Gekoppeltes Simulationsverfahren zur Sicherheitsbewertung von Mehrlagenschweißungen unter Berücksichtigung lokaler Gefügezustände sowie fertigungs- und betriebsinduzierter Vorschädigung

Projektträger: AiF, Forschungsvereinigung Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e. V. (GFaI) / IGF-Vorhaben-Nr. 18242 BG
Laufzeit: 01.06.2014 - 30.11.2016

Forschungsstelle 1 (Federführung)

BTU Cottbus-Senftenberg
Lehrstuhl Füge- und Schweißtechnik (LFT)
03046 Cottbus

Projektleiter: Dr.-Ing. N. Doynov

Ansprechpartner: Dipl.-Ing. G. Genchev

Forschungsstelle 2

Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM
Wöhlerstraße 11
79108 Freiburg

Projektleiter: Dr.-Ing. Igor Varfolomeev

Zusammenfassung

Große geschweißte Bauteile werden vielfach mit mehreren Schweißnähten und abhängig von der Wandstärke auch mit mehreren Schweißlagen gefügt, wobei niedrig legierte umwandelnde Stähle häufig zum Einsatz kommen. Liegen einzelne Schweißnähte räumlich nah beieinander bzw. werden mehrere Schweißlagen nacheinander aufgetragen, so erfolgt deren gegenseitige thermomechanische und metallurgische Beeinflussung durch die entsprechende Wärmeeinwirkung. Gleiches gilt für das Auftrags- sowie Reparaturschweißen, bei denen die Schweißraupen bzw. -schichten in der Regel unmittelbar nebeneinander oder überlappend gelegt werden. Eine mehrmalige Temperaturbelastung beeinflusst auf komplexe Weise die Gefügeumwandlungen und die damit verbundenen lokalen Volumenänderungen sowie thermomechanische Eigenschaften der Schweißnaht. Als Folge stellen sich in geschweißten Bauteilen komplexe Eigenspannungs- sowie Gefügezustände ein, deren rechnerische Ermittlung mit vorliegenden Software-Lösungen nicht bzw. nur eingeschränkt möglich ist.

Des Weiteren beeinflusst eine mehrmalige Temperatureinwirkung sowohl die Festigkeitseigenschaften, einschließlich des zyklischen Verfestigungsverhaltens, als auch den Fehlerzustand im Werkstoff. So können im Werkstoff vorliegende Mikrorisse bzw. Mikrodefekte unter der durch das Mehrlagenschweißen hervorgerufenen zyklischen Beanspruchung wachsen und zu einer Vorschädigung führen. Dies kann wiederum die Minderung sowohl der Schwingfestigkeit als auch der Zähigkeit und eine frühere Anrissbildung in der Schweißnaht zur Folge haben, welche im Rahmen herkömmlicher Bewertungsmethoden nicht berücksichtigt werden.
Die Einbeziehung der Schädigung in werkstoffmechanische Modelle, eine rechnerische Beschreibung der Schädigungsentwicklung in Abhängigkeit vom lokalen Spannungs-Dehnungs- und Gefügezustand sowie eine auf dieser Basis erfolgte Kopplung der Schweißsimulation mit Lebensdauermodellen stellt somit eine wichtige Grundlage für eine realitätsnahe Festigkeitsbewertung geschweißter Bauteile dar. Im Rahmen des Vorhabens wurden die Auswirkungen von Schweißprozess und -parametern auf die lokalen Werkstoffeigenschaften, sich daraus ergebene Eigenspannungen und die Bauteillebensdauer untersucht sowie Bewertungsgrundlagen in Form von erweiterten Werkstoffmodellen, Werkstoffdatensammlung und dazugehörigem Rechenverfahren erstellt.


Forschungsziel

Ziel des Forschungsvorhabens war die Entwicklung eines Simulationsverfahrens zur Ermittlung und Bewertung von kritischen Bereichen in mehrlagigen Schweißungen und deren Berücksichtigung bei der Festigkeitsauslegung sowie der Lebensdauerbewertung. Im Vordergrund steht die Erweiterung der Schweißsimulationsmethoden für realitätsnahe Gefüge- und Eigenspannungsberechnungen von komplexen Strukturen mit mehrmaligen räumlich nahen Schweißungen, ergänzt durch eine Weiterentwicklung von Werkstoffmodellen zur Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen der zyklischen Verfestigung und der Schädigungsentwicklung. Aufbauend auf den an den beiden Forschungsstellen vorliegenden Ansätzen wurden diese weiterentwickelt, über programmierte Schnittstellen gekoppelt und in einem durchgehenden Rechenverfahren zur Bewertung der Lebensdauer von Schweißverbindungen zusammengeführt. Des Weiteren wurden die Simulationsmethoden im Hinblick auf deren anwendungsnahen Umsetzung und die Bewertung von komplexen Strukturen angepasst.


