Mit dem Flugzeug in die Schwerelosigkeit

Der Cottbuser Matthias Strangfeld hat noch kein Flugzeug von innen gesehen. Im Mai 2023 ändert sich das: Mit dem Forschungsflieger am Flughafen Bordeux-Mérignac im Südwesten von Frankreich hebt der wissenschaftliche Mitarbeiter der BTU Cottbus-Senftenberg zum ersten Mal ab.

Matthias Strangfeld ist 28 Jahre alt und in seinem Leben noch nicht ein einziges Mal geflogen. Das holt der Maschinenbauer am Lehrstuhl Aerodynamik und Strömungslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) nun gleich ganz groß nach. Mitte Mai 2023 hebt er zum ersten Mal ab. Der Cottbuser ist auf dem Weg zum Forschungsflug nach Frankreich. Dort wird er gemeinsam mit drei weiteren Kollegen und einem Experiment in 7.500 Metern Höhe über dem Atlantik in ein speziell für Parabelflüge ausgerüstetes Flugzeug einsteigen.

Der Airbus A310 ZERO-G der französischen Firma Novespace startet am 23. Mai 2023 mit vollem Schub: In einem Anstellwinkel von etwa 50 Grad – bei einem üblichen Start sind es gerade einmal 18 Grad – gelangt die Maschine mit 40 Männern und Frauen an Board auf eine Höhe von 7.500 Metern. Auf das Flugzeug wirkt dabei die sogenannte Hyperschwerkraft vom 1,8-fachen der Erdanziehung. Während dieser für den menschlichen Körper anstrengendsten Phase des Fluges liegt Matthias Strangfeld gemeinsam mit seinen Kollegen auf dem Kabinenboden des Fliegers.

Kurz darauf stellt der Pilot die Triebwerke nahezu auf Leerlauf. Das Flugzeug wird aufgrund des zuvor geholten Schwungs noch fast 1.000 Meter weiter nach oben geschleudert, bevor es der Bahn einer nach unten offenen Parabel folgend in den freien Fall in die Tiefe stürzt. Am Scheitelpunkt der Parabel auf etwa 8.500 Metern beträgt die Geschwindigkeit nur noch etwa 380 Kilometer pro Stunde.

Während der letzten Phase des Aufschwungs, am höchsten Punkt, wenn das Flugzeug schräg nach unten abkippt, schwebt Matthias Strangfeld insgesamt 22 Sekunden schwerelos. "Es war atemberaubend", sagt der junge Wissenschaftler. "Ich habe mich gefühlt als wäre ich bei jeder Parabel vom Sprungturm gesprungen und in Schwerelosigkeit eingetaucht."

Dann stürzt das Flugzeug in die Tiefe. Ein faszinierender Moment, bevor der Pilot die Maschine unter starkem Schub abfängt, um sie wieder in den horizontalen Reiseflug zu bringen. Jetzt herrscht normale Schwerkraft. Für den Körper ist die wechselnde Belastung von normaler, Hyper- und Mikro-Gravitation eine Höchstleistung: Das Blut steigt in den Kopf, die Gefäße ziehen sich zusammen und Übelkeit entsteht, weil der Körper dem Gehirn Informationen liefert, die nicht zusammenpassen: Was der Gleichgewichtssinn im Innenohr und die Augen in den Kurven wahrnehmen, kann der Kopf nicht zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen.

Neun von zehn Passagieren wird ohne Spritze schlecht. Das Medikament Scopolamin unterdrückt den Brechreiz. Was für den Körper eine extreme Belastung ist, ist für das Experiment der Cottbuser Wissenschaftler ein Glücksfall:
"Die Ergebnisse haben unsere Erwartungen voll erfüllt, eine detaillierte Analyse mache ich mit dem Team dann in Cottbus", sagt der Matthias Strangfeld. Im Experiment, an dem der Wissenschaftler gemeinsam mit einem 4-köpfigen Team arbeitet, geht es um die Optimierung von Wärmetauschern, die in Schwerelosigkeit beispielsweise auf einem Satelliten arbeiten. Darin befindet sich ein dielektrisches Fluid, das unter dem Einfluss eines elektrischen Kraftfeldes steht. Wenn das Fluid einem elektrischen Feld und einer Temperaturdifferenz ausgesetzt wird, entsteht eine dielektrophoretische (DEP) Kraft, die eine Bewegung des Fluides erzeugen kann. "Dieser Effekt kann bei der Entwicklung und Optimierung von Wärmetauschern genutzt werden", so der Maschinenbauer.

Drei Stunden dauert es, bis der Forschungsflug landet und Matthias Strangfeld sich vom anstrengenden Flug erholen kann.
"Ich habe ein paar Minuten gebraucht, um mich nach den wechselnden Gravitationsbedingungen an die normale Schwerkraft zu gewöhnen. Den Flug habe ich sehr gut und ohne Übelkeit überstanden", sagt er. "Aber es hat sich in jedem Fal gelohnt." Im nächsten Jahr wird er voraussichtlich wieder an Board sein.

Über den Wissenschaftler

Matthias Strangfeld ist Maschinenbauer mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik. Er hat sich schon in seiner Kindheit für Autos interessiert. "Mein Opa hatte immer viele Automagazine, die ich mir immer begeistert ansah", so der Wissenschaftler. "Über mein Interesse für Motorsport habe ich das Themenfeld Aerodynamik kennengelernt." Seine Bachelor-Arbeit verfasste er am Lehrstuhl Aerodynamik und Strömungslehre bei Prof. Dr. Christoph Egbers. In der Arbeit untersucht er turbulente Rohrströmungen an der Large Pipe Testeinrichtung (CoLa-Pipe) in Cottbus. In seiner Masterarbeit befasste er sich mit dem AtmoFlow Experiment (Atmospherical Flow Experiment). Darin simulierte er atmosphärische, konvektive Strömungen im Kugelspalt. Die Ergebnisse sind für Disziplinen wie Geophysik, Astrophysik und ganz besonders Atmosphärenforschung von zentraler Bedeutung. Am Lehrstuhl erforscht er nun die Grundlagen zur Optimierung von Wärmetauschern Aerodynamik und Strömungslehre.

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Gemeinsam mit den Wissenschaftlern am Lehrstuhl Aerodynamik und Strömungslehre begleitet Matthias Strangfeld (r.) die Durchführung von Experimenten auf einem Parabelflug.
Ziel der Forschung des 28-jährigen Matthias Strangfeld ist es Wärmetauscher, die in Schwerelosigkeit beispielsweise auf einem Satelliten arbeiten, zu optimieren.
Die Wissenschafter vor dem Forschungsflieger in Frankreich: Yaraslau Sliavin, Matthias Strangfgeld, Dr. Vasyl Motuz und Dr. Antoine Meyer (v.l.n.r.)