Grenzregionen in West und Ost im Vergleich: BMBF fördert Forschungsprojekt mit rund zwei Mio Euro

Seit einem Jahr werden die Grenzübergänge innerhalb der Europäischen Union wegen der Corona-Pandemie immer wieder kontrolliert. Darunter litten vor allem die Grenzregionen, deren enge Verflechtungen plötzlich gekappt wurden. Die Besonderheiten dieser Grenzräume stehen jetzt im Mittelpunkt eines interdisziplinären Verbundprojekts.

Seit einem Jahr werden die Grenzübergänge innerhalb der Europäischen Union wegen der Corona-Pandemie immer wieder kontrolliert. Darunter litten vor allem die Grenzregionen, deren enge Verflechtungen plötzlich gekappt wurden. Die Besonderheiten dieser Grenzräume stehen jetzt im Mittelpunkt eines interdisziplinären Verbundprojekts, an dem Forschende der BTU Cottbus-Senftenberg gemeinsam mit drei weiteren Universitäten beteiligt sind. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die Kooperation drei Jahre lang mit rund zwei Millionen Euro.

Vor über 35 Jahren wurde das Schengener Abkommen unterzeichnet, das den schrittweisen Abbau von Personenkontrollen innerhalb der Europäischen Union regelte. „Die freie Fahrt über die nationalen Grenzen hinweg ist für uns Europäer selbstverständlich geworden. Die Grenzschließungen zu Beginn der Corona-Pandemie führte vielen erst schmerzhaft vor Augen, wie eng verflochten vor allem die grenznahen Regionen miteinander sind“, sagt Florian Weber, Juniorprofessor für Europastudien der Universität des Saarlandes. Gemeinsam mit Prof. Dr. Gailing und Dr. Peter Ulrich aus dem Fachgebiet Regionalplanung der BTU Cottbus-Senftenberg sowie weiteren Partnern will er die bisher noch immer unterschätzten Grenzräume von der Peripherie ins Zentrum rücken und dabei aufzeigen, welche Unterschiede es schon innerhalb Deutschlands gibt. „Wir wollen die Großregion, konkret das Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und Luxemburg, mit der Region Brandenburg-Lebus vergleichen, die Deutschland mit Polen verbindet“, erläutert Weber.

Dr. Peter Ulrich ergänzt: „Was die Effekte der Grenzschließungen im Zuge der Corona-Pandemie gezeigt haben, ist die starke wirtschaftliche, politische und auch gesellschaftliche Verflechtung des deutsch-polnischen Grenzraums. Um den Grenzraum zukunftsorientiert krisenresilient, kooperativ und bürgernah zu gestalten, wollen wir in dem BMBF-Verbundprojekt ‚Linking Borderlands‘ die deutsch-polnische Grenzregion aus verschiedenen Perspektive beleuchten und mit dem deutsch-französischem Grenzraum vergleichen.“

Aus unterschiedlichen Blickwinkeln sollen nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen sichtbar gemacht werden. „Im Verbundprojekt kooperieren wir mit unseren Nachbarn in Polen in den Themen Daseinsvorsorge, Regionalentwicklung und Energiewende“, so Prof. Dr. Ludger Gailing. „Insbesondere das Thema der Energiewende ist ein bislang noch kaum erforschtes Thema im Grenzraum. Polen und Deutschland setzen bislang sehr unterschiedliche Prioritäten in der Energiepolitik, die in der Grenzregion aufeinandertreffen. Hier einen wissenschaftlichen Blick auf die gemeinsamen Herausforderungen eines künftig klimagerechten Energiesystems zu werfen, kann der Findung gemeinsamer Positionen entlang der Grenze dienen.“
„In unserer Grenzregion können wir auf jahrzehntelang gewachsene Kooperationen zurückblicken“, erklärt Florian Weber. „Polen hingegen trat erst im Jahr 2007 dem Schengen-Raum bei. Dass es dort noch weniger Vernetzungen im Grenzraum gibt als etwa im Saarland, das schon seit Ende des Zweiten Weltkrieges stark nach Frankreich hin orientiert ist, scheint auf der Hand zu liegen, aber als Forscher wollen wir hier nun genauer hinschauen.“ Der Geograph möchte daher untersuchen, wie sich die europäischen Grenzregionen als Kontaktzonen und Übergangsbereiche an den nationalstaatlichen Rändern entwickeln.

An dem Verbundprojekt sind Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Fachrichtungen der Universität des Saarlandes, der Technischen Universität Kaiserslautern, der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg sowie der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) beteiligt. Sie wollen sich gemeinsam auf die folgenden fünf Schwerpunkte konzentrieren: Grundlegend wird es um politische Lernprozesse sowie die Bedeutung von Sprache im Berufsausbildungskontext gehen. Zudem werden Planungsprozesse und die Energieversorgung beleuchtet sowie Zugehörigkeiten und Identitäten in Filmen aus den Industrieregionen untersucht.

„Am Beispiel Energieversorgung kann man sehen, wie groß die Unterschiede heute noch auf engstem Raum sind“, so Florian Weber. Während das Atomkraftwerk Cattenom nur 15 Kilometer von der deutsch-französischen Grenze entfernt liegt und noch viele weitere Jahre seinen Dienst tun soll, setzt man im Saarland stark auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. In der Lausitz bereitet man sich auf den Ausstieg aus dem Braunkohle-Tagebau vor und will verstärkt auf klimafreundliche Energieerzeugung setzen, während in Polen noch rund 70 Prozent der Energie in Kohlekraftwerken erzeugt werden.“

Mit ihren Erkenntnissen aus dem Forschungsvorhaben wollen die Projektpartner in Zukunft auch Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft beraten und aufzeigen, wo die Probleme und Chancen der grenzüberschreitenden Kooperation liegen.

Am Verbundvorhaben „Linking Borderlands: Dynamiken grenzregionaler Peripherien“ sind an der Universität des Saarlandes neben Florian Weber auch Peter Dörrenbächer, Professor für Kulturgeographie, Astrid Fellner, Professorin für Nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft, sowie Claudia Polzin-Haumann, Professorin für Romanische Sprachwissenschaft, beteiligt. Gemeinsam betreuen sie auch den Masterstudiengang „Border Studies“, an dem vier Universitäten in der Großregion mitwirken. Im Rahmen des Forschungsprojekts will zudem das Center for Border Studies der Universität der Großregion enger mit dem Viadrina Center „B/Orders in Motion“ in Frankfurt (Oder) zusammenarbeiten und damit die gemeinsame Grenzraumforschung stärken. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert das Verbundvorhaben im Rahmen der Förderlinie „Regionalstudien“ mit insgesamt 2,05 Millionen Euro über drei Jahre, davon fließen rund 335.000 Euro an die BTU Cottbus-Senftenberg. Die Verbundkoordination liegt bei Juniorprofessor Florian Weber.

Kontakt

Prof. Dr. rer. pol. Ludger Gailing
Regionalplanung
T +49 (0) 355 69-3626
Ludger.Gailing(at)b-tu.de

Dr. phil. Peter Ulrich
Regionalplanung
Um Grenzräume wie Coschen zukunftsorientiert krisenresilient, kooperativ und bürgernah zu gestalten, vergleichen die Wissenschaftler im BMBF-Verbundprojekt "Linking Borderlands" die deutsch-polnische Grenzregion mit dem deutsch-französischem Grenzraum (Foto: P. Ulrich)