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Eine verlorene Innovation. Zur Gründung und Abschaffung der Fakultät 5 „Philosophie und Sozialwissenschaften“

Helga Z. Thomas - 2011

Zitiert aus
Thomas, Helga Z. (2011). Eine verlorene Innovation. Die Gründung und Abschaffung der Fakultät 5 „Philosophie und Sozialwissenschaften. In: Bayerl, G., Borghorst H., Zimmerli W.C. (Hrsg.). 20 Jahre Brandenburgische Technische Universität Cottbus. Münster: Waxmann, S. 173-184.


Das knappe Resümee des Wissenschaftsrates lautete, ‚dass für den Aufbau einer Fakultät für Philosophie und Sozialwissenschaften kein genuiner Ansatz besteht, ohne dass dadurch die Wahrnehmung der als sinnvoll erachteten Aufgaben der nach den ursprünglichen Planungen hier angesiedelten Fächer und Professuren in Fragen gestellt würde‘. Der Wissenschaftsrat ist in seiner Plenarsitzung vom Juli 1993 dieser Vorlage ohne jede Diskussion gefolgt.

Was in den offiziellen Darlegungen des Wissenschaftsrates als Empfehlungen formuliert wurde, war in den vorangegangenen Verhandlungen allerdings im Hinblick auf die Fakultät 5 als conditio sine qua non verdeutlicht worden, umgangssprachlich könnte man es Erpressung nennen: Bestehen auf der Fakultät 5 oder Aufnahme der TU Cottbus in Hochschulverzeichnis. Den Ausschluss aus der Hochschulbauförderung konnte und wollte sich kein Bundesland leisten. In dieser Situation hat der Gründungsrat, auch hier wieder mit erheblicher Unterstützung des damaligen Wissenschaftsministers Enderlein, zur institutionellen Sicherung des fachübergreifenden Studiums, gleichsam als Notlösung, die Konstitution einer zentralen wissenschaftlichen Einrichtung vorgeschlagen, das ‚Zentrum für Technik und Gesellschaft‘. Es sollte zumindest die partiell oder ausschließlich fachübergreifend orientierten Professuren zusammenführen in zwei neu zugeschnittenen Bereichen ‚Philosophie und Technikgeschichte‘ und ‚Arbeits- und Sozialwissenschaften‘. Im Übrigen sind alle Professuren, wie empfohlen, den Fakultäten 2 und 3 zugeordnet worden, mit Ausnahme der Technikphilosophie, Technikwissenschaften und Technikgeschichte, die aus Gründen der quantitativen Proportionalität aller Fakultäten in die Fakultät 1 integriert wurden.

Diese Konstruktion ist, zugleich mit der Auflösung der Fakultät 5, vom Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur mit Schreiben von 21. Oktober 1993 genehmigt worden.

Die Probleme, die zu vermeiden oder zumindest zu minimieren das Fakultätskonzept beansprucht hatte, sind umgehend eingetreten: Zentrifugale Tendenzen insbesondere dort, wie die fachliche Nähe die neue Zuordnung unproblematisch machte wie im Falle der Fakultät 2; erlahmendes Interesse an einer kontinuierlichen Zusammenarbeit über drei Fakultäten hinweg, erhöhter Zeit- und Koordinationsaufwand; Vereinzelung und wohl eher als ‚Fremdkörper‘ empfundene Neuzugänge vor allem in Fakultät 3 mit einer Übermacht von Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaftlern; ehebliche fortwährende Probleme bei der Mittelzuweisung; Schwierigkeiten insbesondere bei der Einpassung in Promotions- und Habilitationsordnungen und vieles mehr. Umso größer der Dank an die Kollegen, die die Wirren der Aufbauphase trotzdem mitgetragen und noch jahrelang versucht haben, das Zentrum für Technik und Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Schließlich legten auch die letzten beiden Geschäftsführenden Direktoren Ende des Jahres 2000 ihr Amt nieder. Das Zentrum wurde bis zur endgültigen Klärung von Status und Organisation – eine weitere Evaluation durch den Wissenschaftsrat stand bevor – vorerst dem Präsidenten der BTU Cottbus direkt zugeordnet.

Prof. em. Dr. Helga Z. Thomas (1937-2015); Studium der Romanistik, Klass. Philologie, Philosophie und Erziehungswissenschaft 1956-1961; Wissenschaftliche Assistentin Universität Hamburg 1961-1964; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin 1964-1972; o. Prof. PH Berlin 1972-1974; o. Prof. für Erziehungswissenschaft TU Berlin 1974-2003; Beauftragte des Präsidenten für die Lehrerausbildung/Weiterbildung 1980-1992; Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1987-1990; Mitglied des Gründungssenates der TU Cottbus, Gründungsdekanin der Fakultät Philosophie und Sozialwissenschaften, Gründungsdirektorin des Zentrums für Technik und Gesellschaft der TU Cottbus 1991-1994, Ehrensenatorin 1995, Mitglied im Gesprächskreis „Arbeit und Technik“ beim BMFT, Mitglied der Landeskommission für Wissenschaft und Forschung des Landes Mecklenburg-Vorpommern 1995-1998.