Thomas Drescher (Maschinenbau)

„Das Studium an der BTU war ein Glücksgriff.“

Thomas Drescher
Maschinenbau (Triebwerkstechnik, Schwerpunkt: Design und Festigkeit)

Thomas Drescher studierte Maschinenbau in Cottbus und arbeitet inzwischen in Japan als technischer Kundenberater für Turbolader Applikationen. Was genau das heißt, erklärt er im Interview. Übrigens ermöglicht eine neue Kooperation zwischen der BTU Cottbus-Senftenberg und der University of Tokyo einen deutsch-japanischen Studienaustausch. Wir versuchen nächstes Jahr ein Alumnitreffen zu organisieren, wo unter anderem auch Japanerfahrene zum Austausch dabei sein werden. Zudem forscht auch die BTU an Turboladern, was sicherlich auch beim Treffen thematisiert wird. Details zum Treffen folgen.

Hallo Herr Drescher, wie sind Sie auf das Studium gekommen?
Da ich in Cottbus geboren wurde und bis auf eine kurze Periode auch in Cottbus die Grund- bis Gymnasiale Oberstufe besucht habe, lag die Entscheidung relativ nah. Und mit nah sind auch günstige und gute Wohnheimplätze, familiäre Atmosphäre, persönliche Kontakte und Vertrautheit zu verstehen. Heute muss ich sagen: Das Studium an der BTU war ein Glücksgriff. Die Tatsache, dass es eine Campusuniversität mit kurzen Distanzen zu Wohnheimen, Stadtzentrum, Einkaufsmöglichkeiten und Ausgehgelegenheiten ist, ermöglichte ein ruhiges und stressfreies Studium. Die moderne Ausstattung und Gestaltung von Campus, Gebäuden, Hör- und Übungsräumen kultivierte eine gewisse Freude. Nicht von der Hand zu weisen war auch die Tatsache, dass die gefühlte Entfernung, beziehungsweise Ansprechbarkeit, von Professoren und Studierenden geringer hätte kaum sein können. Die Qualität der Lehre war gut. Kann aber aus meiner jetzigen Sicht weiter gesteigert werden. Denn auch wenn die Studierenden schluchzen und weinen, über schwere Prüfungen und unbekannte Stoffe, so ist dies doch eine Vorbereitung auf das Berufsleben.

Was genau machen Sie jetzt beruflich in Japan?
Offiziell bin ich technischer Kundenberater für Turbolader Applikationen. Meine Aufgabe ist es Kunden, in diesem Fall Motorenbauer für 4- und 2-Takt Motoren, bezüglich der Wahl des geeigneten Turboladers zu beraten. 4-Takt Motoren sind hierbei Stromgeneratoren, Schiffsmotoren sowie Hilfsaggregate ab 180mm Bohrungsdurchmesser aufwärts. Der Bereich 2-Takt umfasst traditionell Schiffshauptantriebe von 300mm bis 900mm Bohrungsdurchmesser. Das Aufgabenfeld des technischen Kundenberaters umfasst vielfältige Bereiche von klassischen Ingenieurs- bis hin zu Verhandlungs- und Verkaufstätigkeiten. Das Beobachten technischer Trends, aktuelle Markt- und die Konkurrenz-Analyse gehören ebenfalls zu den Aufgaben. Die erwähnte klassische Ingenieurstätigkeit umfasst hierbei die Analyse, Simulation und Erkenntnisgewinnung von Prozessen und Abläufen, welchen einen Verbrennungsmotor umgeben, wie thermodynamische Kreisprozess Simulation/Optimierung, Analyse von Messdaten und Modellsimulationen. Ein nicht alltäglicher aber spannender Aspekt meiner Arbeit ist die Leistungsmessungen auf Motoren in Schiffen und Fabriken. Daneben gehört auch die Fehleranalyse und Konsultationen mit Kunden und Kollegen auf verschiedenen Geschäftsebenen zu meinem Arbeitsumfang. Neben diesem klassischem Maschinenbau, was ein sehr weites Feld ist, betätige ich mich auch auf dem Feld der Softwareentwicklung und Programmierung. Denn Software ist ein wichtiges Tool um die Produktivität und Effizienz kontinuierlich zu verbessern. Im Endeffekt ist es die Aufgabe des Ingenieurs, Maschinen immer besser und effizienter zu machen. Der Ingenieur in der technischen Beratung muss also ein Allroundtalent sein - vom Anzug bis zum Blaumann. Alle Felder der Physik und Mathematik, Verhandlungen, Kosten/Nutzen-Erwägungen als auch wirtschaftliches Know-how muss vorhanden sein. Ich denke, das gibt einen kurzen Überblick was ich beruflich tue. Obwohl ich noch zwei Seiten füllen könnte. By the way, mein Beruf erfolgt in Japanisch, Englisch und Deutsch - teilweise synchron.

