Insektenemergenz an der Oder und ihren Auengewässern

Auen als Zufluchtsort für aquatische Insekten nach einer Umweltkatastrophe?

Im Rahmen von ODER~SO (www.oder-so/info) untersuchen wir die Auswirkungen der Massenentwicklung der toxin-produzierenden Brackwasser-Goldalge Prymnesium parvum auf die Emergenz aquatischer Insekten.

Aquatische Insekten - wie Zuckmücken, Köcherfliegen oder Eintagsfliegen - zeichnen sich durch einen Habitatwechsel während ihrer Entwicklung aus. Sie leben als Larven im Wasser und verlassen das Wasser als ausgewachsene Tiere (Emergenz), um sich fortzupflanzen. Diese sind ein wichtiger Bestandteil des Nahrungsnetzes in aquatischen und terrestrischen Lebensräumen. Sowohl die Larven im Wasser als auch die adulten Insekten an Land spielen als Konsumenten und/oder Beute eine wichtige Rolle im jeweiligen Nahrungsnetz. Durch ihre Emergenz tragen aquatische Insekten erheblich zu einem ökosystemübergreifenden Energie- und Nährstofftransfer bei.

Wird jedoch ein aquatisches Ökosystem gestört, wie es bei der Umweltkatastrophe in der Oder der Fall war, könnte das weitreichende Konsequenzen auch für angrenzende terrestrische Ökosysteme haben. Die plötzliche Algenblüte im Sommer 2022 führte zu einem massiven Absterben von Fischen und Mollusken. Derzeit ist jedoch nicht bekannt, wie sich die Algenblüte auf den Artenreichtum und das Vorkommen der aquatischen Insekten ausgewirkt hat.

Angrenzende Auen wurden durch die Algenblüte in der Oder nicht so stark beeinträchtigt wie der Fluss, da sie im Sommer nicht miteinander verbunden waren. Daher könnten Auengewässer eine wichtige Rolle bei der Erholung aquatischer Insektengemeinschaften nach Umweltkatastrophen in angrenzenden Flusssystemen spielen. Aquatische Insektenlarven können bei Überschwemmungen im Frühjahr von den Auen in den Fluss verdriftet werden oder die erwachsenen Insekten können im Sommer von den Auen zur Eiablage zum Fluss fliegen was zur Wiederbesiedlung von Flussökosystemen durch bestimmte Arten führt.

Wir untersuchen die Veränderungen in der Artengemeinschaft (Biodiversität) nach der Algenblüte in den Auen und im Fluss, inwieweit die Auengewässer als Rückzugsort dienen und wie die aquatischen Insekten angrenzende terrestrische Habitate beeinflussen. Dazu setzen wir schwimmende Insektenfallen an sechs Standorten auf der deutschen Seite der Oder ein. An drei der Standorte beproben wir auch angrenzende Auengewässer, die während des Frühjahrshochwassers mit dem Fluss verbunden sind. Außerdem verwenden wir terrestrische Fenster-Malaise-Fallen um die Veränderungen in der Insektenartengemeinschaft in Abhängigkeit von der Distanz zur Aue oder zum Fluss zu dokumentieren. Die Daten sollen Aufschluss geben über die Rolle von Überschwemmungsgebieten als Zufluchtsort für wirbellose aquatische Tiere im Falle einer Umweltkatastrophe.

Hintergrundinformationen

Während der Umweltkatastrophe in der Oder in den ersten drei Wochen des Augusts 2022 sind auf einer Strecke von mehr als 300 km Oderlauf geschätzte 1000 t Fisch verendet, sowie ein erheblicher Teil der Muscheln, Wasserschnecken, und vermutlich anderer Wirbellosen. Unter den betroffenen Fischarten kommen einige, wie der Atlantische Stör und der Baltische Goldsteinbeißer nur in der Oder vor, während Ostseeschnäpel, Zope und Quappe hier ihr Hauptverbreitungsgebiet in Deutschland haben. Das massive Sterben aquatischer Organismen wurde gemäß des Erkenntnisstandes der deutschen Expert*innengruppe durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren verursacht. Massive Einleitungen von Kochsalz, zusammen mit der sehr geringen Wasserführung der Oder, ihrer hohen Nährstoffbelastung und einer lang anhaltenden Sonnenscheinperiode ermöglichten eine Massenvermehrung der Toxin freisetzenden Brackwasseralge Prymnesium parvum in einem oder mehreren oberen Teilen des Odersystems, die sich dann – vermutlich weiter wachsend – flussabwärts bewegte. (https://de.wikipedia.org/wiki/Umweltkatastrophe_in_der_Oder_2022)

Derart erhöhte Salzkonzentrationen wurden bereits früher in der Oder gemessen, so dass eine Wiederholung nicht auszuschließen ist, falls weiterhin oder wieder hohe Salzfrachten bei Niedrigwasser in die Oder eingeleitet werden. Weiterhin ist das Auftreten dieser Algen auch in anderen salzbelasteten Gewässern nicht auszuschließen. Für das Überleben eines Teils der Fischpopulationen bei solchen Toxinwellen sind Nebengewässer der Flussauen von erheblicher Bedeutung, sofern sie noch an den Hauptflusslauf angeschlossen sind. Außerdem sind die dynamischen Auengewässer-Typen durch eine besonders hohe Biodiversität gekennzeichnet. Die für die Refugialfunktion, Habitatfunktion und weitere Ökosystemleistungen der Auen erforderliche Lateralkonnektivität wird in der Oder allerdings mit dem voranschreitenden Buhnenbau am polnischen Ufer stark verringert.

ODER~SO - Anlassbezogenes Sonderuntersuchungsprogramm zur Umweltkatastrophe in der Oder vom August 2022

Auftraggeber: 
DLR Projektträger, im Auftrag des BfN Bundesamt für Naturschutz, FKZ: 352357010A

Zeitraum: 
11/23 - 04/26

Schlagworte: 
Oder, aquatische Insekten, Insekten, Emergenz

Bearbeitende: 
D. Martin-Creuzburg
N. Heitmann
T. P. Parmar
J. Rüegg

Kooperationspartner: 
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Berlin link

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ) Magdeburg link

Institut für Binnenfischerei Potsdam-Sacrow, Universität Duisburg-Essen (UDE) link

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