Ergebnisse

Für die Berechnungen der lokalen Gefügeeigenschaften und der Härte in Mehrlagenschweißungen wurde das Mehrmalig-Spitzentemperatur Austenitisierung Abkühlzeit (M-STAAZ) Modell angewendet. Die Berechnungen mit dem M-STAAZ Modell berücksichtigen die vorliegenden TMax und t8/5 Zeiten sowie Ausgangs- bzw. Zwischengefügen. Zur Kalibrierung des Modells dienen experimentell ermittelte gefügeabhängige Kennwerte. Aus der validierten FE-Temperaturfeldanalyse lassen sich die lokalen Temperaturzyklen in der WEZ und daraus die Maximaltemperaturen (TMaxi), Austenitisierungszeiten (tAi) und Abkühlzeiten (t8/5i) für jede Schweißlage (i) identifizieren. Dadurch lassen sich unterschiedliche Zwischengefügen, die sich nach dem vorgelagerten Schweißtemperaturzyklus (i-1) einstellen, als Ausgangsgefügen in den aktuellen Schweißtemperaturzyklus (i) berücksichtigen. Für die Kalibrierung des M-STAAZ Modells wird eine erweiterte Datenbasis mit gefügeabhängigen Werkstoffkennwerten bereitgestellt. Die Datenbasis beinhaltet experimentell ermittelte Datensätze als Funktion der M-STAAZ Parameter. Jeder Datensatz beinhaltet die Kennwerte:

  • Umwandlungstemperaturen bzw. Wärmedehnung

  • Dehngrenze Rp0.2

  • Vickers Härte HV



In der nachstehenden Abbildung ist die berechnete Verteilung der Dehngrenze Rp0.2 nach der dritten Schweißlage sowie nach der WIG-Schweißung der flächenhaften Härtemessung gegenübergestellt. Die Ergebnisse zeigen eine Aufhärtung in der WEZ aufgrund der schnelleren Abkühlung (kleinere t8/5 Zeit). Die Reduzierung der Härte bzw. der Dehngrenze Rp0.2 in den Bereichen der WEZ-Überlagerung durch die Normalisierung der Gefüge sowie der Anlasseffekte wird mit dem M-STAAZ-Modell gut abgebildet. Die gute Korrelation zwischen den Berechnungen und der gemessenen Härteverteilung validiert die Berechnungsvorgehensweise mit dem M-STAAZ Modell.

Für die weiteren thermomechanischen Simulationen wird die mit dem M-STAAZ Modell berechnete Verteilung der Werkstoffeigenschaften sowie Eigenschaftsänderung durch erneute Austenitisierung und Anlasseffekte aufgrund der mehrmaligen Wärmewirkung berücksichtigt. Mit diesen Werkstoffeigenschaften erfolgt die Berechnung der Schweißeigenspannungen in der Mehrlagenschweißung, die zusammen mit der ermittelten Verteilung der Dehngrenze Rp0,2 in die Lebensdauerbewertung herangezogen werden.

Die berechnete Verteilung der Dehngrenze (Rp0,2) und der Schweißeigenspannungen werden als Eingangsgrößen in nachfolgenden Simulationen zum Abbau der Eigenspannungen unter zyklischer Beanspruchung sowie in der Lebensdauerbewertung herangezogen. Für die Kalibrierung von dabei verwendeten Wechselplastizitäts- und Schädigungsmodellen wurden LCF- sowie Wöhlerversuche repräsentativ für den Grundwerkstoff (GW) und die Wärmeeinflusszone (WEZ) durchgeführt. Die an der Forschungsstele 2 ermittelten Wöhlerlinien an glatten Proben mit polierter Oberfläche  sind im nachfolgenden Bild dargestellt. Weitere Versuche wurden an Biegeproben, entnommen aus den geschweißten Platten, durchgeführt.
Die Ergebnisse weisen eine deutlich höhere Wechselfestigkeit des WEZ-Gefüges im Vergleich zu GW auf.

Als weiterer Simulationsschritt, der für eine rechnerische Lebensdauerbewertung erforderlich ist, wurden FE-Analysen zur Umlagerung von Schweißeigenspannungen in geschweißten Proben unter zyklischer Beanspruchung an der Forschungsstele 2 durchgeführt. Die entsprechenden Ergebnisse sind exemplarisch für Lastzyklen mit R=0,1 und einer maximalen Kerbspannung von 800 MPa dargestellt.

