Interview mit BTU Alumna Julia Kaiser (Soziale Arbeit)

"Ich finde es beeindruckend zu sehen wie man mit dem eigenem Engagement wirklich etwas bewegen kann."

Julia engagierte sich viele Jahre ehrenamtlich in Cottbus und begann 2015 als Quereinsteigerin bei sozialen Projekten zu arbeiten. Ab 2018 studierte sie Soziale Arbeit und erhielt 2022 erfolgreich ihren Studienabschluss. Sie arbeitet aktuell beim Paritätischen Landesverband Brandenburg e.V. im Büro der Freiwilligenagentur Cottbus und unterstützt dort Menschen, die sich für Integration, Toleranz, Umwelt, Kinder, Sport und Bewegung einsetzen. Vielleicht ist das Interview auch für viele BTU Alumni eine Motivation sich vor Ort ehrenamtlich zu engagieren. Julia ist da euer Kontakt.

Hallo Julia, wie bist Du dazu gekommen berufsbegleitend Soziale Arbeit zu studieren und was würdest Du anderen Menschen aus dem Arbeitsfeld raten, die überlegen einen ähnlichen Schritt zu wagen?
Meine ersten zwei Studienabschlüsse im Bachelor und Master waren naturwissenschaftlich ausgerichtet. Letztlich habe ich aber nach einem Beruf gesucht der mehr die Komponente „Mensch“ im Fokus hat. Mich hat schon länger der Aspekt des Öko-Systems interessiert, und da darf der Faktor Mensch natürlich nicht außen vor bleiben. Die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 war für mich dann die Chance im sozialen Bereich Fuß zu fassen. Als Betreuerin von unbegleiteten, minderjährigen Geflüchteten konnte ich viele meiner Fähigkeiten einbringen, vor allem Zugewandtheit und Unterstützung von den Ressourcen, die jeder einzelne Mensch hat, und sicherlich habe ich sehr viel Neues dazu gelernt! Auch in der Arbeit mit Menschen spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle. Beziehungsarbeit braucht Zeit, das Vertrauen wächst langsam. Die Förderung und das Stärken der jeweiligen Person hin zu mehr Selbständigkeit in vielen Lebenslagen ist nachhaltiger, als die schnelle Lösung von Problemen in dem man es einfach als Betreuerin mal eben schnell selbst macht. Meine Vorgesetzen rieten mir, wenn ich mir eine längere berufliche Verwirklichung in dem Gebiet vorstellen kann, doch noch das Studium der Sozialen Arbeit dranzuhängen. Nur mit einer gewissen Fachlichkeit ist eine qualitative Arbeit möglich. Hätten sie es mir nicht ans Herz gelegt, mich ermutigt und in mir was gesehen, ich weiß nicht, ob ich das dritte Studium sonst angegangen wäre. Ich kann jedem raten, der ebenfalls überlegt einen Quereinstieg zu machen, es auszuprobieren und mit Fachlichkeit den neuen Weg zu untermauern. Mir hat das dritte Studium sehr gut gefallen. Es lernt sich leichter mit einer gewissen Studiumserfahrung und vor allem mit dem praktischen Bezug durch die Arbeit. Ich will nicht verheimlichen, dass es eine extreme Selbstorganisation braucht ein Vollzeitstudium, die Arbeit und das restliche Leben unter einen Hut zu bekommen, aber letztlich ergeben sich so viele Schnittstellen, dass es eine echte Win-Win Situation ist!

Wie helfen Dir die erlernten Kompetenzen und das Wissen aus dem Studium ganz konkret bei Deiner Arbeit?
Mir hilft vor allem das Erlernte zu gesellschaftlichen Prozessen, Methoden zur Einzelberatung aber auch zu Gruppenprozessen sehr in der Ehrenamtskoordination und Ehrenamtsberatung in der Freiwilligenagentur. Das Studium hat mir auch sehr geholfen die Soziale Arbeit nicht nur als hauptamtliche Auslebung des Helfersyndroms, sondern als fachlich und inhaltlich sehr vielfältige Profession zu verstehen. Der Austausch mit anderen Studierenden und den Lehrenden hat mir geholfen meine eigene fachliche Haltung zu finden und zu entwickeln. Themen wie professionelle Nähe und Distanz im beruflichen Kontext gut zu dosieren und Empowerment zu ermöglichen durch die eigene Zurückhaltung und Förderung der Stärken des Gegenübers und der Ausbau von interkulturellen Kompetenzen zählen zu den Aspekten, die ich in meiner täglichen Arbeit gut gebrauchen kann.

