Basler Thesen – zum 8. Hochschultag der Nationalen Stadtentwicklungspolitik

Basler Thesen – Hochschulen als Ressourcen für eine transformative Planungskultur
Juli 2024 // Barbara Engel, Gunnar Heipp, Cornelius Scherzer, Frank Schwartze, Mario Tvrtković, Silke Weidner

Präambel
Ob in der Planungspraxis oder in Forschung und Lehre an den Hochschulen – wir stehen vor drängenden Herausforderungen: Boden-, Bau- und Mobilitätswende, Klimaschutz und Biodiversität, Migration und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind nur einige der programmatischen Schlagworte erforderlicher Veränderungen. Es ist höchste Zeit, Wege der transformativen Planung und Entwicklung einzuschlagen und Prozesse sowie Instrumente für Umsetzung in der Breite zu entfalten. Dafür müssen wir Werthaltungen ändern, Ziele, Planungs- und Entscheidungsprozesse anpassen.

Die Ansätze einer transformativen Lehre und Forschung als produktiver Beitrag der Wissenschaft hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) bereits 2011 beschrieben. Der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) hat mit dem Haus der Erde Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land und Empfehlungen für die Lehre formuliert. Die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) hat 2021 konkrete Umsetzungsschritte für eine nachhaltige Raumentwicklung benannt. Erste Handlungspfade zum Neujustieren unseres Handelns auf Ebene von Städtebau und Landesplanung finden sich in der Berliner Erklärung der DASL aus 2022. Auf dem Hochschultag der Nationalen Stadtentwicklungspolitik in Berlin im Juni 2023 wurden vor dem Hintergrund gegenwärtiger Krisen und Unsicherheiten neue Themen und Wege experimenteller Praxis präsentiert und diskutiert.

Universitäten und Hochschulen spielen als Bildungsstätten zukünftiger Expert:innen der transformativen Planung eine Schlüsselrolle: durch transdisziplinäres Engagement und Wissenstransfer fördern sie eine Kultur sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Verantwortlichkeit. Sie bereiten zukünftige Entscheidungsträger- und Gestalter:innen auf die anstehenden Aufgaben vor, generieren das hierfür erforderliche Wissen, ziehen Rückschlüsse für die Anwendung in der Planung und erproben wegweisende Konzepte. Hochschulen sind als Plattformen des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurses zu stärken, um den fachlichen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und mit den verschiedenen Akteuren aus unterschiedlichen professionellen Feldern, aus Bürgerschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Politik die Möglichkeiten der Umsetzung der Ziele für sozial gerechte, umweltverträgliche und lebenswerte Städte und Regionen zu diskutieren.

Die Transformation der Lehre hat bereits begonnen. Eine zukunftsorientierte Planungskultur wird vielerorts bereits in den Blick genommen – mit der Weiterentwicklung vorhandener Curricula oder der Einrichtung neuer Studiengänge mit dem Fokus auf kollaborative Entwicklungsprozesse und transformative Ausbildungsziele.

Konferenz in Basel am 18. und 19. April 2024
Auf einer Veranstaltung in Basel als Teil und Fortführung des 8. Hochschultages der Nationalen Stadtentwicklungspolitik wurden internationalen Perspektiven einer transformative Raumentwicklung, Regional- und Stadtplanung diskutiert und Wege für deren gemeinsame Umsetzung unter sparsamer Nutzung von Ressourcen und gleichzeitig in hoher gestalterischer Qualität entwickelt.
Wie können wir die Hochschulen als wertvolle Ressourcen für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung von Städten und Regionen besser nutzen? Welche Mehrwerte können aus einem internationalen und interdisziplinären Austausch gewonnen werden? Wie können eine nachhaltige wirtschaftliche und technische Entwicklung, die Erhaltung von Ökosystemleistungen und Klimaschutz, gesellschaftliche Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt vor dem Hintergrund sich wandelnder Praktiken umgesetzt bzw. gestärkt werden? Im Zentrum stand die Frage, wie die sich hieraus ergebenden Anforderungen im Dreiklang von Lehre, Forschung und Praxis bewältigt werden können.

