Vom 3. - 5. Oktober 2019 fanden sich in der kleinen Stadt Manduria (Italien) Mitglieder des Verbandes der unabhängigen Forensiker sowie Studienanfänger/Innen des Master-Studienganges Forensic Science and Engineering der BTU Cottbus zur 4. Jahresveranstaltung ein. Die Stadt Manduria hat ca. 31.000 Einwohner und befindet sich im „Absatz“ der italienischen Halbinsel. Manduria zählt als Namensgeber der Rotwein Appellation ‚Primitivo di Manduria‘.
Den Auftakt der dreitägigen Veranstaltung in Manduria bildete die Begrüßung der Erstsemester-Studierenden durch Studienkoordinator Dirk Marx, M.B.L.
Unter der Anleitung von Herrn Jochen W. Lutz, M.Sc. (BTU-Forensics) wurden die Studierenden nach einer Vorstellungsrunde in Arbeitsgruppen eingeteilt, um der Fragestellung nachzugehen, ob die öffentlich wahrgenommene Zunahme der Gewalt gegen Polizeibeamte, Feuerwehrkameraden und andere Rettungskräfte ihre Begründung in dem Umgangston der Beamten selbst und der größeren Distanz zwischen Polizisten und anderen Rettungskräften zu den Betroffenen haben könnte. Als ein möglicher Erklärungsansatz wurde der gesellschaftliche Wandel, hin zu einer verstärkten Ich-Bezogenheit gesehen. Dieser könnte einen gröberen Umgangston im Allgemeinen, sowie ein sinkendes Verständnis für die Brisanz von Notsituationen, in denen Polizei, Rettungskräfte sowie Feuerwehrleute eingesetzt werden und die damit einhergehende Verzögerung der eigenen Bedürfnisbefriedigung zur Folge haben. Ein weiterer Erklärungsansatz könnte in der Zunahme des psychischen Stresses von Einsatzkräften durch die personelle Unterbesetzung und der daraus resultierenden Depersonalisierung durch mangelnde Resilienz liegen. Ebenso wurde die zunehmende Nutzung von Smartphones, die zu einer Veränderung des Nähe-Distanzverhältnisses führt, als Möglichkeit zur Erklärung angeführt. Dabei steht die Sensationslust der Arbeit der Einsatz- und Rettungskräften entgegen, was auf beiden Seiten zu Anspannung führen kann. Die eingangs gestellte Frage, ob die in der Öffentlichkeit wahrgenommene Zunahme der Gewalt in der Verhaltensveränderung der Einsatz- und Rettungskräfte ihre Begründung findet, konnte abschließend nicht eindeutig beantwortet werden. Insbesondere auch, weil laut einer Studie der Uni Bielefeld statistisch kein signifikanter Anstieg tätlicher Angriffe gegenüber Einsatzkräften verzeichnet werden kann.
Die weitere Fragestellung, ob Polizeibeamte hinsichtlich der Erkennung etwaiger Vergiftungen als Todesursache im Rahmen ihrer Ausbildung sensibilisiert werden sollten, wurde in einer offenen Diskussion nachgegangen.
Hierbei galt zunächst zu erörtern, ob die diesbezügliche Ausbildung bereits Teil der Grundausbildung eines Polizeibeamten sein sollte oder ob diese Zusatzqualifikation eher bei bestimmten Dienststellen der Kriminalpolizei (z. B. dem Kriminaldauerdienst und/oder der Mordkommission) angesiedelt werden müsste. Da das Bestattungsgesetzt, das die Voraussetzungen einer Obduktion regelt, in den einzelnen Bundesländern variiert, sowie die Feststellung der Todesursache in der Regel dem behandelnden Notarzt und nicht dem Polizisten vor Ort obliegt, ergaben sich aus dem Diskurs neue Fragen.
Die angeregten Diskussionen fanden ihren Ausklang bei einem sommerlichen Strand-Besuch am Golf von Tarrent und einem gemeinsamen Abend bei regionalen Spezialitäten, sowohl auf dem Teller als auch im Glas, im „La Locanda di Antonvito“.
