Sozialwissenschaftliche Betrachtungen und Schlussfolgerungen

zum Oder-Hochwasser 1997 und zu seiner Rezeption durch die betroffene Bevölkerung

  • Diana Broszonn
  • Cordula Goehrendt
  • Patrice Heine
  • Stephan Ilge
  • Miriam Kitte
  • Marcel Klatt
  • Olaf Könning
  • Kerstin Kowtsch
  • Katharina Pätzold
  • Lars Schwill
  • Robert Suchner
  • Julia Thiele

Lehrstuhl für sozialwissenschaftliche Umweltfragen

Prof. Dr. Wolf Schluchter

Vorbemerkung

Die vorliegende Untersuchung und ihre Ergebnisse stehen im Zusammenhang mit der Beauftragung des Lehrstuhls für Hydrologie und Wasserwirtschaft (Prof. Dr. Uwe Grünewald) durch das Deutsche IDNDR-Komitee für Katastrophenvorbeugung e.V. zur Erstellung einer "Studie zu Ursachen, Verlauf und Folgen des Sommer-Hochwassers 1997 an der Oder sowie Aussagen zu bestehenden Risikopotentialen".

Die Untersuchung wurde durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Lehrveranstaltung "Ökologischer Dialog und Diskurs" vorgenommen; die Gruppe bestand aus insgesamt 14 Personen.

Die Untersuchung beinhaltete eine Vorbereitung für das Thema durch die Auswertung einschlägiger Literatur, eine sekundäranalytische Auswertung von Presseartikeln, eine Ortsbegehung und Recherchen vor Ort mit Gesprächen bei Betroffenen und dem Ortsbürgermeister einer betroffenen Gemeinde. Hinzu kommt ein Expertengespräch mit einem Mitglied des während des Hochwassers vor Ort operierenden Krisenstabes, in dem die erarbeiteten Konzeptvorschläge und Schlussfolgerungen auf ihre Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit überprüft werden konnten.

Im folgenden enthält der Bericht drei Abteilungen. Zunächst werden die Ergebnisse der Recherchen dokumentiert. Dann folgen Konzeptvorschläge samt Begründungen und zum Schluss steht eine Zusammenfassung über Schritte, die unmittelbar eingeleitet werden sollten.

1. Die Recherche und ihre Ergebnisse

Erfasst wurden subjektive und objektive Kriterien. Subjektive Kriterien sind solche, die auf Meinungen und Sichtweisen der verschiedenen, an der Situation beteiligten Akteure zurückgehen. Objektive Kriterien sind jene, denen eine bestimmte, klar definierbare Situation zugeordnet werden kann. So ist es z.B. objektiv, wenn die Deichkrone durch das Hochwasser überspült wird und subjektiv ist, ob dies zu einer Evakuierung von Anwohnern führen muss.

Unter diesen Aspekten wurden durch das Untersuchungsteam verschiedene Fragekomplexe erarbeitet und vor Ort eruiert.

Objektiv ist das Hochwasser auf eine zweimalig hintereinander liegende 5B-Wettersituation zurückzuführen, bei denen an einem Tag so starke Regenfälle zu verzeichnen waren wie sonst in einem ganzen Jahr. Objektiv ist auch, dass die Pflege der Deiche und ihre Peripherie seit langem vernachlässigt wurde, zumindest im Vergleich zu früheren Aktivitäten, von denen berichtet wurde. Objektiv sind Deichbrüche am 23. und 24. Juli 1997 erfolgt, die zu einer Auffüllung der Ziltendorfer Niederung geführt haben und in deren Folge verschiedene Häuser (Kunitzer Loose) und Orte (Ernst-Thälmann-Siedlung) überschwemmt und schwer beschädigt wurden. Ebenfalls objektiv ist, dass auf Bitten deutscher Stellen im polnischen Überschwemmungsgebiet zusätzliche Polder geöffnet wurden, um auf deutscher Seite eine Entlastung zu erreichen. Und letztlich objektiv fanden auch Maßnahmen statt, die zur Katastrophenbewältigung an und umgesetzt wurden, wie z.B. die Evakuierung der Ernst-Thälmann-Siedlung.

Objektiv waren also alle Faktoren, die eindeutig bewertbar, vorhersehbar, beobachtbar und einer klaren Ursache oder einem Ereignis unzweifelhaft zuordenbar sind.

