Lehre
Phasen des Entwerfens
Ziel der Lehrmethode ist es, ein Problemverständnis zu schaffen, mithilfe dessen auch unbekannte Aufgaben der Zukunft bewältigt werden können. Die alte Planungspraxis des deduktiven Vorgehens, also der Ableitung des Entwurfs vom Flächennutzungsplan über den Bebauungsplan hin zum städtebaulichen und architektonischen Entwurf, soll bewusst verlassen werden. Gefragt ist vielmehr eine Strategie, die auf unterschiedlichen Maßstabsebenen arbeitet und sich aller Mittel bedient, um zu einem qualitätsorientierten und handlungsfähigen Maßnahmenbündel zu kommen, das flexibel und offen genug ist, eine komplexe Zielsetzung verfolgen zu können. Diese Arbeitsweise besitzt interdisziplinären Projektcharakter.
Strategisches städtebauliches Arbeiten und Entwerfen umfasst mehrere Phasen:
- Problemfindung: am Beginn steht die Formulierung des konkreten städtebaulichen Problems, für das die Lösung im Entwurf gesucht wird
- Kreative zeichnerische Analyse : die analysierende Darstellung vorgefundener Strukturelemente leitet den Formfindungsprozess ein (Kampf gegen das weiße Blatt Papier)
- Verdichtung zu Topogrammen: die zeichnerischen Analysen werden zu diagrammatischen Aussagen verdichtet, die dem Entwurf als Grundlage dienen
- Leitbildentwicklung: durch die Entwicklung eines Leitbildes fließt das Imaginäre und Visionäre in die Planung ein: das Bild lässt das Neue greifbar erscheinen
- Ausformulierung und Maßnahmepaket: bei der Erarbeitung des städtebaulichen Entwurfes in Zeichnung und Modell und der Ausformulierung von Maßnahmen dient das Leitbild als Regulativ
Stadtlektüre
Nur eine vertiefte Lektüre der Stadt erlaubt uns, Sinnzusammenhänge zu erkennen und, darauf aufbauend, Problemfelder zu benennen und kreative Eingriffe in das komplexe Gefüge Stadt vorzunehmen. Manche Facetten der Stadt sind für jeden einfach lesbar, andere hingegen sind undeutlich oder verwischt und erfordern gezieltes methodisches Vorgehen. Die Lektüre der Stadtgestalt erhellt einerseits das gegenwärtige Leben und Geschehen in der Stadt; andererseits fördert das genaue Hinsehen und Lesen von Spuren Facetten der Stadt zutage, die in Vergessenheit geraten sind. Dieses Aufspüren lässt Zusammenhänge wiedererstehen, die neue und ungewohnte Perspektiven eröffnen können. Geschichte bildet, so betrachtet, einen Fundus für Zukünftiges: die Auseinandersetzung mit der Geschichte erweitert den Möglichkeitsraum.
Die Methode der Schichtenanalyse geht davon aus, dass sich sowohl ehemalige als auch heutige Lebensprozesse am Stadtkörper ablesen lassen. Da die Gestalt der Stadt gesellschaftlich geformt ist, schließt diese Betrachtung immer auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte mit ein. Bei der Analyse der Gestalt geht es daher niemals allein um künstlerische oder ästhetische Belange.
In der Schichtenanalyse werden verschiedene Ordner der Stadtstruktur wie das Raumgerüst, das Erschließungsnetz, das System öffentlicher und privater Räume etc. isoliert betrachtet. Hierzu muss die unübersehbare Informationsfülle der lebendigen Stadt reduziert werden: nach dem Motto "Wenig abbilden, um viel zu sehen" ermöglicht es die konsequente und systematische Unterdrückung von Information, die gewünschten Strukturen aus dem komplexen Phänomen Stadt herauszulösen und sie sichtbar zu machen. In der Stadtlektüre werden Eigenschaften entdeckt, die sowohl ästhetischer als auch praktischer, d.h. politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Natur sein können.
Topogramme
Nur im zeichnerischen Experiment kann ermittelt werden, aus welchen Schichten sich der Stadtkörper zusammensetzt und welche Merkmale ihn zutreffend beschreiben. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Die einzelnen Schichten lassen sich häufig mithilfe von Begriffspaaren charakterisieren. Daneben lassen sich auch hierarchische Beziehungen erkennen. Die folgende Liste bietet eine kleine Auswahl beschreibender Begriffspaare, die zur Anwendung kommen können:
Figur - Hintergrund | öffentlich - privat | außen - innen |
bebaut - unbebaut | offen - verborgen/geschlossen | positiver - negativer Raum |
gerichtet - ungerichtet | vorne - hinten | laut - leise |
Durch die kreative zeichnerische Analyse lassen sich bislang unbekannte Aspekte der Stadt herausarbeiten. Die ermittelten Schichten wie z.B. Raumgerüst, Erschließungssystem, öffentliche und private Räume lassen sich auf unterschiedliche Arten miteinander in Beziehung setzen. Jede herausgefilterte Informationsschicht kann mit Anderen überlagert werden und so zu Erkenntnissen führen, die aus der einzelnen Schicht nicht ablesbar sind. Durch die interpretierende Überlagerung einzelner Schichten werden die Problemfelder eines Stadtgefüges deutlich erkennbar.