Nicht nur wegen des guten Wetters und Weines wurde der Tagungsort in Apulien gewählt. Am 25.12.1984 gründete Guiseppe Rogoli im Gefängnis der apulischen Hauptstadt Bari die italienische Mafia-Organisation „Sacra Corona Unita“. Diese dient als gutes Beispiel organisierter Kriminalität und zur Erläuterung des Zusammenhanges zur Wirtschaftskriminalität, die unter anderem Inhalt des Vortrages von Jochen W. Lutz M.Sc. waren, der unseren zweiten Veranstaltungstag einläutete. Beide Kriminalitätsformen agieren miteinander, bedingen sich gegenseitig und haben organisierte Strukturen und Netzwerke, denen ein arbeitsteiliges Vorgehen zugrunde liegt. Während durch die organisierte Kriminalität vorwiegend Straftaten im Bereich der Prostitution, des Waffen-, Betäubungsmittel- und Menschenhandels, sowie der Geldwäsche und der Schutzgelderpressung begangen werden, findet man in der Wirtschaftskriminalität primär den sogenannten white-collar crime vor. Darunter werden Straftaten wie Betrug, Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung und ebenso Geldwäsche subsumiert. Diese Delikte sind oftmals aufgrund eigener Involviertheit und dem damit einhergehenden mangelnden Interesse an der Aufdeckung hinsichtlich ihrer Prävention, Beweisbarkeit und der Verurteilung von Straftätern problematisch.
Mögliche Lösungsstrategien folgten von Herrn Prof Dr. Dirk Labudde (HS Mittweida): Mittels forensischer Algorithmen wäre es möglich, organisierte- und Wirtschaftskriminalität zu untersuchen, da sich ihre Verbände wie Wirtschaftsunternehmen verhalten. Sie haben eine ähnliche Organisationsstruktur mit einer Personalplanung und -führung, Logistik, Forschung und Entwicklung und unterscheiden sich lediglich über ihre Geschäftsfelder wie Rauschgifthandel, Prostitution, Mord, Erpressung und auch Cybercrime und Produktpiraterie. Eine weitere Herausforderung, vor der Ermittlungsbehörden stehen, ist die zunehmende Digitalisierung sowie die Vernetzung. In einer stark vernetzten Welt gilt es, aus den vorhanden Massendaten den kleinen Teil herauszufiltern, der tatsächlich deliktischen Inhalts ist. Herr Prof. Dr. Labudde führte hierzu die Systeme MoNa, SemanTa, AVATAR und SoNA an. Sie ermöglichen, die verschiedenen Bereiche der digitalisierten Welt anhand von Besonderheiten der Ontologie und Semantik zu analysieren sowie die Untersuchung relevanter Textnachrichten hinsichtlich des Zeit- und Personalaufwands erheblich zu reduzieren.
Herr Lutz hob als eine Form der organisierten Kriminalität die Clankriminalität hervor. Diese entwickelte sich im 19. Jh. in Amerika durch die territoriale und nationale Abschottung der einzelnen Einwanderungs-Gruppierungen. Auf die fehlende Integration und Verstöße gegen geltende Rechtsnormen reagierte der Staat beispielsweise mit Prohibitionen. Zur Erhaltung der Macht und der Ehre der Familie wurde Gewalt, Prostitution und Korruption von den Clans eingesetzt.
Frau Mirijam Steinert, B.Sc. (HS Mittweida) erörterte die psychologischen Verbindungen innerhalb der Clanstrukturen, die sich insbesondere durch die Position der Mitglieder innerhalb der Familie ergeben. Menschen in einem Familienverband sind in der Regel nicht austauschbar. Sie definieren und identifizieren sich mit den vorgegebenen Werten dieser Gruppierung und stellen diese über ihre persönlichen Bedürfnisse. Dadurch unterscheiden sich Clans erheblich von formellen Bezugsgruppen und grenzen sich stark nach außen ab, was den Mitgliedern wiederum ein Gefühl von Sicherheit und Bestätigung gibt.
In einem weiteren Vortrag vermittelte uns Herr Dr. (ua) Dipl. Ing. Eckhard Grünheid (Brandursachenermittler) die Bedeutsamkeit der Gutachter-Tätigkeit. Anhand eines Fallbeispiels, bei diesem führte ein durch Fremdverschulden verursachter Brand in einem Schweinemastbetrieb zum Tode der Tiere, verdeutlichte er die Auswirkungen von Fehlern bei der Gutachtenerstellung. Zur Vermeidung dieser sind sowohl im Zivilrecht in Bezug auf die Sachschadenerstattung durch die Versicherung wie auch in Strafverfahren eine frühzeitige, professionelle Begutachtung sowie die Fertigung aussagekräftiger Lichtbilder des Brandortes essentiell.