Subjektiv ist vieles vor, während und nach dem Ereignis nicht optimal gelaufen, wobei dieses Urteil je nach Einbezogenheit und Interessenlage an ein und demselben Vorfall ganz unterschiedlich ausfällt. Subjektiv unterschiedlich wurden z.B. die Ereignisse eingeschätzt, die zur eigentlichen Katastrophe geführt haben. Auch die Definition des Katastropheneintritts erstreckte sich auf unterschiedliche Bezugspunkte. Für Teile des offiziellen Krisenstabs trat der Katastrophenfall ein, als die Grenzkriterien des Pegelstandes bzw. des nicht mehr vorhandenen Pegelstandes für die Alarmstufe III erfüllt waren, für andere Teile war es der erste Deichbruch am 23.7.97 in der Ziltendorfer Niederung. Für Teile der Betroffenen begann die Katastrophe mit dem Eindringen des Wassers in die Häuser, für andere mit der Evakuierungsanordnung. Wie subjektiv die Beurteilungen ausfielen, lässt sich gerade am Evakuierungsfall zeigen. Obwohl Tage vorher die Eintrittsmöglichkeit dieses Falles durch Informationsblätter und sonstige öffentliche Mitteilungen von Seiten des Krisenstabes bekannt gemacht wurde, empfanden Betroffene in der Ernst-Thälmann-Siedlung die kurzfristig vor der eigentlichen Evakuierung per polizeilicher Lautsprecherdurchsage angekündigte Maßnahme als überfallartig und willkürlich.

Wie widersprüchlich objektive Sachverhalte auf subjektiver Ebene beurteilt werden, kann im Falle des Bundeswehreinsatzes ermessen werden. Der Bundeswehreinsatz als ultima ratio der Katastrophenbewältigung wurde von einigen zunächst so empfunden: "Es war als ob Krieg ausgebrochen ist". In der späteren Einschätzung mutierte diese Meinung dann zum Urteil, dass "ohne die Bundeswehr nichts zu retten gewesen wäre".

Deutlich wird, dass die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung objektiver Sachverhalte und der subjektiven Beurteilungen unterschiedlicher Akteure gerade in Lagen, die ziel gerichtetes und kollektiv verfasstes Handeln erforderlich machen, Effizienz mindernd und möglicherweise sogar kontraproduktiv sein können.

Dies gilt insbesondere für Situationen, in denen unterschiedlich agierende Akteure und unterschiedlich strukturierte und organisierte Institutionen aufeinander stoßen. So wurde z.B. eine Situation häufig erwähnt und hervorgehoben: es handelt sich um die Absicht, einen Damm an der nördlichen Grenze der Ziltendorfer Niederung zu sprengen, um der Gemeinde Wiesenau Entlastung zu verschaffen. Gleichzeitig hätte dies wahrscheinlich die Überflutung hinter dem Deich in Abfließrichtung gelegener Siedlungen bedeutet. Dieser Sachverhalt löste sehr unterschiedliche Reaktionen und Interpretationen aus und es ist nicht absehbar, wie sich im Falle des Vollzugs dieser Maßnahme die öffentliche Meinung entwickelt hätte.*

* Der Krisenstab in Frankfurt/Oder hatte die Bundeswehr veranlasst, Pioniereinheiten mit Hubschraubern am Deich abzusetzen und diese bereiteten die Sprengung vor; es fehlte nur noch der konkrete Sprengbefehl. Die Bevölkerung verarbeitete diesen Vorgang als Gerücht, ohne über die Modalitäten, Veranlasser und Vollzieher informiert worden zu sein. Dieses Gerücht bewirkte große Verunsicherung und Zweifel an der Sinnhaftigkeit externer Entscheidungen und deren Effekte für die konkrete Problemlösung.

Überlegungen zur Beurteilung des Hochwasserverlaufs und Schlussfolgerungen für Strategieveränderungen müssen diese objektiven und subjektiven Ebenen mehr als bisher berücksichtigen.

Im folgenden werden einige der zentralen Argumente wiedergegeben, die ein Licht auf die Beurteilung der Hochwasser bzw. Katastrophensituation sowie auf Problemlösungsperspektiven werfen. Die Argumente ergaben sich aus der Vor-Ort-Recherche.