Dadurch erfährt die Problemlage eine klare, zeichnerische Darstellung. Das abstrakte Bild der Stadt dient einerseits der Kennzeichnung von Mängeln, andererseits regt es dazu an, nach Konzepten zu suchen, mithilfe derer die Mängel behoben werden können. Die in der Strukturanalyse entwickelten Topogramme dienen als Anregung zu Eingriffen in den Stadtkörper: dabei vermittelt die Abstraktion der Topogramme zwischen alt und neu.
Leitbilder für die Stadt
Die Produktion von möglichen Wirklichkeiten ist die Voraussetzung für Metamorphose und Entwicklung. Die in den Topogrammen aufgezeigten Problemfelder und Eingriffsmöglichkeiten sollen den Städtebauer nicht dazu verleiten, sich auf punktuelle Korrekturen und Ausbesserungsarbeiten zu beschränken. Da individuelle Eingriffe in den Stadtkörper unter sich und im Bezug auf die überlieferten Strukturen immer widersprüchlicher geworden sind, bedarf der städtebauliche Entwurf eingehender Konzeptarbeit, um sich als gehaltvolle Aussage über die Stadt zu bewähren.
Die Suche nach Leitbildern und Konzepten eröffnet neue Möglichkeitshorizonte, um punktuelle Maßnahmen aus ihrer Vereinzelung befreien und gegenseitige Bezüge zu eröffnen. Dies ist gleichbedeutend mit der Forderung, dass jede städtebauliche Maßnahme, auch im Kleinen, in Bezug zur Gesamtstadt stehen soll. Die Methode der kreativen zeichnerischen Analyse, diagrammatischen Verdichtung und Entwicklung von Leitbildern für die Stadt ermöglicht qua Reduktion eine Bewältigung der enormen Datenfülle. Die Übermittlung von Informationen durch Bilder ist dabei enorm leistungsfähig. Gehalt und Tragfähigkeit der Bilder müssen jeweils in der konkreten Arbeit überprüft werden.
Moderne Kommunikation und Transportmöglichkeiten haben Größe und Form unserer Städte nachhaltig verändert. Wir sind dadurch gezwungen, mit mehreren Vorstellungen von Stadt gleichzeitig umzugehen, sowohl mit der dichten kompakten Stadt der europäischen Tradition, als auch mit der modernen Stadtlandschaft, die weder Mitte noch Rand kennt. Dies bedeutet den Verzicht auf eine verbindliche städtebauliche Grundvorstellung als Leitmotiv für städtebauliches Entwerfen und Handeln. Die Frage danach, was Urbanität ausmacht und sichert, müssen wir immer wieder neu stellen.
Von Leitbild zum Plan
Konzepte können verschiedensten Inspirationsquellen entstammen. Im Folgenden werden einige Entwurfsansätze vorgestellt, die in den letzten Semestern am Lehrstuhl Städtebau durchgeführt bzw. ausprobiert wurden. Wesentlich ist es, die Tragfähigkeit der entwickelten Konzepte am Objekt des Entwurfs, also in der konkreten städtebaulichen Situation zu überprüfen und das heißt anzuwenden. Für die Weiterentwicklung des Entwurfs ist der Umgang mit den verschiedenen Darstellungsformen unerlässlich. Diese sind wichtige Mittel analytischer Erkenntnis und des entwerferischen Vorgehens. Städtebauliches Entwerfen macht sich die Wechselwirkungen und -beziehungen von Abbildung und Abgebildetem zunutze. Die Lehre vermittelt den Umgang mit den verschiedenen Elementen der Stadt und ihren Abbildungsformen: Grundriss und Plan, Raumgerüst und Modell, Objekte und Perspektiven.
Im städtebaulichen Entwurf zeigt sich, inwiefern sich aus dem Konzept konkrete Lösungen für die in der Struktur- oder Schichtenanalyse ermittelten Problemfelder erarbeiten lassen. Wiederum experimentell werden auf den verschiedenen Maßstabsebenen und mithilfe der unterschiedlichen Abbildungsformen baulich-räumliche Lösungen, Flächendefinitionen u.ä. entwickelt. Für die Ausarbeitung der konkreten Maßnahmen und Eingriffe dient das Leitbild als Korrektiv. Dadurch entsteht eine Wechselbewegung zwischen dem konkreten Experiment, das vom Leitbild inspiriert ist, und dem Rückbezug, der Reflexion des Konkreten auf das abstrakte Leitbild. Diese oszillierende Bewegung ist charakteristisch für den kreativen Entwurfsprozess.