Der Umgang mit industriellem Erbe in Cottbus am Beispiel der Tuchfabriken im Bereich Ostrow und angrenzenden Gebieten sowie sich daraus ergebende Möglichkeiten für eine integrierte Stadtentwicklung

Wie kann in Zukunft ein bewusster Umgang mit der Cottbuser Tuchindustriekultur erreicht werden und welche stadtplanerischen Maßnahmen bringen die Geschichte ins Bewusstsein der Bevölkerung im Rahmen einer Quartiersentwicklung?

Die Cottbuser Stadtentwicklung wurde stark von der Tuchindustrie geprägt. Jahrhundertelang produzierten sehr viele Tuchmacher entlang der Spree verschiedene Textilien. Durch die industrielle Revolution und den Einzug von Dampfmaschinen gab es einen starken Aufschwung, der sich positiv auf die Verkehrsanbindung der Stadt und die finanzielle Situation auswirkte. Um die Jahrhundertwende wuchs Cottbus, nicht nur durch Eingemeindungen, erheblich an. Durch die Weltkriege und die neue Staats- und Wirtschaftsform der DDR gab es in der Folge große Veränderungen. Nach der deutschen Wiedervereinigung waren die Textilfabriken nicht mehr konkurrenzfähig und wurden nach und nach geschlossen. Heute lassen sich noch an vielen Orten Spuren dieses bedeutenden Industriezweiges in Form von Fabrikgebäuden finden. Allerdings muss man gezielt danach suchen, da die Nutzung nicht am Gebäude selbst ablesbar ist und es keine Form der Information oder Öffentlichkeitsarbeit über dieses städtische Kapitel gibt. Ein Teil der Fabriken steht unter Denkmalschutz, jedoch ist in den letzten Jahrzehnten bereits einiges an wertvoller Substanz verloren gegangen. Auch die Nachnutzungen der Fabrikationsanlagen entsprechen nicht dem vorhandenen Potential. Eine besondere Konzentration der historischen Spuren lässt sich im Bereich des ehemaligen Dorfes Ostrow an der Spree feststellen. Das Gebiet und die angrenzenden Areale weisen heute einen sehr diffusen Städtebau mit großen Lücken auf. Daher stellt sich die Forschungsfrage: „Wie kann in Zukunft ein bewusster Umgang mit der Cottbuser Tuchindustriekultur erreicht werden und welche stadtplanerischen Maßnahmen bringen die Geschichte ins Bewusstsein der Bevölkerung im Rahmen einer Quartiersentwicklung?“

In einem ersten Teil wurden theoretische Grundlagen zur Stadtgeschichte und zur Industriekultur durch Literaturrecherche erarbeitet. Anschließend wurden zwei Best Practice Beispiele studiert und auf Übertragbarkeiten überprüft, bei denen beides mal eine Umnutzung von Textilfabrikationsanlagen oder -vierteln im Zentrum stand. Im zweiten Teil wurde der Untersuchungsbereich Ostrow und mit angrenzenden Gebieten mittels einer vertieften Literaturrecherche, einer städtebaulichen Analyse und mehrerer Experteninterviews, vor allem mit städtischen Vertretern, eingehend untersucht. Aus den geschlussfolgerten Problemen ergaben sich Handlungsfelder, die auf zwei verschiedene Szenarien für Cottbus angewendet wurden. Das erste Szenario fokussiert sich auf ein Tuchmacherviertel für Cottbus, das zweite auf ein Tuchmacherviertel für alle, das heißt eine starke öffentliche und touristische Nutzung. Beiden Szenarien sind Maßnahmen der städtebaulichen Neuordnung, Nachverdichtung und temporäre Maßnahmen auf Brachflächen gemein. Als ein Schlüssel- bzw. Initialprojekt wird die Neugestaltung der Parkanlage der Eliasfabrik und gegebenenfalls die Umnutzung der noch gut erhaltenen Fabrik selbst gesehen. Entscheidend für die Umsetzung der Maßnahmen ist jedoch eine breites Bewusstsein bei den verantwortlichen städtischen Mitarbeitern, Gebäudebesitzern und Bürgern der Stadt für die Werte, die in den verbliebenen Tuchfabriken stecken.