Es wird konstatiert, das die Deichpflege seit langem vernachlässigt wurde, erwogen wird die Möglichkeit, dass die Deiche zukünftig durch die ansässige Bevölkerung gepflegt werden

es besteht die Meinung, das unangemessene Umweltschutzmaßnahmen den Hochwasserverlauf ungünstig beeinflusst haben

es gab keine Anknüpfung an die in der DDR vorhandene und bis heute gut erinnerte Notfall/Katastrophen-/Selbstschutzorganisation, weshalb Unsicherheit und Unkenntnis über notwendige Sicherheitsmaßnahmen/Rettungsmaßnahmen und deren Ingangsetzung bestanden

örtliche Rettungsorganisationen (Feuerwehr etc.) hatten keine Kenntnisse über Katastrophenpläne, Bevölkerung war im Unklaren, es gab Verständnis und Informationsprobleme über Kompetenzen der verschiedenen einlaufenden Institutionen (Technisches Hilfswerk, Bundeswehr, Hilfsdienste, Feuerwehren usw.)

  • es gab keine Leitorientierung zur Selbsthilfe und zu kollektivem Verhalten, und institutionell gab es diesbezüglich Defizite über Ansprechstellen und Führungsfunktionen
  • eine Selbstorganisation der Bürger war während des Katastrophenfalles nicht möglich, obwohl es Bereitschaft zur Selbsthilfe gab
  • es gab keine kognitive und psychosoziale Vorbereitung auf den Katastrophenfall
  • viele Bürger hingen dem Prinzip Hoffnung nach, und auch heute gilt dieses Prinzip weiter ("es wird schon nicht so schlimm kommen", "jetzt wird wohl eine Weile nichts mehr passieren")
  • während des Katastrophenfalles fehlten wichtige Sachinformationen, die für die Bürger verhaltens- und entscheidungsrelevant sind, z.B. über Evakuierungskriterien, Evakuierungsoperationen und Standorte
  • bei der Bevölkerung lag vor dem Hochwasser insofern ausgeprägtes Sicherheitsdenken vor, als sich niemand vorstellen konnte und wollte, daß der Hochwasserverlauf den üblichen jährlichen Rahmen übersteigen könnte
  • es handelte sich um eine irreguläre, nicht erwartete Situationsentwicklung, weshalb weder operationelle noch mentale "Vorprägungen" ins Spiel kamen
  • es fehlten Bewertungs- und Beurteilungsgrundlagen für die aktuelle Situation, weil darüber nicht organisiert kommuniziert worden ist
  • bei der Gesamtorganisation spielten die örtlichen Kräfte und Bürger keine Rolle; es fehlte an der Feinkoordination von Maßnahmen, die durch die Bürger durchgeführt wurden bzw. werden konnten
  • Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von Experten ist unklar, desgleichen ist die Identifizierung von akzeptierten Experten schwierig
  • es gab unzweckmäßige Genehmigung von Ölheizungen und keine klaren Vorschriften für diesbezügliche Maßnahmen und Verhaltensweisen im Katastrophenfall
  • angestrebt werden nun Diskussionen und Bürgerbeteiligung bei Entscheidungen, die die Bürger betreffen
  • es wird die Frage aufgeworfen, ob eine Aussiedlung aus dem Überschwemmungsgebiet sinnvoll sein könnte; gegenläufige Meinungen gehen davon aus, daß die Bevölkerung in der Region verwurzelt ist
  • nach der Katastrophe müssen Lernprozesse stattfinden, auch um einer Verdrängung der Risiken entgegen zu wirken
  • es gibt Schuldzuweisungen und Schuldverschiebung

Zusammengefasst ergeben die Befragungen von Betroffenen folgendes Bild:

Eine Vorsorge für den Fall der Fälle wurde kaum für notwendig erachtet, weil Hochwasser der Oder als eine regelmäßige Erscheinung angesehen und im üblichen beherrscht wird. Zu DDR-Zeiten war die Pflege der Deiche u.a. im Rahmen der Zivilverteidigung organisiert. Das damalige Problembewusstsein wird als höher bezeichnet. Hinzu kommt, dass die Deichwachen bezahlt wurden und die Bürger in ein breites Aufklärungssystem eingebunden waren. Es wird von Wissensverlust gesprochen. Hingewiesen wird darauf, dass damals die Deiche und das Deichvorland von Schafen "bearbeitet" wurden.

