Gemeinwesenarbeit im Spannungsfeld zwischen Menschrechtsmandat und (neu-) rechter Einflussnahme

Die Gemeinwesenarbeit ist eine spezifische Methode der Sozialen Arbeit. Sie unterstützt Menschen bei der Herstellung von Handlungsfähigkeit und politischer Partizipation unter Berücksichtigung unterschiedlicher Marginalisierungsdimensionen aller Menschen, die in territorialen Verhältnissen zueinanderstehen, einen funktionalen Zusammenhang bilden oder sich durch kategoriale Zugehörigkeit definieren bzw. definiert werden (vgl. Eberlei et al. 2018: 77) Gemeinwesenarbeit vermeidet eine Individualisierung sozialer Problem und ist an Veränderungen struktureller Benachteiligungen interessiert (vgl. Oelschlägel 2013: 199). Die Soziale Arbeit im Gemeinwesen basiert auf einem wissenschaftlichen, fachlichen und ethischen Begründungsrahmen, der ein Menschenrechtmandat inkludiert (vgl. Martin 2013: 143).

Spätestens seit 2014 ist zu beobachten, dass Gemeinwesen in Ost- und Westdeutschland von extrem rechten und völkisch autoritären Mobilisierungen betroffen sind. Darunter werden die Mobilisierungserfolge der Demonstrationen der ´Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes` (Pegida) ab dem Winter 2014 in Dresden (vgl. Korsch 2016:  52), die breite Zustimmung zu rassistischen Ressentiments (vgl. Decker et al. 2018: 109), die Professionalisierung rechter digitaler und analoger Medien, das schlagfertige Agieren aktionistischer rechter Gruppen (vgl. Hufer 2018: 8), verstanden. Damit verbunden sind rassistische, nationalistische und heterosexistische Diskursverschiebungen, in denen auf Entsolidarisierungen von Subjekten zugunsten des völkischen Kollektivs gedrungen und wissenschaftsfeindlich argumentiert wird (vgl. Salzborn 2017: 9). Aus diesen Diskursverschiebungen und den damit verbundenen Veränderungen der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben sich besondere Herausforderungen für die professionelle Gemeinwesenarbeit.

Das Promotionsprojekt möchte herausarbeiten, ob und wie die Gemeinwesenarbeit normativ wirkende Geländegewinne für diese Positionen begrenzen oder umkehren kann (vgl. Quent/Schulz 2015: 279). Professionskritisch ist dabei auch zu untersuchen, ob und welche Normalitätsverschiebungen in der Zivilgesellschaft einen Anpassungsdruck in der Praxis produzieren (vgl. Schäfer 2019: 144) und ob durch partizipatorische Tätigkeiten, die homogene Mehrheiten organisieren, soziale Ausschlüsse hergestellt werden können (Diebäcker 2013: 178).

Wissenschaftliche Forschungen und Veröffentlichungen zu rechtem Extremismus und Sozialer Arbeit in Ostdeutschland beziehen sich seit den 2000ern überwiegend auf Programme und Projekte, die explizit Demokratie fördernd und präventiv gegen rechten Extremismus arbeiten. Die aktuellen Bedingungen, Formen und Strukturen des pädagogischen Handelns der Praktiker*innen in der regulären Gemeinwesenarbeit in Deutschland, sind weitgehend unerforscht (Stützel 2019, Möller 2014: 209). Hinsichtlich der Frage, wie professionelle Gemeinwesenarbeit diskursiv geformt wird und rechtsextreme Geländegewinne in lokalen und regionalen Kontexten durch die Arbeit begrenzt oder begünstigt werden, ist ein Forschungsdesiderat ersichtlich. Daraus ableitend wird das hier entwickelte Forschungsvorhaben insbesondere die kommunale und regionale Soziale Arbeit im Gemeinwesen in den Blick nehmen.

