Anne Günther (deutsch-rumänischen Doppelabschluss in Soziale Arbeit)

"Ich kann es deshalb jede*m nur ans Herz legen, einmal für mehrere Monate in ein anderes Land zu gehen und neugierig und unvoreingenommen das Leben kennenzulernen."

Hallo Anne, Du hast an der BTU und der Universitatea de Vest din Timisoara den deutsch-rumänischen Doppelabschluss in Soziale Arbeit gemacht. Warum hast Du Dich für den Doppelstudiengang entschieden, was war deine persönliche Motivation und wo siehst Du persönlich die Vorteile?
Ich hatte mich für den Studiengang entschieden, weil ich im Ausland mit voller Anerkennung meiner Leistungen studieren wollte. Deshalb der Doppelabschluss. Ein Studium im Ausland zu absolvieren hatte mich vor allem angesprochen, weil ich gerne reise und andere Länder gerne intensiver kennenlerne. Rumänien hat mich angesprochen, weil meine Familie seit 30 Jahren mit einer Familie aus der Nähe von Bukarest, Rumänien, befreundet ist, welche ich sie seit Kindestagen kenne und dieses Studium als eine Chance sah, das Leben in Rumänien besser kennenzulernen. Auch war mir eine interkulturelle Arbeit im späteren Berufsleben wichtig. Als Vorteile sehe ich eine weitere Fremdsprache sprechen zu lernen und die Möglichkeit über den eigenen Horizont hinaus zu wachsen. Das sehe ich im regulären Studium deutlich weniger möglich. Aber auch eine andere Kultur und ein anderes Staatssystem intensiv kennenzulernen erachte ich als wichtig, wenn man migrierten Menschen helfen möchte. Auftretende Schwierigkeiten kann man so vielleicht besser verstehen.

Kannst Du uns bitte kurz erklären, was interkulturelle bzw. migrationssensible Soziale Arbeit ist und was Dich daran begeistert?
Interkulturelle bzw. migrationssensible Soziale Arbeit bedeutet, sein Gegenüber in allen Facetten und Unterschieden zu sich selbst wahrzunehmen, um eine diskriminierungsfreie, gelingende Zusammenarbeit zu gewährleisten. Das heißt, kulturelle Unterschiede zu kennen und dementsprechend adäquat zu interagieren. Aber auch zu verstehen, dass auch Sprachprobleme und die Andersartigkeit der staatlichen Systeme zu Schwierigkeiten bei der Migration führen kann. Diese Probleme müssen frühestmöglich erkannt und abgebaut werden. Sozialarbeiter*innen sollten deshalb die jeweilige Kultur und Gewohnheiten, aber auch das Gesellschafts- und Rechtssystem in gewisser Weise, gut kennen. Der deutsch-rumänische Studiengang war hierbei sehr bereichernd und hat meinen Bildungsweg auch dahingehend nachhaltig geprägt. Es bedeutet auch, unsere Gepflogenheiten nicht auf biegen und brechen anderen Menschen aufzuzwingen, sondern in gewisser Weise auch das Akzeptieren der Andersartigkeit des Klientels zu einem selbst.

Was machst Du beruflich und was motiviert Dich selbst am meisten bei der Arbeit?
Derzeit arbeite ich in einer Fachberatungsstelle im Bereich der Wohnungslosenhilfe in Teilzeit, da ich mich entschlossen habe, noch einen Master in Bezug auf Diversität und Forschung im Kontext Sozialer Arbeit zu machen. Ich habe mich für die Arbeit in der Wohnungslosenhilfe entschieden, weil ich dort bereits in meinem Bachelorstudium viele Erfahrungen durch das Auslandspraktikum, aber auch aufgrund eines weiteren Praktikums dahingehend in Hamburg im Rahmen des Vergleichsprojekts sammeln durfte. Letztendlich habe ich auch meine Bachelorarbeit dieser Thematik gewidmet. Dort forschte ich zu und schrieb über „Obdachlosigkeit in Zeiten von Covid-19“ in Deutschland und Rumänien, wobei ich ein besonderes Augenmerk auf die Städte Hamburg und Bukarest legte. Weiterhin liegt mir das Thema auch politisch sehr am Herzen und es Bedarf sowohl im allgemeingesellschaftlichen politischen Diskurs als auch in der Hochschullehre an mehr Beachtung. Das Masterstudium habe ich gewählt, weil ich im Bachelorstudium dank des Doppelstudiengangs bereits einige Berührungspunkte mit dem Thema Diversität hatte und mich das sehr begeistert und interessiert. Ich wollte mein Wissen vertiefen und erweitern. Auch der Forschungsaspekt hat mir sehr gefallen, da ich im Bachelorstudium meine Leidenschaft dafür entdeckte. Das Masterstudium gibt mir nochmals neue Impuls, um mir Wissen anzueignen und zu wachsen. Es eröffnet mir aber auch die Möglichkeit, mich tiefer mit Themen auseinander zu setzen, beispielsweise durch ein Forschungspraktikum.