Konstatiert wird ein erhebliches Informationsdefizit über die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten des Technischen Hilfswerks, das im übrigen als noch im Aufbau bezeichnet wird; als kritisch wird der Personalmangel bei den Freiwilligen Feuerwehren benannt.

Unverständnis wird über ungenügende bauliche Vorschriften und Kontrollen, insbesondere im Heizölsektor geäußert (Aufschwemmen von Heizöl bei Überflutung).

Positiv ist die schnelle Bereitstellung und Information über Evakuierungsräume in Eisenhüttenstadt aufgenommen worden, ebenso die schnelle Bereitstellung von Sandsäcken und die Organisation der Abfüllung durch das THW schon einen Tag vor dem ersten Deichbruch. Hervorgehoben wird, dass viele Bürger bei der Abfüllung mithalfen und ein Bürgerbüro zur Verteilung der Sandsäcke aufgebaut wurde. Erwähnung fand auch die Bereitstellung von Technik durch Spenden von Unternehmen. Andererseits bestand ein eklatanter Mangel an funktionsfähigen (Funk-)Telefonen.

Erwähnt wird, dass die Evakuierungsinformationsschreiben wohl Hinweise auf die Alarmsignale enthalten hätten, nicht jedoch konkrete Hinweise auf Sammelpunkte.

Die Versorgungssituation der Helfer und Evakuierten wurde als "ausgezeichnet" betitelt, wogegen eine klare Aufgabenzuweisung von Hilfswerken und THW anfangs auch nicht für den Ortsbürgermeister erkennbar war. So wurde ein sehr diffuses "Anweisungs"spektrum durch die Experten konstatiert. Es wird auch erwähnt, dass die Identifizierung von Expertenwissen anfangs unmöglich war und erst spät darüber Informationen vorlagen. So kam es, dass ein THW-"Sandschipper" erst sehr spät als wichtiger Experte für die bautechnische Prophylaxe von Wasserschäden erkannt werden konnte.

Der Ortsbürgermeister erwähnt auch das Problem, als ehrenamtlicher Funktionsträger über keinerlei Logistikkapazitäten zu verfügen. Seine Arbeit und Aufgabenerfüllung wurde erschwert durch diffusen Informationsfluss, hervorgerufen durch Informationsbündelung bei verschiedenen Ämtern und unzureichender Rückübermittelung an dezentrale Stellen. Auf diese Weise "versickerte viel Information".

Es wird ein Vorschlag gemacht, schon in der Schule die Erfahrungen dieser Hochwasserkatastrophe weiterzugeben und zu bearbeiten, damit ein gewisser Wissensstand und Sensibilisierung aufrechterhalten wird.

Mit der Bekanntmachung des Hochwasseralarms wurde durch den Landkreis Aufklärungsarbeit aufgenommen. Demgegenüber wird jedoch eine gewisse Ignoranz der Betroffenen konstatiert. Möglicherweise ist dies auch durch das "Medienspektakel" verstärkt worden, das den betroffenen extern vermittelt eine Situation vorgeführt hat, die sie vor Ort in derselben Weise gar nicht feststellen konnten.

Es gab Kommunikationsprobleme wegen unterschiedlicher Führungsebenen, woraus Unklarheiten bei der Verteilung und Zuordnung von Hilfskräften resultierten. Ursache dafür war z.B. die Führungsstruktur Landkreis-Ortsbürgermeister, die nicht verlässlich, weil manchmal widersprüchlich operativ arbeitete, da jede Ebene Anspruch auf die Expertenoption geltend machte. Demgegenüber gab es klare Informations- und Führungsbeziehungen zur Bundeswehr, die sich durch kontinuierliche Qualität auszeichneten, so der Ortsbürgermeister. Anders war es dagegen mit den verschiedenen Hilfswerken, die oft neu eingewiesen werden mussten, wodurch Zeitverluste entstanden.

Insgesamt wird die Forderung nach möglichst großer Nähe der Führungsstäbe zum Einsatzgebiet erhoben.