Eine rechnerische Lebensdauerbewertung erfolgte anschließend am Beispiel von geschweißten Biegeproben, deren Gefügezustand im Schweißnahtbereich nach einer ersten Versuchsstufe durch einen Temperaturzyklus von GW auf WEZ verändert wurde. Der zu Grunde liegende analytische Ansatz basiert auf der Auswertung des Schädigungsparameters nach Fatemi-Socie (PFS) sowie der linearen Schadensakkumulationshypothese, die mit zusätzlichen Schädigungssimulationen begründet wurde. Die rechnerisch und experimentell ermittelten Lebensdauern stimmen gut überein.


Anwendungsmöglichkeiten

Mit den erzielten Ergebnissen werden den Industrieanwendern sowie Softwareingenieuren methodische Grundlagen, numerische Vorgehensweisen, Schnittstellen und experimentelle Werkstoffkennwerte zur Festigkeitsbewertung von mehrfach- bzw. reparaturgeschweißten Bauteilen bereitgestellt. Sowohl für die Anwender aus den Fachgebieten Produktionstechnologien, Fertigungstechnik, Qualitätssicherung und den Wirtschaftszweigen Metallbearbeitung, Maschinenbau, Beratung als auch für die Softwareentwickler besteht die Möglichkeit, alle Modelle und Vorgehensweisen sowie die ermittelten Kennwerte in bestehenden FE-Programme direkt zu nutzen bzw. in neuen Tools zu implementieren.
Die Anwendung der entwickelten Simulations- und Bewertungskette bei der Konstruktionsauslegung kann zur Erhöhung der Bauteillebensdauer beitragen. Gleichzeitig lassen sich komplexe Schweißreparaturarbeiten und deren Auswirkung auf die Bauteillebensdauer rechnerisch untersuchen und somit kostspielige Reparaturen optimieren und wirtschaftlicher durchführen.


Projektbegleitenden Ausschuss

Das Forschungsvorhaben wurde unter Mitwirkung eines projektbegleitenden Ausschusses, bestehend aus Fachleuten der nachstehend genannten Unternehmen, durchgeführt:

Winterthur Gas und Diesel Ltd.

KSC Kraftwerks-Service Cottbus Anlagenbau GmbH

Robert Bosch GmbH

Praus Schweißtechnik GmbH

ECOSOIL Ost GmbH

CADFEM GmbH

Panta Rhei gGmbH

VATTENFALL Europe Mining AG

Wärtsilä Schweiz AG


Veröffentlichungen

  • Gancho Genchev, Nikolay Doynov, Ralf Ossenbrink, Vesselin Michailov: Schweißtechnische Simulation der lokalen Eigenschaften in der Wärmeeinflusszone von Mehrlagenschweißungen, in: Conference Proceedings of ANSYS Conference & 33.CADFEM User's Meeting 2015
  • Ralf Ossenbrink, Gancho Genchev, Nikolay Doynov, Vesselin Michailov: Thermomechanische FE-Simulation zur Berechnung der Schweißeigenspannungen und des Bauteilverzuges, 2. Kolloquium Eigenspannungsseminar, Braunschweig, 2016
  • Gancho Genchev, Nikolay Doynov, Ralf Ossenbrink, Vesselin Michailov: Modelling the local Microstructure Properties due to Multi-pass Welding, Vortrag auf THERMEC'2016 International Conference on Processing and Manufacturing of Advanced Materials, May 31 - June 3, Graz, Austria
  • Gancho Genchev, Nikolay Doynov, Ralf Ossenbrink, Vesselin Michailov: Modelling the local Microstructure Properties due to Multi-pass Welding, in: Materials Science Forum Vol. 879, 2016, pp 595-600 (https://www.scientific.net/MSF.879.595)
  • Igor Varfolomeev, Sergii Moroz, Gancho Genchev, Nikolay Doynov: Effect of microstructure properties on crack initiation in multi-pass welds. IIW-Document X-1867-17. Intermediate Meeting of IIW Commission X “Structural Performance of Welded Joints – Fracture Avoidance”, Cambridge, March 27-28, 2017.
  • Gancho Genchev et. al.: Residual stresses formation in multi-pass weldment: A numerical and experimantal study, Journal of Constructional Steel Research, Vol. 138, 2017 pp 633-641 (https://doi.org/10.1016/j.jcsr.2017.08.017)
  • Poster mit Projektergebnissen:

            Große Schweißtechnische Tagung 2015 des DVS, 14.-17.09.2015, Nürnberg
            14.Leichtbauworkshop der BTU Cottbus, 30.05-01.06.2016, Cottbus

Der Schlussbericht des Vorhabens kann über den Lehrstuhl Füge- und Schweißtechnik bezogen werden.



Das IGF-Vorhaben-Nr. 18242 BG der Forschungsvereinigung "Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e.V. (GFaI)" wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und –entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.