Alphabetisierung und gelingendes Leben: Videointerview mit Prof. Dr. Juliane Noack Napoles und Robin Jost

Die BTU Cottbus-Senftenberg engagiert sich aktiv in der Erforschung und Förderung von Alphabetisierungsprozessen. Im Zentrum dieser Bemühungen steht das Graduiertenkolleg „Gelingendes Leben durch Grundbildung und Alphabetisierung ermöglichen“ (GrAl), das unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Juliane Noack Napoles am Fachgebiet Erziehungswissenschaft der BTU angesiedelt ist.

Anlässlich des diesjährigen Welttags der Bildung (24. Januar 2025) trafen sich Prof. Dr. Juliane Noack Napoles, Leiterin des Fachgebiets Erziehungswissenschaften und Robin Jost zu einem Gespräch, um darüber zu sprechen, was die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, mit gelingendem Leben zu tun hat. 

Das von der EU und dem Land Brandenburg finanzierte Graduiertenkolleg widmet sich der Erforschung des Phänomens der Literalität, der Lebensrealitäten gering literalisierter Menschen sowie der Entwicklung praxisnaher Beratungsangebote. Ziel ist es, sowohl die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen zu verstehen als auch gesellschaftliche Barrieren abzubauen. "Unser Ausgangspunkt ist nicht, dass jede erwachsene Person lesen und schreiben (wieder) lernen muss“, betont Prof. Noack Napoles. „Stattdessen fragen wir, welchen Stellenwert Schriftsprachlichkeit im Leben der Menschen einnimmt, wie diese selbst ein gelingendes Leben bestimmen und inwiefern für sie beides zusammenhängt.“ 

Das Kolleg umfasst ein interdisziplinäres Team aus Nachwuchswissenschaftler*innen, darunter Expert*innen aus der Sozialen Arbeit, Grundschulpädagogik, Anthropologie und Linguistik. Gemeinsam untersuchen sie die vielfältigen Aspekte von Literalität und Alphabetisierung, darauf basierend entwickeln sie Ansätze, mit denen Betroffene in ihrer Lebensgestaltung unterstützt werden können.

Besonders hervorgehoben wird die Zusammenarbeit mit den Grundbildungszentren in Brandenburg und Unternehmen, um beispielsweise gering literalisierte Mitarbeitende sensibel zu unterstützen, ohne sie zu stigmatisieren. „Häufig sind gering literalisierte Menschen sehr fleißig und entwickeln Mechanismen, um ihre Defizite zu verbergen. Dieses Engagement führt oft zu beruflichen Beförderungen, die wiederum größere schriftlichsprachliche Anforderungen mit sich bringen“, erklärt die Leiterin des Fachgebiets Erziehungswissenschaften weiter.

In Deutschland sind etwa 6,2 Millionen Personen im erwerbsfähigen Alter gering literalisiert. Dies bedeutet, dass sie sich auf den Alpha-Leveln 1 bis 3 befinden:

  • Alpha-Level 1: Erkennen einzelner Buchstaben ohne das Lesen von Wörtern (Buchstabenebene).
  • Alpha-Level 2: Lesen einzelner Wörter ohne Verständnis ganzer Sätze (Wortebene).
  • Alpha-Level 3: Lesen und Verstehen von Sätzen, jedoch mit Schwierigkeiten bei komplexeren Texten (einfache Satzebene).
  • Alpha-Level 4: Langsames und fehlerhaftes Lesen und Schreiben.

Darüber hinaus gibt es weitere rund 10,6 Millionen Menschen, die zum Alpha-Level 4 gerechnet werden.

Ein zentraler Aspekt des Projekts ist die Berücksichtigung der individuellen Lebenswelten der Betroffenen. „Wir müssen die Menschen mit ihren individuellen Wünschen abholen. Viele möchten lesen und schreiben lernen, um persönliche Träume zu verwirklichen, sei es das Schreiben eines Buches oder das Verstehen des Kleingedruckten“, so Prof. Noack Napoles.

Das Projekt hat auch direkte Auswirkungen auf die Lehre an der BTU, insbesondere in den Studiengängen Soziale Arbeit und Lehramt Primarstufe. Die Promovierenden bringen ihre Erkenntnisse in die Lehre ein und sensibilisieren angehende Sozialarbeitende und Lehrkräfte für den Umgang mit gering literarisierten Menschen. Themen wie die Gestaltung inklusiver Unterrichtsmaterialien und die Bedeutung von Literalität in verschiedenen Fächern, von Mathematik bis Musik, stehen dabei im Mittelpunkt.

Die BTU kooperiert eng mit Grundbildungszentren in Deutschland und verfügt über ein Netzwerk internationaler Partner. Dies ermöglicht den Austausch bewährter Ansätze und innovativer Methoden zur Alphabetisierung.

Das Graduiertenkolleg setzt neue Maßstäbe in der Alphabetisierungsforschung und trägt dazu bei, gesellschaftliche Stigmatisierungen abzubauen und den Zugang zu Bildung für alle zu erleichtern. Durch die Kombination aus wissenschaftlicher Forschung und praxisnahen Ansätzen leistet die BTU einen wertvollen Beitrag zur Erwachsenenbildung und zur sozialen Teilhabe gering literalisierter Menschen.

Welttag der Bildung (World Education Day)
Der Welttag der Bildung wird jedes Jahr am 24. Januar begangen und wurde von der UNESCO ins Leben gerufen, um die zentrale Bedeutung von Bildung für individuelle und gesellschaftliche Entwicklung hervorzuheben. Bildung ist nicht nur ein Grundrecht, sondern auch der Schlüssel zu Chancengleichheit, sozialem Fortschritt und nachhaltiger Entwicklung. Der Aktionstag bietet eine Plattform, um globale Herausforderungen im Bildungsbereich zu thematisieren, darunter der Zugang zu Bildung, die Förderung von Alphabetisierung und die Gleichstellung der Geschlechter. Weltweit werden an diesem Tag Initiativen und Projekte präsentiert, die dazu beitragen, Bildung für alle Menschen unabhängig von Herkunft, Alter oder sozialem Hintergrund zu fördern.

Kontakt
Prof. Dr. Juliane Noack Napoles, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU), Fachgebiet Erziehungswissenschaften, T +49 (0)355 5818 414, E  noacknap(at)b-tu.de, www.b-tu.de/fg-erziehungswissenschaften  

Pressekontakt
Robin Jost, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU), Redakteur für Forschungs-PR und Online-Kommunikation, T +49 (0)355 69 3124, E robin.jost(at)b-tu.de, www.b-tu.de

Prof. Dr. Juliane Noack Napoles und Robin Jost treffen sich zum Videointerview und besprechen das Thema Alphabetisierung und gelingendes Leben (Foto: Sascha Thor, BTU)