Sozialpsychologisch handelt es sich bei der Rezeption der Hochwassergefahr um eine Verdrängung der Risikofaktoren. Man verschiebt das bislang - seit zwei oder mehr Generationen Unbekannte - in den Bereich der Unwahrscheinlichkeit. Beim Eintritt des Falles reagieren Menschen mit Panikanfällen oder verharren in Hilflosigkeit, wenn widersprüchliche oder ungenaue Angaben zur Fallsituation vorliegen. Gegenwirkungen sind durch konkrete Informationsvermittlung und Herstellung von Überschaubarkeit zu erwarten, so übereinstimmend einige der Betroffene. Als gutes Beispiel für die Förderung von Verwirrung wird das Beispiel der potentiellen Dammsprengung erwähnt, bei der Anlass, Veranlasser und Verantwortlichkeit bei den Befragten vollkommen unklar war.

Andererseits werden viele Beispiele genannt, die gegen Entmutigung und Verunsicherung wirkten, wenn jeder jedem Unterstützung und Hilfe gewährte. In dieser Hinsicht hatte auch die Bundeswehr eine erhebliche psychologische Bedeutung als "power-group", was auch besonders dadurch verdeutlicht wird, dass erhebliche Entmutigung bei den Betroffenen eintrat, als die Ernst-Thälmann-Siedlung durch die Bundeswehr aufgegeben wurde.

Es wird aber auch angemerkt, dass die "Mammutoperation" der Bundeswehr das Gefühl der individuellen Hilflosigkeit verstärkt hat ("was soll man mit einer kleinen Sandschaufel tun, wenn man sieht, wie die Bundeswehr mit Hubschraubern gleich tonnenweise mit Sand arbeitet"). Als Gegenreaktion wird die Notwendigkeit kollektiver Arbeitsorganisation und -struktur hervorgehoben.

Bezüglich der "Nachbereitung" des Katastrophenfalles wird insbesondere auf die Problematik der Spendenzuweisung und -verteilung verwiesen. Durch die reiche Spendenflut, hervorgerufen durch das immense Medienecho im "Sommerloch", können die Betroffenen mit einem vollwertigen Ersatz ihrer materiellen Verluste rechnen, oft wird auch eine relative Verbesserung erreicht. Abgesehen vom Medienspektakel um das Kinderheim Kunitzer Loose wird der Spendenvorgang von den Befragten als seriös bezeichnet. In der Abwicklung jedoch sind Unklarheiten und auch emotionale Faktoren wie Neid oder überformtes Anspruchsdenken entstanden, woraus Störungen des zuvor vorhandenen Kollektiv- und Solidargefühles hervorgehen, so einige Stimmen.

Ein kurzes Fazit der Befragten könnte lauten:

  • Bewusstsein der Leute wecken und stärken
  • Vorsorgemaßnahmen treffen und Informationen auf Dauer stellen
  • Einführung von Katastrophenplan in den Schulen und dessen Thematisierung in regelmäßigen Abständen
  • laufende Information der Menschen ist notwendig
  • teilweise Entsiedlung der gefährdenden Gebiete, wenn es sich um sehr alte, marode Häuser handelt und angemessenes Angebot für Umsiedelung als Zukunftsperspektive und Beispiel
  • weil die Leute stark verwurzelt sind und nicht weichen wollen, sind die Deichausbesserung und Deichpflege zu verstärken und dabei die Ortsansässigen einzubinden und zu beschäftigen
  • bessere Kommunikation der einzelnen Institutionen und regelmäßiger Informations- und Erfahrungsaustausch

2. Konzeptvorschläge

Die Argumente lassen sich in einem Schema systematisieren, das die zeitliche Ablaufdimension berücksichtigt, die mangels anderer objektiver Kriterien den wesentliche Rahmen für zukünftige Ablauforganisationen darstellt, unter der Voraussetzung intensiver Bürger- und Betroffenenbeteiligung*. Grundlage dafür ist die intensive diskursive Befassung der Akteure unter den angeführten Stichpunkten.

* Diese Bürger- und Betroffenenbeteiligung ist aus dem Grund sehr wichtig, weil sie die Verantwortlichkeit für die individuelle Problembewältigung stärkt und der Haltung entgegenwirkt, externe, staatlich oder andere gesellschaftliche Kräfte seien a priori für Problemlösungen zuständig. Die Begründung für diese Feststellung leitet sich daraus ab, dass die Betroffenen Ausweichflächen und Wohnmöglichkeiten zum "Nulltarif" auf ehemaligen militärischen Konversionsflächen angeboten bekamen, dies aber im Sinne ihrer Landschafts- und Geschichtsverbundenheit mit der Ziltendorfer Niederung bis auf ganz wenige Ausnahmen abgelehnt wurde.

