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Die Gründung der (Brandenburgischen) Technischen Universität Cottbus

Prof. Dr. Günter Spur - 2011

Zitiert aus
Spur, G. (2011). Die Gründung der (Brandenburgischen) Technischen Universität Cottbus. In: Bayerl, G., Borghorst H., Zimmerli W.C. (Hrsg.). 20 Jahre Brandenburgische Technische Universität Cottbus. Münster: Waxmann, S. 62-79.


Wenn Ingenieure Führungspositionen in der Gesellschaft beanspruchen, benötigen sie neben ihrem fachlichen Wissen unverzichtbar auch soziale Kompetenz. Jedoch bleibt offen, wie diese zu vermitteln ist. Zunächst ist die Forderung nach einer zügigen Ableistung eines anspruchsvollen Studiums zu erfüllen. Dies sollte in mehreren Stufen mit unterschiedlichen Zielsetzungen erfolgen. Dabei haben sich in der Industrie durchgeführte Projektarbeiten auch für die Entwicklung von Gemeinschaftsgeist als sehr fördernd erwiesen. Schwierig ist es, in seminaristischen Veranstaltungen einer isolierten Universitätsatmosphäre soziale Kompetenz zu erwerben. Das Humboldtsche Ideal einer selbstverantwortlichen Wissenschaft wird in einer differenzierten, effizienzorientierten Universität durch den selbstbestimmten Leistungsanspruch geprägt.
Forschung für die Fabrik ist immer auch Untersuchung der Ganzheitlichkeit, der Prinzipien des erfolgreichen und konzentrierten Handelns. Eine derartige Forschungsgrundlage orientiert sich im Dreieck der Wirtschaftswissenschaften, der Informationswissenschaften und der Produktionswissenschaften. Hierbei darf es sich nicht nur um eine Addition handeln. Das Ziel besteht darin, diese Wissenschaftsgebiete zu einem neuen, ergänzenden Ingenieurstypus mit generalisierter Prägung zu integrieren. Ingenieurwissenschaften sind in diesem Sinne auch Sozialwissenschaften. Interdisziplinarität soll deshalb zu einem Struktur- und Entwicklungsprinzip der TU Cottbus in der Forschung, der Lehre sowie im Studium gestaltet werden. In jeweils einer gemeinsamen Fakultät verbindet die TU Cottbus das Bauingenieurswesen wieder stärker mit der Architektur und überwindet die Trennung des Maschinenwesens von der Elektrotechnik. Sie vereint in ihrer Fakultät für Umweltwissenschaften alle auf die Umweltthematik gerichteten Disziplinen.
In Übereinstimmung mit den VDI-Richtlinien wird der sozialwissenschaftliche Studienteil in Form von Wahlpflichtfächern 10 Prozent der Semesterwochenstunden betragen. Darin eingeschlossen sind Ringvorlesungen, an denen sich Vertreter aller Fächer eines Studiengangs beteiligen, sowie je ein Projektstudienangebot im Grund- und Hauptstudium. 
Der Gründungssenat plädiert nach den bisher gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnissen erneut für die Institutionalisierung der fachübergreifenden Konzeption der BTU Cottbus in einer eigenen Fakultät. Sie sollte, wie auch im Gründungskonzept vorgesehen, eine reine Service-Fakultät sein, damit sonst häufig zu beobachtenden Abschottungstendenzen vorgebeugt werden kann. Sie könnte angereichert werden im kulturund sozialwissenschaftlichen Feld, z.B. um ethnologische bzw. kulturanthropologische Inhalte mit Schwerpunkten im islamischen und/oder südost-asiatischen Kulturkreis.

Prof. Dr. h.c. mult. Dr.-Ing. E.h. Dr.-Ing. Günter Spur (1928-2013) war emeritierter Professor der Technischen Universität Berlin. Über Jahrzehnte leitete er das Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb der BTU Berlin sowie das FrauenhoferInstitut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik. In der Zeit von 1991 bis 1996 war er Gründungsrektor der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus. Professor Spur hat bedeutende Beiträge zur Produktionswissenschaft geleistet – vor allem auf dem Gebiet der Werkzeugmaschinen und der Fertigungstechnik, des Fabrikbetriebes sowie der rechnerintegrierten Produktion und Automatisierungstechnik. Über 1.000 Zeitschriften- und Buchveröffentlichungen sowie zahlreiche Vorträge im In- und Ausland sind Bestandteile seiner Forschungsarbeit. Günter Spur war Gründungsmitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Technikwissenschaften sowie Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Institutionen und Akademien. Seine Verdienste als Wissenschaftler und Hochschullehrer wurden auch international durch hohe Auszeichnungen und Ehrungen gewürdigt.