Als Ergebnis des fachlichen Austauschs wurden die Basler Thesen formuliert, die Ziele und Handlungsfelder sowie konkrete Schritte zur Umsetzung in der Lehre benennen. Sie sollen als Hilfestellung und Selbstverpflichtung verstanden werden, den Prozess hin zu einer transformativen Planung aktiv anzugehen.

Leitbild – Mission Statement
Zukunftsfest, resilient, nachhaltig und anpassungsfähig – das Zielbild für Städte und Regionen vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen ist klar. Suffizienz, Bestandserhalt, Kreislaufwirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Transformabilität und Gemeinwohlorientierung sind die Grundprinzipien eines zukunftsfesten planerischen Handelns. Die Hochschulen richten ihre Aufgaben und Tätigkeitsfelder in Lehre, Forschung und Innovation entsprechend dieser Planungsprämissen (neu) aus.

1. Notwendige Kompetenzen für Zukunftsgestalter:innen vermitteln!
Sowohl tradierte als auch neue Kenntnisse und Kompetenzen, die zur Transformation befähigen, werden benötigt. Dies bedeutet die Abkehr von bisherigen sektoralen Optimierungslogiken, die das Verhältnis von Fach- und Raumplanung bis heute bestimmen. Eine interdisziplinär ausgerichtete Lehre ist dafür unabdingbar. Curricula sind zu überprüfen, Themen zu priorisieren. Die Kultur einer transformativen Planung braucht Räume für Entfaltung und für Konfliktaushandlung. Curricula sind entlang der Ziele der Transformation zur Nachhaltigkeit, Resilienz, Suffizienz, Stadtumbaukultur zu entwickeln. Nötig ist eine Kultur der Transdisziplinarität und Transformabilität: Stadt-, Mobilitäts- sowie Landschaftsund Freiraumplanung, Ökologie und Umweltplanung, Ver- und Entsorgungsplanung und die raumbezogenen Sozialwissenschaften, aber auch Rechts-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Dialog mit engagierten Menschen, Initiativen und Instituionen vor Ort sind konsequent zu integrieren.

2. Wissen teilen, verbreiten und zur gemeinsamen Gestaltung einsetzen!
Das Wissen über die räumliche Transformation und das Wirken für die sozial-ökologische Wende leben von Allianzen und Kooperation. Hochschulen sind prädestiniert, eine Kultur der Kooperation untereinander, mit anderen Institutionen, Verbänden, Initiativen und Einzelpersonen in der Gesellschaft vorzuleben und Orte des Austauschs und Wissenstransfers in der jeweiligen Region zu sein. Insbesondere die Zusammenarbeit untereinander mit besserer Netzwerkbildung und Arbeitsteilung kann neue innovative Instrumente der transformativen Planung, die Sichtbarkeit und die Wirkmächtigkeit der Hochschulen erhöhen. Die fachlichen Profile und die Eigenlogiken der Hochschulen und Universitäten, deren Vielfältigkeit und Kompetenzen sowohl in der Anwendung als auch in der Theorie sind zu stärken. Dies gilt sowohl im Hinblick auf lokale und regionale als auch auf internationale und globale Bezüge. Wir werden alle brauchen.

3. Fachliche Positionen bestimmen und den Diskurs intensivieren!
Unsere Disziplinen sind in hohem Maße gesellschaftlich relevant. Wir gestalten und bauen Räume um, in denen sich die Gesellschaft entfalten kann. Planung und Gestaltung von Stadt und Region sind politisch und haben mit vielfältigen  Anforderungen und Vorstellungen umzugehen. Sie sind nie abschließend und bedürfen ständiger Überarbeitung und Weiterentwicklung. Zielkonflikte und bestehende Machtverhältnisse, welche die Transformation behindern, sind zu identifizieren und deutlich zu benennen, um sie zu hinterfragen, akzeptable Kompromisse zu finden oder sie sogar ausräumen zu können. Hochschulen übernehmen hierbei als unabhängige, dem Gemeinwohl verpflichtete Institutionen und wichtige Wissensträger Verantwortung und bringen sich in den fachlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskurs ein. Sie sind ein Resonanzraum der gesellschaftlichen Entwicklung. Gleichzeitig sollten sich Hochschulen darum bemühen,
präsenter im Stadtraum zu sein – mit Räumen und Veranstaltungen, um Ergebnisse von Lehre und Forschung zu präsentieren und sie mit der Gesellschaft zu diskutieren, Stellung zu beziehen, zu argumentieren und zu kommunizieren.