Zeitpunkt
vorherwährendnachher
Vorsorge: Organisation/ Training/ Maßnahmen im Rahmen der Bürger- und Akteurs-verantwortlichkeitAusmaß von Ereignisabläufen und Aktionen bestimmenWirkungen von Maßnahmen abschätzen und konkretisierenKritik/ Diskussion intendierten und Nichtintendierten Maßnahmeeffekte
Information der Bürger: Medien/ Mund zu Mund-Info/ Organisation/ InstitutionenBekanntheit der Lage und Verständigung darüber, Herstellung von Info-Strukturen"Außeninformation" durch Medien/ Organisation "Vor-Ort"-Info-StrukturProblematisierung der Medienwirkungen/ Außenwirkung/ Innenwirkung
Katastrophe: Bezeichnung/ Bewertung/ Diskussion/ Eintritt und BetroffenheitEintritts-wahrscheinlichkeit/ Kriterien definieren/ BetroffenheitZeitpunkt des Eintritts und Fokussierung von MaßnahmenBearbeitung der Katastrophe, Diskurs über Normalisierung
Betroffenheit: Realität - Projektion/ Bearbeitung der Lage/ Verantwortungs-attributionGefühl/ Wissen/ Alltagserfahrung und Laienlogik/ Identifikation/ KompetenzTätigkeiten/ Auswirkungen/ Abschätzung von Effekten/ "Vor-Ort"-InformationProblembewältigung/ Kommunikation/ Angst-, Problem- und Lösungs-kommunikation
Selbsthilfe: Aktivitäten/ Ausmaß/ Einsatz/ ErfolgVorsorge/ Identifikation LeistungsfähigkeitAktivitäten/ Ausmaß/ Effekte/ ErfolgeEigenleistungen/ Problembewältigung
Fremdhilfe: Aktivitäten/ Ausmaß/ Reichweite/ Effekte/ ErwartungenKontakte/ Vorbereitung/ Rahmenbedingungen klärenAusmaß/ Koordination/ Wirkungen/ Abstimmung/ KontakteNachbearbeitung/ Effekte/ Erinnerung/ Anforderungskriterien
Presse: Erlebnis/ Wirkung/ Beurteilung/ ErfahrungKontakte/ Berichterstattung/ InfostrukturBeurteilung/ Realitätsbezug/ WirkungWirkungen/ Effekte/ Erfahrungen/ Diskurs
Stimmung: Mut/ Hoffnung / Resignation/ Aggression/ Angst/ UnsicherheitEinschätzung, Antizipation von Wirkungen/ LösungenErlebnis/ Bearbeitung / Diskurs/ Struktur Solidarität-AbgrenzungAusblick/ Effekte/ Erlebnisverarbeitung/ Diskurs organisieren

Die hervorgehobenen Stichpunkte stellen die Verbindung zwischen dem Alltagswissen und der Alltagserfahrung der Bürger ("Laien") und dem Sach- und Wissenschaftswissen der Experten ("Spezialisten") dar; sie sind kommunikationsgeeignet, wie verschiedene Erfahrungen im Rahmen von Bürgerbeteiligung nachweisen (z.B. TRIPLEX-METHODE*).

* TRIPLEX ist ein Konzept, das drei Schritte umfasst. Es wird überall dort angewendet, wo es um Planungen und Entscheidungen geht, die BürgerInnen in ihrem Alltag betreffen. Im vorliegenden Fall geht die Befassung über den Alltag hinaus, weshalb Antizipationen, eingespeist durch Experten oder Erfahrene notwendig sind.
Bisher werden Planungen und Entscheidungen meist so organisiert, dass BürgerInnen wenig oder gar nichts dazu beitragen können, obwohl sie Experten für ihren Alltag sind. Ihre Fähigkeit ist die Laienlogik.
Das Konzept und der Name Triplex beruht auf folgenden Faktoren: Der Bürger hat Alltagswissen und seine Alltagserfahrung, der Experte hat Expertenwissen und Sachverstand in seinem Gebiet, der Politiker hat das Mandat des Bürgers für Entscheidungen. Arbeiten diese drei Ebenen zusammen, sind entscheidungstheoretisch hervorragende Ergebnisse zu erwarten.