Das Forschungsprojekt erschließt durch seinen praxeologischen Zugang die Konstruktion sozialer Wirklichkeit der Akteur*innen. Das professionelle Handeln wird dementsprechend in seiner interaktiven Praxis in bestimmten konjunktiven Erfahrungsräumen entlang der Konstitutionsbedingungen rekonstruiert. Es werden narrative Interviews mit Expert*innen der Gemeinwesenarbeit mit der Dokumentarischen Methode (u.a. Bohnsack 2014, Nohl 2006) ausgewertet um möglichst generalisierende Aussagen darüber treffen zu können, welches Professionswissen sich im Feld findet und wie dieses, insbesondere in Bezug auf den Umgang mit neu-rechten Eingriffen in Themenfelder der Sozialen Arbeit, weiterentwickelt werden kann.

Bogner, Alexander; Littig, Beate; Menz, Wolfgang (2002): Das Experteninterview- Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden

Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung- Einführung in Methodologie und Praxis qualitativer Forschung, Toronto/Berlin

Bohnsack, Ralf et al. (2019): Typenbildung und Dokumentarische Methode, in: Amling, Steffen et al.: Jahrbuch der Dokumentarischen Methode, Heft 1 2019, S. 17-50

Decker, Oliver et al. (2018): Das autoritäre Syndrom heute, in: Ders./Brähler, Elmar (Hg.): Flucht ins Autoritäre – Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft, Gießen, S.177 – 156

Diebäcker; Marc et al. (2013): Institutionelle Raumforschung – eine Programmskizze, in: Dies.: Soziale Arbeit und institutionelle Räume. Wiesbaden, 162 - 182

Eberlei, Walter et al. (2018): Der Menschenrechtsansatz in der Sozialen Arbeit, in: Ders.: Menschenrechte – Kompass für die soziale Arbeit, Stuttgart

Hufer, Klaus Peter (2018): Neue Rechte, altes Denken- Ideologie, Kernbegriffe und Vordenker, Weinheim/Basel

Korsch, Felix (2016): Einmal den Zirkel um Dresden schlagen. Pegida- Grundzüge und Abgründe einer Protestserie, in: Häusler, Alexander / Virchow, Fabian (Hg.): Neue soziale Bewegungen von rechts?, Hamburg, S. 52 – 62

Oelschlägel (2013): Geschichte der Gemeinwesenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Stövesand et al.: Handbuch Gemeinwesenarbeit, Opladen/Berlin/Toronto, S. 181 –202

Salzborn, Samuel (2017): Rechtsextremismus und Rechtspopulismus - Konzeptionelle Grundlagen, in Sozialmagazin, 42. Jg. · H. 11–12 · 2334, S. 6 -12

Schäfer, Ina (2019): Ein bisschen Berlin in Bautzen –Die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Angebote als sozialräumlich-alternativer Schutzraum für Geflüchtete, in: Alisch, Monika (Hg.): Zwischenräume--Sozialraumentwicklung in der Migrationsgesellschaft, Opladen

Stobl, Rainer et al. (2003): Demokratische Stadtkultur als Herausforderung –Stadtgesellschaften im Umgang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Weinheim und München

Stützel, Kevin (2019): Jugendarbeit im Kontext von Jugendlichen mit rechten Orientierungen. Rekonstruktiv-praxeologische Perspektiven auf professionelles Handeln, Wiesbaden

Möller, Kurt (2014): Programme gegen Rechtsextremismus - zwischen Projektitis und Nachhaltigkeit, in: Schubarth, Wilfried (Hg.): Nachhaltige Prävention von Kriminalität, Gewalt und Rechtsextremismus. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Potsdam, 201-228

Nohl, Arndt (2013): Relationale Typenbildung und Mehrebenvergleich- Neue Wege der dokumentarischen Methode, Wiesbaden

Nohl, Arnd-Michael (2017): Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis, 5. aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Wiesbaden

Nohl, Arnd-Michael (2019): Zur Bedeutung der relationalen Typenbildung für die Dokumentarische Methode, in: Amling, Steffen et al.: Jahrbuch der Dokumentarischen Methode, Heft 1 2019, S. 51-66

Bearbeiter: Ralf Mahlich