Zusammenfassung

Die Beschreibung turbulenter Strömungen ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen in den Ingenieurwissenschaften und der klassischen Physik. Die großen räumlich-zeitlichen Fluktuationen und die starken Kopplungen zwischen Strukturen auf verschiedenen Längen- und Zeitskalen limitieren die in vollständig aufgelösten Rechnungen heutzutage erreichbaren Strömungsgeschwindigkeiten und stellen besondere Anforderungen an die Modellierung der Turbulenz. Nur in Idealfällen sind exakte Aussagen möglich, wie etwa bei der von Kármán-Howarth-Gleichung für die Geschwindigkeitskorrelationen in homogener isotroper Turbulenz oder bei den oberen Schranken an die Energiedissipation in einfachen Strömungsgeometrien. Die Wechselwirkungen zwischen Strukturen auf vielen Größenordnungen dominieren insbesondere in der Nähe von festen Wänden, wie sie bei praktisch allen Strömungen auftreten. Ausgehend von Prandtls Grenzschichtüberlegungen, verfeinert um Symmetrieüberlegungen, sind wichtige Aussagen über die mittleren Geschwindigkeitsprofile erzielt worden. Allerdings führen bei der Berechnung globaler Transportgrößen, wie etwa dem Wärmestrom bei der thermischen Konvektion am Turbulenzgroßforschungsgerät "Ilmenauer Fass", Unsicherheiten in den Profilen und Skalenexponenten leicht zu Variationen in den Vorhersagen um mehrere Größenordnungen.

Aufbauend auf Beobachtungen und Einsichten in Grenzschichtdynamiken in den letzten Jahren sollen daher in unserer Forschergruppe sowohl die globalen Skalierungseigenschaften des turbulenten Transportes wie auch die lokalen dynamischen Prozesse in der Nähe fester Wände untersucht und in Zusammenhang gebracht werden. Einen besonderen Erkenntnisfortschritt erwarten wir dabei durch vergleichende Untersuchungen von drei fundamentalen Strömungen, die bisher meist getrennt betrachtet wurden: thermische Konvektion in einer von unten geheizten Zelle (Rayleigh-Bénard, RB), Scherturbulenz zwischen zwei konzentrischen, sich drehenden Zylindern (Taylor-Couette, TC), und druckgetriebene Turbulenz in einer Rohrströmung (RS).

Bei den globalen Eigenschaften orientieren wir uns an den Beobachtungen zum Transport von Impuls oder Wärme, wie er sich als Antwort auf die von außen eingestellten und damit vorgegebenen System- bzw. Geometrieparameter ergibt. Im Falle der RB-Strömung hat eine solche globale Betrachtung Ordnung in eine Vielzahl von Beobachtungen gebracht und die mit Rayleigh- und Prandtlzahl wechselnde Bedeutung verschiedener physikalischer Prozesse hervorgehoben. Eine Übertragung dieser Überlegungen auf die TC-Strömung scheint besonders viel versprechend, weil über die Variation der Drehzahlen von Innen- und Außenzylinder die Dynamik in den Grenzschichten und damit auch die Beiträge verschiedener Prozesse zum globalen Transport spürbar verändert werden können.

Bei den lokalen Eigenschaften stehen die kohärenten Strukturen und ihre Dynamiken im Vordergrund. Im Falle des Turbulenzübergangs in der Rohrströmung, aber auch bei der ebenen Couette- oder Poiseuille-Strömung, sind exakte, dreidimensionale Lösungen der Navier-Stokes-Gleichung numerisch gefunden und im Strömungsfeld empirisch nachgewiesen worden. Diese Strukturen eröffnen die Möglichkeit einer über die statistische Beschreibung hinausgehenden Analyse der Kinematik bzw. wandnahen Dynamik und einer Untersuchungen ihres Beitrages zum globalen Impuls- und Wärmetransport.

Der Vergleich zwischen Rayleigh-Bénard-, Taylor-Couette- und Rohrströmung wird möglich über die jüngst identifizierten korrespondierenden Transport- und Dissipationsgrößen. Sie erweitern die aus der linearen Analyse bekannten Ähnlichkeiten zwischen RB und TC in den turbulenten Bereich. Durch die Betrachtung der Prozesse in drei verschiedenen Systemen und über einen weiten Bereich von Rayleigh- und Reynoldszahlen erwarten wir eine recht vollständige Abdeckung der wichtigsten Parameterbereiche. Unsere Arbeiten präzisieren somit die globalen Gesetze des turbulenten Transports. Des Weiteren eröffnen sie neue Perspektiven, die turbulente Dynamik in Wandnähe zu kontrollieren sowie komplexe turbulente Strömungen zuverlässiger in stark reduzierten Modellen zu beschreiben.