Wie kam es, dass sie jetzt in Japan arbeiten und leben?
Wie vieles im Leben war es ein Zufall. Dass ich in Japan arbeite, lag an einem Artikel in der firmeninternen Zeitschrift. Dort wurde über die Arbeit unseres Büros in Kobe berichtet. Es war mir bis dato unbekannt, dass die Firma dort ein Büro unterhält. Da ich schon etwas Japan vorgeschädigt war, wollte ich wissen, was die dort genau machen. Also bin ich in den fünften Stock zum Bereichsleiter gegangen, hab an die Tür geklopft und wir unterhielten uns darüber. Rund ein halbes Jahr später war ich in Kobe. Nur verschweigen darf man nicht, dass ich nur rudimentäre Japanisch-Kenntnisse durch einen Auslandsaufenthalt an der Universität Saitama vorweisen konnte. Dazu kam es auch wieder auf zufällige Art und Weise. Wie viele meiner Kommilitonen auch, habe ich mich im Laufe meines Studiums, mit der Möglichkeit eines Auslandsaufenthaltes beschäftigt. Die Auswahl von Partneruniversitäten war damals für Maschinenbaustudenten eher überschaubar. Damals stand ich vor der Liste und mein Entscheidungsprozess lief eher intuitiv aus dem Bauch heraus. Da es nur zwei Interessenten gab, war die Hürde angenommen zu werden minimal. Das ist noch so ein Vorteil der BTU. Damals wie heute, wurde ein Japanisch Kurs angeboten, welchen ich als Vorbereitung dankend annahm - auch wenn ich mich später mehr mit Hand und Fuß verständigt habe. Der Auslandsaufenthalt war auch ein Grund, warum mich meine Firma nach Japan versetzte, wo ich heute glücklich vor mich hin werkele.

Was waren die größten Umstellungen für sie im Arbeitsleben und im Alltag?
Es wird viel auf Unterschiede herumgeritten und auf kulturelle Differenzen abgewälzt. Nach nunmehr zehn Jahren Erfahrung in drei verschiedenen Ländern lautet mein Fazit: Alle Menschen haben dieselben Ziele: Essen, Wohnung, Arbeit, Familie und das Streben nach Glück. Kultur ist vielmehr die Art und Weise wie wir dies erreichen. Es gibt in diesem Zusammenhang kein „richtig“ oder „falsch“. Wobei die Arbeitswelten in Europa auch stark unterschiedlich sind. Ich versuche es aus meiner Sicht dennoch zu beschreiben. Was zuerst auffällt ist, dass niemand etwas entscheiden will. Alles muss immer, wie banal es auch erscheinen mag, in der Gruppe im Konsens geschehen. Dies führt dazu, dass einfachste Entscheidungen sich zeitlich lange ziehen. Ein anderer etwas überraschender Aspekt, den man so gar nicht glauben mag, ist, dass japanische Unternehmen selten auf Effizienz abzielen. Das Einhalten von Abläufen steht vor Produktivität. Im Allgemeinen kämpfen alle europäischen Unternehmen in Japan mit diesem Umstand. Insbesondere die Aktivierung von Innovationen und Produktivität stellen große Herausforderungen dar. Eine große Umstellung war auch das Arbeiten auf Japanisch. Die Japanische Sprache ist vergleichsweise wortarm und grammatikalisch überschaubar, was dazu führt, dass vieles über Nuancen beschrieben wird. Anstelle „was“ man sagt oder schreibt ist das „wie“ von größerer Bedeutung. Auch die Tatsache das Business in Japan zu 98% auf Japanisch abgewickelt wird, zwang mich schnellst möglich Japanisch auf Business Level zu erlernen. Daneben sind auch viele Aspekte des Verhaltens innerhalb von Business Relations anders als in Europa. Wo in Europa eher partnerschaftliche Beziehungen auf Augenhöhe die Regel sind, herrscht in Japan eher eine „von oben nach unten“ Mentalität vor. Was zu enormem Stress und Kostendruck an den letzten Gliedern der Zuliefererkette führt. Japanische Geschäftspartner sind darüber hinaus teils sehr fordernd was Qualitätsaspekte betrifft. Hierbei tritt das permanente Misstrauen gegenüber den Zulieferern zu Tage. Vieles was bezüglich Dokumentation und Qualitätstest gefordert wird, lässt sich mit der Funktion des Produkts nicht erklären, sondern ist oft das Bestreben sich gegen Fehlerfälle abzusichern. Anders als in Europa, wo der gemeine Grundsatz gilt „Fehler sind menschlich“, herrscht in Japan eine „0 Fehler“ Mentalität vor. Dies treibt teils so absurde Blüten, dass Prozesse und Kontrollen endlos aufgeblasen werden, was wiederum dazu führt, dass die Belegschaften diese teils ignorieren und somit aushebeln. Im schlimmsten Fall werden auftretende Fehler oder Prozessschwankungen zwar erfasst, aber aufgrund des Glaubens an die Prozessqualität nicht beachtet. Teilweise werden Ergebnisse sogar manuell manipuliert ganz nach dem Motto: „Was nicht sein kann, kann nicht sein“. Die Herausforderung in der Arbeitswelt besteht nun darin sich an solch grundsätzlich andere Denkansätze zu gewöhnen.
Die Umstellungen im Alltag hängen natürlich immer damit zusammen wie stark man sich integriert und integrieren will. Ebenso spielt das Wohnumfeld eine entscheidende Rolle. Fangen wir aber banal an. Eine große Umstellung war der Umstand, dass in Japan alle drei Mahlzeiten warm sind. Was eine gewisse Anpassung der Essgewohnheiten bedarf. Eine der größten Umstellungen ist vermutlich der Wohnkomfort. Abgesehen ob man im anonymen Betonblock, in gedrängten Vorort oder dörflichen Umfeld wohnt. Anders als in zentralbeheizten, gut isolierten Wohnungen in Deutschland, fehlt es in Japan an jeglicher Isolierung. Einfachglas und fehlende Isolation in Wand, Boden und Decke sind die Regel. So kühlen Wohnungen im Winter bis auf 10°C bis 5°C herunter. Was dazu führt, dass man sich das ganze Jahr ans Zelten erinnert fühlt. Ein anderer Punkt ist der Konsum. Einfach gesagt: Japan ist ein Land des Konsums. Beinahe alles im Alltag hängt in Japan irgendwie mit Konsum zusammen. Die Menge an Geschäften, Nähe und Zahl erschlägt einen im ersten Moment. Als sparsamer Mensch, der versucht nichts zu kaufen, was ich nicht wirklich brauche, gehe ich teils kopfschüttelt durch die Straßen. Konsum ist der Aspekt Japans, den ich zwar nachvollziehen kann aber nie ganz verstehen werde. Wer klaustrophobisch veranlagt ist oder mit Reisekrankheit in Zügen zu kämpfen hat, dem sei ein weiter Bogen um Japan geraten. Der Zug ist das bevorzugte Verkehrsmittel für den täglichen Weg. Viele Japaner besitzen weder Auto noch Führerschein. Abhängig von der Tageszeit sind die Züge voll oder rammelvoll. Aber sie sind das Mittel der Wahl, alle anderen Möglichkeiten sind keine Alternativen.

