklung und die Optimierung von Wärmetauschern liefern, wie sie beispielsweise für Satelliten eingesetzt werden können. Im Fokus steht dabei diethermische Konvektion in einem dielektrischen Fluid innerhalb eines begrenzten Hohlraums unter dem Einfluss eines elektrischen Kraftfeldes. Anders als im Labor wird unter Mikrogravitationsbedingungen das durch die hohe elektrische Spannung erzeugte Kraftfeld zum einzigen Mechanismus, der für die Entstehung von Strömungen in dem zylindrischen oder ebenen Spalt sorgt.
Bereits seit mehr als 14 Jahren forschen die Cottbuser auf diesem Gebiet, in enger Zusammenarbeit mit französischen Kollegen. Bei diesem Parabelflug wird auch Dr. Antoine Meyer von der Universität LeHavre aus Frankreich mit dabei sein und das Team aus Dr. Vasyl Motuz, MSc. Matthias Strangfeld, MSc. Yaraslau Sliavin, BSc. Raj Tark Bista ergänzen.
Die Parabelflugkampagnen werden mit einem speziell ausgerüsteten Flugzeug durchgeführt. Um Schwerelosigkeit zu erlangen, fliegen die Piloten ein besonderes Manöver: Sie bringen das Flugzeug auf eine parabelförmige Flugbahn. Dabei steigt das Flugzeug aus dem horizontalen Flug steil nach oben, drosselt dann die Schubkraft der Turbinen und „fällt“ durch den Restschub erst nach oben und nach dem Erreichen des Gipfelpunktes der Parabel wieder nach unten, so dass für eine Zeitspanne von rund 22 Sekunden Schwerelosigkeit herrscht. Diese Zeit nutzen die Wissenschaftler für ihre Experimente. Nach jeder Parabel wird das Flugzeug wieder in den horizontalen Flug gebracht. Die Flüge werden je nach Wetterlage entweder entlang der französischen Westküste oder in Südfrankreich am Mittelmeer durchgeführt.
Die Parabelflugkampagnen der Deutschen Raumfahrtagentur finden ein- bis zweimal jährlich statt und bestehen in der Regel aus drei Flugtagen mit je etwa vier Flugstunden, an denen jeweils 31 Parabeln geflogen werden. Insgesamt stehen so bei einer Flugkampagne etwa 35 Minuten Schwerelosigkeit - im Wechsel mit normaler und doppelter Erdbeschleunigung - zur Verfügung. Die Flüge werden auf sechs Sets aufgeteilt, die zur Verifizierung der Experimente dienen.
Über das Experiment
Das Parabelflugexperiment enthält diesmal zwei verschiedene Geometrien: Eine Plattenspaltgeometrie, zwischen der sich Flüssigkeit befindet und eine Zylinderspaltgeometrie. In beiden kann Hochspannung und ein Temperaturgradient angelegt werden. Der Zylinderspalt entsteht zwischen zwei ineinander gestellten, senkrechten Rohren und ist oben und unten durch Deckel- und Bodenplatte begrenzt. Der Spalt ist mit einem elektrisch nichtleitenden (dielektrischen) Öl gefüllt, dessen Viskosität beispielweise im Bereich von Wasser liegt.
Das innere Rohr wird beheizt und das äußere Rohr wird von außen gekühlt, so dass ein Temperaturunterschied aufgeprägt wird. Dies führt aufgrund des Auftriebs auf der Erde zunächst zum Ausbilden einer einzigen Konvektionszelle im Spalt (Grundströmung), die den gesamten Untersuchungsraum erfasst. Wird der Temperaturunterschied erhöht, führt diese Verstärkung des thermischen Antriebs zu Instabilitäten. Die Grundströmung nimmt neue Formen an. Im Vergleich zur Grundströmung oder der reinen Wärmeleitung bei ruhender Flüssigkeit ist der Wärmetransport zwischen Innen- und Außenrohr dann verstärkt. Wenn auf dieses System nun ein Kraftfeld in Form einer angelegten Wechselspannung wirkt, so führen das inhomogene elektrische Kraftfeld und die Temperaturabhängigkeit der Permittivität der Flüssigkeit zu einer elektrohydro-dynamischen Kraftwirkung. Unter Erdbedingungen stört dieses künstliche Kraftfeld die Stabilität der Auftriebsströmung und kann den Wärmetransport verstärken.
Unter Mikrogravitationsbedingungen, wie sie beispielsweise im Parabelflug auftreten, wird die „Archimedische“ Auftriebsströmung jedoch vernachlässigbar klein. Das durch die Hochspannung aufgebaute Kraftfeld ist dann allein ausschlaggebend für das Entstehen von Strömungen im Zylinderspalt, die vielfältige Formen bis zu turbulenten Strömungen annehmen können. Diese Strömungsformen – und damit auch der Wärmetransport zwischen Innen- und Außenrohr - können mit der Höhe der elektrischen Spannung kontrolliert und auch einfach an- und ausgeschaltet werden. Mit einer neuartigen Kombination von zwei optischen Messtechniken, der Shadowgraph- und der PIV-Messtechnik wird das Strömungsfeld sichtbar gemacht und charakterisiert. Mit weiteren Sensoren messen die Forschenden die strömungsinduzierte Veränderung des Wärmetransports zwischen dem Innen- und dem Außenrohr.
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