Den Abschluss der Vortragsreihe dieses Veranstaltungstages bildete die Präsentation von Herrn Thomas Straub, M.A. (Kriminalhauptkommissar). Er thematisierte einen Bericht der Bundesregierung über die Empfehlungen des 2. NSU-Untersuchungsausschusses und dessen Umsetzungsstand mit den folgenden Forderungen:
- Einbindung von Ermittlern unterschiedlicher Fachzuständigkeiten
- Einrichtung von Evaluationsmechanismen zur Überprüfung von Ermittlungsschritten und Auswertungsergebnissen
- Überprüfung von Ermittlungsverfahren und abgeschlossene ungelöste Fälle durch sog. Cold-Case-Units im Lichte neuer technischer Möglichkeiten
- Verbesserung polizeilicher Arbeits- und Fehlerkultur u.a. durch Maßnahmen der Aus- und Fortbildung
- Verbesserung der Supervision/Rotation sowie Evaluierungs- und „Controlling“-Mechanismen
Die Anwendung neuer technischer Möglichkeiten impliziert, dass diese aktuellen Forschungsergebnisse interdisziplinärer Wissenschaften bei der Tatortarbeit durch die Kriminaltechnik während der Spurensicherung berücksichtigt werden. Ein mit Dirk Marx erarbeiteter Zwischenschritt könnte eine mögliche TransLAB-Forensic-Investigation sein. Praktiker als auch Wissenschaftlicher könnten dabei in einen strukturierten und interdisziplinären Austausch treten, um aktuelle Forschungsergebnisse auf notwendige Ermittlungsnotwendigkeiten zu adaptierten. Grundsätzlich können Sachverständige, unabhängig ihrer innovativen Möglichkeiten, nur das verwerten und untersuchen, was am Tatort gesichert worden ist, es sei denn, sie sind bei der Spurensicherung am Tatort anwesend.
Der 05.10.2019 wurde von den italienischen Experten Herr Erebo Stirpe und Frau Alexandra Agarvrilesei vom Carabinieri CSI-Team Napoli mit einem Vortrag über Blutverteilungsmuster begonnen. Herr Stirpe erklärte mit dem Aufbau des Blutes aus Feststoffen (roten und weißen Blutkörperchen, sowie Blutplättchen) und Flüssigkeit (Blutplasma) die besondere Konsistenz (fluid) von Blut. Ihre verschiedenen Formen (flüssig, geronnen und getrocknet), die an Tatorten aufgefunden werden können, ermöglichen diverse Auswertungsmöglichkeiten. Es wurde deutlich, dass der Winkel sowie die Entfernung zur Wunde anhand der Länge und Breite einzelner Tropfen bestimmt und exakt berechnet werden kann. Darüber hinaus wies der Vortragende auf die verschiedenen Formen der Blutspuren, wie z. B. Wisch-, Tropf- und Spritzspuren sowie Kontaktspuren hin, was eine sehr präzise Rekonstruktion des Tatablaufes ermöglicht.
Abschluss der Veranstaltung bildete die Darlegung von Herrn apl. Prof. Dr. Thomas Fischer (BTU Cottbus) über die grundlegenden Verhaltensregeln für die Polizei im Ersten Angriff an Ereignissorten mit einer hohen Spurenerwartung. Er erläuterte die Wichtigkeit der Absperrung von sowohl Tat-, Brand- als auch Unfallorten um möglichst spurenschonend und ggf. spurensichernd vorzugehen.
Die Tagung wurde mit einem gemeinsamen Abend im Ristorante-Pizzeria I Mercanti und angeregten Unterhaltungen beendet. An dieser Stelle möchten wir die Gelegenheit nutzen, einen besonderen Dank an Herrn Dirk Marx und Herrn Anayo Ezeamama, M.Sc. für die hervorragende Organisation sowie an den Alumnus Herrn Thomas Röth (RA) auszusprechen, der uns bei der Überwindung kleiner sprachlicher Barrieren unterstützt hat.