Was machst Du genau bei der Freiwilligenagentur und wie kann man sich Deinen Arbeitsalltag vorstellen?
Unser Kredo ist die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in Cottbus. Das ist sehr breit und ist letztlich so vielfältig wie die Menschen und ihre Themen sind. Ein Baustein ist die Ehrenamtsberatung. Hier kommen Menschen, die sich gern in Cottbus engagieren möchten und einen Einsatzort suchen, genauso beraten wir aber auch soziale Einrichtungen die helfende Hände suchen. Das kann zum Beispiel ein Seniorenheim sein, das jemanden sucht der im Nachmittagsbereich aushilft, oder der Lesefuchs e.V. der Menschen sucht die Freude daran haben Kindern beispielsweise im Krankenhaus vorzulesen, oder die Fahrrad-Freundinnen suchen noch Frauen die Migrantinnen beim Radfahrlernen unterstützen möchten. Wir begleiten auch gerne Menschen, die eine eigene Idee für das gesellschaftliche Miteinander haben und noch Mitstreiter*innen, Räume, Finanzierung und Ähnliches suchen. Wir legen großen Wert auf Netzwerkarbeit und sind in den unterschiedlichsten Arbeitsgemeinschaften aktiv, zum Beispiel zum Thema Familienförderung, zur Gemeinwesenarbeit im Stadtteil oder planen den Tag der Nachbarschaft, das nächste Bürgerfest und vieles mehr. Wir haben auch eigene Projekte wie den Wunschgroßelterndienst oder die Seniortrainer*innen. Die letzten Jahre haben wir die Sprechcafés aufgebaut, um die interkulturelle Begegnung in Cottbus zu fördern. Seit diesem Jahr baue ich mit ehrenamtlichen Anleiter*innen Sport- und Bewegungsangebote für Senior*innen vor allem in den außenliegenden Ortsteilen in Cottbus auf. Aktuell beschäftigt uns natürlich die Ukrainehilfe sehr, in der Krise ist das Ehrenamt meist sofort zur Stelle und leistet wahnsinnig viel! Uns ist wichtig, dass Ehrenamt einen guten Rahmen vorfindet, nicht ausgenutzt wird, Ansprechpersonen da sind, sinnhafte Tätigkeiten passend zur Person ausgeführt werden können und auch eine individuelle Anerkennungskultur gelebt wird. Unsere Arbeit ist sehr dynamisch, basiert viel auf Netzwerkarbeit und wird bestimmt von den Themen, die die Menschen mit sich bringen.

Du lebst seit 2011 in Cottbus und engagierst Dich an vielen Stellen in der Stadt. Was macht Cottbus so interessant und lebenswert für Dich?
Als ich 2011 nach Cottbus kam war mein Plan den Master zu machen und dann wieder zu gehen. Daraus ist gottseidank nichts geworden. Ich habe schon an vielen Orten in der Welt Lebenszeit verbracht und finde gerade in Cottbus einen Ort und Menschen, die nicht perfekt sind und das auch nicht versuchen zu sein. Hier ist vieles noch möglich. Ich bin eher die Macherin und finde es großartig, dass es so viele Themen gibt, die man hier angehen kann. Cottbus ist groß genug, um noch vier andere zu finden die ebenso begeisterungsfähig sind und anpacken wollen und klein genug sich gut auszukennen, sich wieder zu treffen und sich mit der Stadt identifizieren zu können. Hier läuft sicherlich nicht alles rund, das wäre mir auch zu langweilig. Die Ecken und Kanten geben Cottbus ein Gesicht. Meine zwei großen Engagement-Bereiche waren die Aktivitäten vor allem rund um den 15. Februar bei Cottbus Nazifrei! zu unterstützen und den Cottbuser Kost-Nix-Laden zu gründen. Ich finde es beeindruckend zu sehen wie man mit dem eigenem Engagement wirklich etwas bewegen kann. Dabei habe ich super viel gelernt, über Cottbus, die Menschen die hier leben und über mich selbst!

Der BTU Campus in Sachsendorf ist sehr klein und vor allem durch die Studierenden der Sozialen Arbeit und Instrumental- und Gesangspädagogik geprägt. Was waren Vorteile und vielleicht auch Nachteile an so einem familiären Umfeld im Studium und was würdest Du Studieninteressierten sagen, die vielleicht skeptisch sind an so einem kleinen Campus zu studieren?
Das ist immer eine Frage der Perspektive! Meinen ersten Bachelor habe ich an der Fachhochschule in Eberswalde studiert, dahingegen wirkt der Campus in Sachsendorf groß! Ich liebe die kleineren Standorte! Zugegeben sie wirken vielleicht „ab vom Schuss“ und haben nicht viel gemein mit den Bildern von großen, stadtähnlichen Campusbildern die wir aus Hollywoodfilmen kennen, aber auch hier gilt das Motto: einsam in der Millionenstadt. Der große Vorteil ist einfach, dass du hier keine Nummer bist, sondern die Lehrenden dich früher oder später per Namen kennen. Du hast bald einen Überblick wer eigentlich zu deinem Semester gehört und wer ein Jahrgang über dir ist den du mal nach Übungsklausuren aus dem Vorjahr fragen kannst. Ich finde es auch schön, nicht auf dem Campus zu wohnen, um auch aus der Studiumsbubble raus zu kommen und bestenfalls mit einheimischen Menschen in Kontakt zu kommen. Der Weg mit dem Rad durch Cottbus nach Sachsendorf hat mir nach der Vorlesung immer Zeit gegeben abzuschalten und auf dem Weg hin zur Prüfung war ich wach und fit. Ich würde mich im Zweifel immer wieder für die kleinere Struktur entscheiden, da ich überzeugt davon bin, dass hier individueller auf mich eingegangen werden kann statt ein auf Menge ausgelegtes, eher starres Konstrukt. Natürlich gibt es auch Nachteile wie zum Beispiel geringere Auswahl bei Arbeitsgemeinschaften, Exkursionen oder auch Menüs in der Mensa. Da muss jeder Mensch wahrscheinlich entscheiden was ihm selbst wichtiger ist.

Kontakt

Daniel Ebert
VP S 3 ALUMNI
T +49 (0) 355 69-2420
daniel.ebert(at)b-tu.de
BTU Alumna Julia Kaiser