In größeren Zusammenhängen sollten folgende Fragen aufgegriffen und diskutiert werden:
Da durch globale Klimawirkungen mit einer Häufung extremer Witterungsbedingungen zu rechnen ist, mit der Folge auch einer Zunahme von Hochwasserereignissen, muss eine Katastrophendefinition aufgegriffen werden. Diese Definition muss überregionalen Charakter haben und grenzüberschreitend auch andere nationale Interessen und Betroffenheiten einbeziehen. In diesem Zusammenhang sind klare Interessenidentifikationen notwendig, aus denen sich auch die Bereitschaft zur Katastrophen- und Schadensabwehr in nachvollziehbaren Kategorien ablesen lassen (z.B. Investitionen, Vorsorgemaßnahmen, Sensibilisierung der Bevölkerung). Da sich graduelle "Katastrophen" nicht definieren lassen, sollte vom Grundsatz "worst-case" ausgegangen werden, d.h. die Vorsorgemaßnahmen müssen sich daran orientieren, was durch die Betroffenen als "schlimmster Fall" übereinstimmend definiert wird. Daraus resultiert ein Standard, der Einigkeit über Aufwand und Aufwandsvermeidung reflektiert.
Im Falle des Oder-Hochwassers ist ein Diskurs über die zukünftige Gestaltung der Gesamtregion zwischen den verschiedenen Gruppen und Staaten notwendig. Dieser Diskurs ist zu organisieren durch klare Informationsvermittlung (Ist-Zustand), durch Vorschläge und Beratungselemente zur Veränderung hin zu einer diskursiv zu erarbeitenden Zielorientierung (Soll-Zustand). Dazu kann die TRIPLEX-METHODE eingesetzt werden.

Sinnvoll ist der Aufbau eines "Regionalmanagements", das sowohl die bestehenden Managementstrukturen als auch neue (Ziel-)Gruppen einbezieht. In diesem Management soll ein gemeinsam getragenes Katastrophenschutz- und Bewältigungsprogramm eine zentrale Rolle spielen. An diesem Programm müssen sich auch die finanziellen Zuweisungen durch Staat und Bundesland bzw. durch die jeweilige nationalstaatliche Organisationseinheit der Nachbarländer orientieren.

Das Katastrophenschutzprogramm muss einen Schwerpunkt in der Organisation und Unterstützung von Selbsthilfeanstrengungen der Bürger beinhalten, denn daraus lässt sich die Forderung ableiten, dass die Bürger Selbstverantwortung übernehmen müssen, und insofern unangemessene Reaktionen bei einer Wiederholung des Katastrophenfalles unangemessen und nicht legitim sind; man kann nämlich mit Sicherheit nicht mit einer derartig ausgeprägten Unterstützungswelle durch Externe rechnen.

Wichtig ist der Aufbau von Solidarstrukturen auf der Grundlage gemachter Katastrophenerfahrung. Entgegen der Auffassung vieler Institutionen ist nämlich die Sensibilisierung und die Identifizierung bezüglich solcher Katastrophenfälle nicht kontraproduktiv, sondern ein wichtiges Erlebnismoment im Lebensverlauf, das man fortwährend thematisieren kann.

In diesem Zusammenhang muss auf den Sinn der schulischen Erziehung hingewiesen werden, in der das Thema eine immer wiederkehrende und generationenübergreifende Rolle spielen kann.

Zwischen den verschiedenen Wissensebenen (Laienlogik, Expertenwissen und Entscheidungswissen) muss ein systematischer Zusammenhang hergestellt werden, der Tätigkeiten mit gegenseitiger Informationsvermittlung verbindet. In diesem Zusammenhang ist ein Suchprozess einzuleiten, der sich nicht an einer Verbesserung des "know how" orientiert sondern an der Suche nach "not know how", aus der Problemlösungsstrategien von allen beteiligten Akteuren erarbeitet und erzielt werden können, die den unmittelbaren Kompetenz- und Verantwortungsbereich reflektieren.