Was würden sie am meisten vermissen, wenn sie zurück nach Deutschland kämen?
Am meisten würde ich wohl mein Haus hier vermissen. Vor unserem ersten Kind haben wir uns ein 120 Jahre altes Bauernhaus im ländlichen Osaka gekauft. Wo es sich ganz gut lebt unterm Strohdach mit Holzofen und Papiertüren innen. Vermissen würde ich aber auch das dichte Netz des öffentlichen Nahverkehrs. Hohe Frequenz und Zuverlässigkeit ermöglichen einen fließenden Transfer von Heim zum Büro. Ebenso vermissen würde ich wohl auch die sauberen Straßen und hohe innere Sicherheit. Ob man nun um drei Uhr morgens oder 15 Uhr nachmittags unterwegs ist macht keinen Unterschied.

Wie haben sie die sprachlichen und interkulturellen Unterschiede gemeistert?
Einfach, ich habe mich integriert. Integration ist hierbei vergleichsweise einfach: „mache das nach was die Einheimischen machen“. Sprich die lokale Sprache und besser noch den lokalen Dialekt. Halte dich an die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln. Iss und trink was die Einheimischen essen und trinken. Auch wenn das Essen zu Beginn teils „grusselig“ erscheint, der Tischnachbar isst es auch und lebt immer noch – daher Augen zu und durch. Jetzt mag man behaupten Japanisch sei nun wirklich schwer und lesen kann man auch nichts. Sicher sind die Schriftzeichen nicht lateinisch und der Klang der Sprache unterscheidet sich auch von dem was wir kennen. Was nach meiner Erfahrung am Besten hilft, eine unbekannte Sprache zu erlernen, ist die „Hammer auf den Kopf“-Methode. Von Tag eins an war alles was ich hörte und alles was ich lass nur Japanisch. Wenn man als Kundenberater unterwegs ist, zieht das Argument nur Englisch zu sprechen nicht oder nur begrenzte Zeit. Kopfschmerzen und teils Verzweiflung gehören dazu. Nichts ist schlimmer als nicht zu verstehen, was um einen herum passiert. Deswegen helfen Bücher, nachts lernen und sich Stück für Stück vortasten. Mir half es zu Beginn einfach Menschen im Alltag zu beobachten. So fand ich mich in den ersten Monaten an Wochenenden oft damit beschäftigt, einfach irgendwo zu sitzen und Leute zu beobachten und hier und da Wortfetzen aufzunehmen und Verhalten zu interpretieren. Des Weiteren habe ich es vermieden mich mit Europäern zu treffen. Generell tendiert der Mensch dazu in fremden Umgebungen, Bekanntes oder Seinesgleichen zu suchen. Das ist an diesem Teil der Welt nicht anders als irgendwo anders. Nun geht es gegen diesen inneren Trieb anzukämpfen und rauszugehen um Einheimische zu treffen. Was bei mir half war einfach am Abend in Kneipen auszugehen und Leute zu treffen. Im Endeffekt sind nun aber die Gemeinsamkeiten immer größer als die Unterschiede und daher berufe ich mich lieber auf die Gemeinsamkeiten als zu denken was nun anders sei.

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Daniel Ebert
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