Bild 1 

Die Anzahl der Betriebe der Textilindustrie im Jahr 1926 in der Niederlausitz sticht gegenüber den anderen Industrie- und Gewerbezweigen deutlich heraus. Die Region war damals deutschlandweit eines der größten Zentren für die Tuchfabrikation. Gefolgt wurde der größte Industriezweig von dem Abbau von Kohle, durch die die Dampfmaschinen in den Fabriken angetrieben wurden.

Bild 2

Der Plan der Stadt Cottbus zeigt alle ehemaligen Standorte von Fabriken im Zentrum. Dabei fällt zum einen auf, wie viele Tuchfabriken es im Vergleich zu Fabriken anderer Produktionen gab. Zum zweiten wird hier besonders deutlich, dass Wasser ein entscheidender Faktor für die Herstellung von Tuchen darstellt. Der größte Teil dieser Fabriken liegt daher in unmittelbarer Nähe zur Spree oder dem Mühlgraben. Zuletzt wird aber auch deutlich, wie wenig Fabriken heute noch existent sind.

Bild 3

Die Tuchfabrik Wilhelm Müller am Ostrower Damm wurde teilweise rückgebaut, aber ein großer Teil steht noch und wurde von Grund auf saniert. Dabei wurde an der südöstlichen Stirnseite ein Relief mit einer Aufschrift angebracht, welches die ehemalige Nutzung und Ausdehnung des Gebäudes anzeigt. Diese Tuchfabrik ist eine von wenigen, die an einem zentralen Ort der Stadt die lokale Geschichte andeutet.

Bild 4

Die aktuelle Problemlage im Untersuchungsgebiet ergibt drei zentrale Handlungsfelder für das „Tuchmacherviertel“. Erstens soll die lokale Tuchgeschichte zu einem zusätzlichen Identitätsstifter für die Stadt werden, zweitens ist eine gezielte Ergänzung des Viertels mit Wohnungen, Büros, Gewerbestandorten und Infrastruktur in einem geeigneten Städtebau notwendig und drittens sollen die Freizeitorte und Freiräume qualitätvoll ergänzt werden.

Bild 5

Das Szenario „Tuchmacherviertel für alle“ möchte ein Quartier schaffen, welches gleichermaßen attraktiv für Bewohner und Besucher ist. Dafür werden die zahlreichen Brachen bebaut, eine wichtige Straßenverbindung entsteht und auf noch freien Flächen finden unterschiedliche temporäre Maßnahmen statt, die die Orte ins Blickfeld rücken, aber auch ästhetisch verbessern sollen. Der Ostrower Platz dient als Ausgangspunkt mit Infotafeln für verschiedene Tuchmacherspaziergänge entlang von History Spots durch die Stadt.

Bild 6 und 7

Die beiden Bilder zeigen den heutigen ungenutzten Zustand der Grünanlage der Eliasfabrik mit altem Baumbestand und daneben die ehemalige streng gestaltete Formgebung mit einer Fontäne. Da die Lage und die Erhaltung des gesamten Fabrikareals außergewöhnlich gut sind, sollen die Eliasfabrik und der dazugehörige Park umgenutzt beziehungsweise aufgewertet werden. Damit wird eine touristische Nutzung in kultureller und naturnaher Weise ermöglicht.

Abbildungsverzeichnis

Titelbild: 
Mues, Antje (2007): Cottbus. Architektur und Städtebau 1871 bis 1918. Berlin/ Bonn: Westkreuz-Verlag
Bild 7:
Ackermann, Irmgard; Cante, Marcus; Mues, Antje (2001): Denkmale in Brandenburg. Stadt Cottbus. Worms am Rhein: Wernersche Verlagsgesellschaft