Internationale Experten diskutieren das gebaute Erbe des Kolonialismus

Die interdisziplinäre Konferenz "Architectures of Colonialism – Constructed Histories, Conflicting Memories" holt renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 14 Ländern von Mittwoch bis Samstag, 16. bis 19. Juni 2021, virtuell nach Cottbus

Auf der englischsprachigen Online-Tagung des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs "Kulturelle und technische Werte historischer Bauten" diskutieren über 30 Expertinnen und Experten über das umkämpfte gebaute Erbe des Kolonialismus und die Notwendigkeit, Architekturgeschichte neu zu schreiben.

"Die Architekturen des Kolonialismus dienten dazu, Menschen zu beherrschen und zu separieren, Arbeitskräfte auszubeuten und Land zu restrukturieren", so Prof. Dr. Alexandra Skedzuhn-Safir, Fachgebiet Denkmalpflege. "Da die Architekturgeschichte lange Zeit von den 'Kolonisatoren', dem globalen Norden, geschrieben wurde, fehlt die Perspektive der 'Kolonisierten'."

Zu den auf der Tagung besprochenen Architekturen zählt unter anderem ein deutsches Gefangenenlager im ersten Weltkrieg: Muslimische Kriegsgefangene aus französischen und britischen Kolonien sowie aus dem zaristischen Russland sollten in Wünsdorf bei Berlin zu Dschihadisten ausgebildet werden, um gegen ihre kolonialen Herren zu kämpfen.

Die Konferenz verhandelt darüber hinaus Kolonialsiedlungen von Angola bis Bangladesh, die den dortigen Alltag radikal veränderten. Zudem werden Schauplätze wie das Van Riebeeck Festival, das 1952 das 300-jährige Jubiläum der Landung des niederländischen Kolonialverwalters Jan van Riebeeck in Südafrika feierte, diskutiert oder das rassistische Vortrekker Monument in Pretoria, das so massiv ist, dass es auch nach Ende der Apartheid nicht gesprengt werden konnte. Weitere Vorträge widmen sich Kolonialarchitekturen, die bis heute ganz selbstverständlich genutzt werden, wie etwa Mumbais größtem Bahnhof, der von der britischen Kolonialmacht im Stil der Neogotik erbaut und nach Queen Victoria benannt wurde.

"Diese Orte und ihre Geschichte verdeutlichen", so Albrecht Wiesener, wissenschaftlicher Koordinator des DFG-Graduiertenkollegs an der BTU Cottbus-Senftenberg "dass die Architektur vor allem auch der Durchsetzung von kolonialer Macht diente – ein Umstand, der in der Architekturgeschichtsschreibung lange Zeit ausgeblendet wurde."

Monumente provozieren. Ihr gesellschaftlicher Wert kann in Frage gestellt werden, wie jüngst die emotional aufgeladenen Debatten in der Black-Lives-Matter-Bewegung eindringlich gezeigt haben. Die veränderte Wahrnehmung von Statuen wie die des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol oder des Imperialisten Cecil Rhodes in Oxford zeigt, dass der Umgang mit dem historischen Erbe und seiner kulturellen Bedeutung einen kontinuierlichen Prozess des Aushandelns und der Neubewertung erfordert.

"Unsere Konferenz fragt nach dem Umgang mit dem baulichen Erbe des Kolonialismus und will dabei neue Geschichten erzählen, die eurozentrische Perspektive aufbrechen und die Erfahrung und Erinnerung der 'Kolonisierten' anerkennen", so Dr. Christa Kamleithner, Fachgebiet Kunstgeschichte. "Sie ist deshalb notwendig international wie interdisziplinär und bringt globale Stimmen aus Architektur- und Baugeschichte, Denkmalpflege und Heritage Studies, Geschichte und Ethnologie zusammen."

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Luftaufnahmen vom Gebiet des ehemaligen „Halbmondlagers“ in Wünsdorf bei Berlin, wo im Ersten Weltkrieg Kriegsgefangene zu Dschihadisten ausgebildet werden sollten (Foto: Jokeair)