„Ein Resilienzpuffer schadet nicht.“
Herr Dr. Matthias Kaiser hat 2011 seine Promotion an der BTU abgeschlossen und war während dieser Zeit akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marketing und Innovationsmanagement (heute: Fachgebiet ABWL, insbesondere Marketing). Seit Oktober 2020 leitet er als Kanzler die Zentrale Verwaltung der Hochschule Coburg.
Lieber Herr Dr. Kaiser, entspricht Ihre tägliche Arbeit den Vorstellungen, die Sie sich vor Ihrem Amtsantritt von einer Tätigkeit als Hochschulkanzler gemacht haben? Gibt es etwas, das Sie positiv oder negativ überrascht hat?
Vor Beginn eines neuen beruflichen Abschnitts kann man sich natürlich unendlich viele Gedanken dazu machen, wie es in der neuen Position wohl werden wird, welche Erwartungen an einen gestellt werden und wie die Tätigkeiten dann mit den eigenen Vorstellungen in Einklang zu bringen sind. Nach meinem Amtsantritt habe ich schnell feststellt, dass die Vielseitigkeit des Tätigkeitsspektrums und der Umfang an Verantwortung in der Kanzler-Funktion schlussendlich nur mit einer großer Portion Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen und das gesammelte Erfahrungswissen umsetzbar ist. Auch hilft ein wohlwollendes, reflektiertes Umfeld. Die Fakten, wie z.B. die Kernaufgaben eines Kanzlers stehen üblicherweise in den jeweiligen Hochschulgesetzen der Bundesländer – gefolgt von der individuellen Hochschul- bzw. Universitätsverfassung (Grundordnung). Zudem determiniert ja noch der jeweilige Ausschreibungstext die Tätigkeiten der neuen Verwaltungsleitung. Alles andere ist „training on the job“, Abschätzungs- und Interpretationsgabe und auch ein wenig Glück, wenn man bereit ist die Verantwortung für eine ganze Organisation mit zu tragen.
Hilfreich bei meinem Start in die Kanzlerschaft war eben dieses „gesunde Grundvertrauen“ in das eigene Tun in Kombination mit der bereits angedeuteten wohlwollenden Hochschulgemeinschaft und einer tüchtigen Stellvertretung. Bis heute bereichern mich die vielseitigen Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten und der reflektierte Umgang in einer akademischen Einrichtung sehr. Sicher half auch meine Einstellung als Teamplayer mit Serviceorientierung anzutreten – sowie meine bis dato erfolgte akademische Laufbahn mit großem Verständnis für die Wissenschaftswelt.
Was sich als größte Herausforderung herausgestellt hat, waren die teilweise schnell und konkret auf das Hochschulsystem übertragenen, neuen Spielregeln im Zeitgeist der jeweiligen Landes-Hochschulpolitik. Auch die inhaltlichen Weiterentwicklungsvorstellungen von wechselnden Hochschulleitungsmitgliedern fordern einen Kanzler und sein Team ununterbrochen. Oft ist es gar nicht so schnell realisierbar, die eigene Organisation in diesen Change-Prozess mitzunehmen. Die Verwaltung in einen neuen Zeitgeist zu transformieren, ist die einen Seite der Medaille – aber den akademisch-wissenschaftlichen „Betrieb“ auf neue betriebswirtschaftliche Kennzahlen einzuschwören, verlangt eine sehr gute Integrationsstrategie des jeweiligen Kanzlers, um hier gemeinsam mit der Hochschulleitung zeitnah und konkret erfolgreich zu sein. Ein gesunder Resilienzpuffer schadet in dem andauernden Aufgabenmarathon sicher auch nicht.
Zu welchem Zeitpunkt in Ihrem Lebenslauf ist die Entscheidung für eine Karriere im Wissenschaftsmanagement gefallen? Hatten Sie einen Plan B, falls es mit einer wissenschaftsnahen Laufbahn nicht geklappt hätte?
Nach meinem Studium zum Wirtschaftsingenieur an der BTU und der wirtschaftswissenschaftlichen Promotion war klar, dass es mich erstmal an die vorderste marktwirtschaftliche Front in eine Unternehmensberatung zog. Für mich persönlich konnte ich mir nicht vorstellen, direkt mit der Habilitation weiter zu machen und so schnupperte ich erstmal in die Privatwirtschaft hinein. Der Weg zurück in die Wissenschaftswelt gelang nach einigen Jahren durch einen Anruf meines Doktorvaters Prof. Dr. Daniel Baier, der mir eine interessante Habilitationsstelle an der Universität Bayreuth anbot, die ich gerne annahm, um einigen Begleitthemen der Unternehmensberatungswelt wieder zu entfliehen, wobei ich ein paar angewandte Kontexte mitnehmen konnte. Gemeinsam bauten wir den Lehrstuhl für Innovations- und Dialogmarketing an der Universität Bayreuth auf.