Man hört immer wieder wie wichtig Auslandserfahrungen für die persönliche Entwicklung und letztendlich auch für Jobbewerbungen sind. Wie war das für dich? Könntest Du etwas genauer erklären, was für eine persönliche Entwicklung dadurch gefördert wird?
Ich hatte bereits vor dem Studium eine längere Zeit im Ausland verbracht und kann somit sagen, dass auch unabhängig vom Studium ein längerer Auslandsaufenthalt einen selbst prägt und weiterentwickelt. Mein zweiter längerfristiger Aufenthalt im Ausland aufgrund des Studiums hat mir geholfen, zuvor gemachte Erlebnisse im Ausland besser einzuordnen und zu reflektieren. Der vorherige Auslandsaufenthalt sorgte dafür, dass ich vieles in Rumänien gelassener nehmen konnte, da das „von Zuhause weg sein“ nicht neu für mich war. Ich habe in Rumänien viel über das Land selbst, aber auch über mich, über gesellschaftliche (Macht-) Strukturen und auch viel über Deutschland gelernt. Ich bin dem sehr dankbar. Ohne diesen Aufenthalt hätte ich einige Blickwinkel niemals haben können. Ich kann es deshalb jede*m nur ans Herz legen, einmal für mehrere Monate in ein anderes Land zu gehen und neugierig und unvoreingenommen das Leben kennenzulernen. Besonders im Bereich der Migrationshilfe aber sicherlich auch in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit ist das Sprechen der Muttersprache des Klientels gern gesehen, wenn nicht sogar ausdrücklich erwünscht. Eine dabei vorzuweisende längere Auslandserfahrung im jeweiligen Land kann das eigene Verständnis der Sprache, aber auch der Kultur und gesellschaftlichen Voraussetzungen untermauern und somit die eigene Motivation für diese Arbeitsstelle dem*der zukünftigen Chef*in nur noch mehr verdeutlichen. Auch zeugt es von Offenheit, Flexibilität und Durchhaltevermögen sowie Resilienz und Ambiguitätstoleranz.

Woran denkst Du als erstes, wenn Du Dich an die Studienzeit erinnerst? Was vermisst Du aus der Zeit am meisten?
Wenn ich an das Studium zurückdenke, denke ich vor allem an die Zeiten in Rumänien – die Exkursionen, den Sprachkurs, das Praktikum und das Studiensemester sowie die Exkursion mit den späteren Ersties. Ich freue mich, dass wir als kleine Gruppe von Studierenden semesterübergreifend zusammengewachsen sind. Das hätte ich mir zu Beginn nicht ausmalen können. Auch bin ich der rat- und tatkräftigen Unterstützung und Anleitung von Doinita Grosu sehr dankbar. Ohne sie wäre das Studium nicht annähernd so bereichernd gewesen. Ich vermisse die Zeit des Studiensemesters mit meinen drei Mitstreiterinnen in Timisoara und unseren gemeinsamen Austausch über unsere individuellen Erfahrungen in Rumänien. Und manchmal vermisse ich es auch, Rumänisch zu sprechen (welches ich erst im Studium gelernt habe). Die Zeit in Verbindung mit Rumänien ist für mich also am meisten in Erinnerung geblieben, da es mich auch tiefgehender geprägt hat. Ich hoffe, dass noch viele weitere Menschen diese Erfahrungen machen können und freue mich darauf, euch vielleicht auch schon ganz bald persönlich kennenlernen zu dürfen.

Kontakt

Daniel Ebert
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BTU Alumna Anne Günther