Da allerdings der Mensch dazu neigt im Leben ein paar Erinnerungen auf natürliche Weise zu verdrängen und andere gute Erinnerungen gerne überinterpretiert, folgte die Entscheidung in wissenschaftsnahe bzw. wissenschaftsstützende Tätigkeitssphären zu wechseln. Entscheidungsleitend waren hier zahlreiche Reflexionsgespräche mit Sparringspartnern in meinem kollegialen und persönlichen Netzwerk. Mir bot sich die Möglichkeit als Geschäftsführer für eine neu gegründete Außenstelle der Universität Bayreuth nach Kulmbach zu wechseln und zusammen mit dem damaligen Gründungsdekan (Prof. Dr. Stephan Clemens) eine neue Fakultät an einem komplett neuen Standort aufzubauen.
Weil Sie nach einem Plan B fragten: Nach der positiven Zwischenevaluation zur Habilitation hätte ich diese dann sicher auch fertiggestellt. Allerdings bin ich immer gut damit gefahren, neue Möglichkeiten sehr schnell mit meinem privaten und beruflichen Umfeld zu bewerten und mich dann zupackend in neue berufliche Abenteuer zu stürzen… ein Wechsel in die Pharmaindustrie wäre sicher auch spannend gewesen – Angebote gab es.
Gibt es etwas, das Sie sich als Unterstützung auf Ihrem Karriereweg gewünscht hätten?
Auch während meiner Promotions- und späteren Postdoc-Zeit gab es schon Unterstützungsleistungen seitens der jeweiligen Hochschule für Promovierende, die inzwischen sehr viel weiter ausgebaut sein dürften. Dankbar bin ich immer noch für die vielen wertvollen Hinweise meines Doktorvaters, Konferenzbesuche halfen mir auch und die bereits promovierten Kolleginnen und Kollegen im Fachbereich. Allerdings ist es ja durchaus nachvollziehbar, dass auch hochschulweit angebotene Beratungen häufig in Richtung „wissenschaftliche Karriere“ ausgelegt sind und damit andere Karrierepfade nicht so stark in den Blick nehmen. Je nach Promotionsphase benötigt jeder Mensch auch andere Unterstützungsleistungen als gegen Ende der Promotion, wenn man die eigene Personalentwicklung in den Fokus rückt. Wer sich traut, sollte an dieser Stelle mutig in den Karrierebaukasten und dessen Optionsvielfalt greifen: Die Welt steht in Richtung Wissenschaft, Wirtschaft, Transferjobs oder Wissenschaftsmanagement etc. allen offen – eine Promotion und das erworbene Erfahrungswissen zahlt sich so oder so langfristig dafür aus! Auch die Gründung eines eigenen Unternehmens kann interessant sein.
Nun bin ich Kanzler an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften: Wer es etwas praxisnäher und anwendungsbezogener mag, wäre ggf. auch hier richtig aufgehoben?
Was würden Sie heutigen Promovierenden und Postdocs empfehlen, die unentschlossen über ihren weiteren Berufsweg sind?
Grundvoraussetzung sollte meiner Einschätzung nach sein, dass was man für sich selbst weiß, was man für ein „Typ“ ist und eben gut kann bzw. wobei man sich quält. Das wäre eine ideale Voraussetzung für alle weiteren Karriereentscheidungen. Wenn es hier noch Nachholbedarf gäbe, dann sollte man an dieser Stelle Unterstützung und Erfahrungswissen in Anspruch nehmen. Allerdings habe ich es immer so gehandhabt, dass man auch aus Herausforderungen eine Menge lernen kann und die verschiedenen Stationen in meinem Lebenslauf haben das ermöglicht. Manchmal können auch Vorbilder weiterhelfen. Ich persönlich habe viel auf meine Intuition gehört, viel gefragt und habe es bis heute nicht bereut – allerdings gehörte ich auch fast 40 Jahre lang zu den „Suchenden“ für meinen passenden beruflichen Weg. Ich habe mich auch an Karrieren orientiert, die bereits ein gewisses Sättigungsniveau erreicht hatten und mich gefragt, ob es für mich erstrebenswert ist diesen Weg einzuschlagen. Die Suche geht wahrscheinlich immer weiter, wenngleich die Abwägungs- und Entscheidungskriterien andere werden… Danke, dass Sie mich zu meinen Karriereentscheidungen befragt haben – ich habe das gerne nochmal nachvollzogen.