4. Teilhabe an Planungsprozessen ermöglichen und aktiv wahrnehmen!
Politische, soziale und ökonomische Teilhabe und Mitwirkung sind Fundamente einer demokratischen und offenen Gesellschaft. Teilhabe ist sowohl das Mittel als auch das Ziel einer transformativen Stadt- und Freiraumplanung und -gestaltung. Erforderliche Kooperationen mit den am Prozess Beteiligten, mit Akteur:innen aus Politik und Wirtschaft, Bildung und Forschung und zivilgesellschaftlichen Gruppen sind unabdingbar und müssen von Anfang an trainiert werden, damit Hochschulen und Universitäten feste Partner der Beteiligungsprozesse werden und Koproduktion gestalten und praktizieren können. Der Zugang zum Studium sollte inklusiver gestaltet und mehr Unterstützungsangebote für sozial und körperlich benachteiligte Gruppen und Personen eingerichtet werden. Campusbereiche sollten einladende Orte des Austausches werden, die unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ansprechen.

5. Praxisbezüge in Lehre, Forschung, Aus- und Weiterbildung nutzen!
Angesichts der Fülle von Herausforderungen darf Lehre nicht als reine akademische Aufgabe verstanden werden, sie muss in realweltlichen Kontexten verankert sein. Hierfür sind die richtigen Fragestellungen zu formulieren und geeignete Formate zu entwickeln, um Impulse aus der Gesellschaft direkt aufzunehmen und gemeinsam zu bearbeiten. Neben fachnahen Kenntnissen sind auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge und Tätigkeiten, welche die planetaren Grenzen respektieren, Teil dieser Diskurse. Der Praxisbezug eröffnet Chancen für Reflexivität als Mehrwert feiner Zukunftsfesten Lehre und befähigt Studierende als künftige Entscheidungsträger:innen in allen Handlungsfeldern der privat, gemeinschaftlich und öffentlich getragenen Stadtentwicklung. Studierende entwickeln Kompetenzen an der Schnittstelle von Theorie und Anwendung und bekommen Einblicke in zentrale gesellschaftliche Sphären, Planungsprozesse und -kulturen. Hier können z.B. die Konzepte der Reallabore als Formate einer neuen Lehre einen sinnvollen Beitrag leisten, die Komplexität von Rahmenbedingungen zu analysieren und auf dieser Grundlage alternative Entwicklungspfade und Lösungen aufzuzeigen. Dies ist aufwändig und erfordert Zeit in den Curricula und bei allen Beteiligten – Lehrenden, Studierenden und in der Weiterbildung. Für eine praxisorientierte Lehre brauchen wir neue Bildungskonzepte und  Trägerstrukturen. Die DASL und ihre Verbandspartner:innen mit ihren aktiven Mitgliedern in Praxis und Wissenschaft können hier als wichtige Brücke agieren So kann Transformation als Prozess in beide Richtungen vermittelt werden.

6. Experimentelle, transdisziplinäre Lehre und Forschung stärker etablieren!
Wir sollten das Training von experimenteller Forschung und Lehre kultivieren. Reallabore und Realexperimente eröffnen in inhaltlicher und instrumenteller Hinsicht neue Chancen: Sie erzeugen differenziertes Systems- und Transformationswissen und schaffen akteursbezogene neue Governance-Arrangements. Doch es fehlt an theoretischen Analysen, empirischen Untersuchungen und an der Reflexion und Kommunikation von Ergebnissen.
Um experimentelles Arbeiten als Option zu ermöglichen und eine Kultur des Ausprobierens, der Fehlertoleranz und Unschärfe zu etablieren, brauchen wir geeignete Aufgabenstellungen und Formen jahrgangsübergreifenden Arbeitens und Lernens. Lehrpläne müssen mutiger, schlanker und flexibler werden, um die Tragfähigkeit und Innovationskraft zu stärken. Dazu gehören u.a. hochschulübergreifende Studiengänge, flexible Semesterabläufe für Intensivprogramme, Praktika, Sommerschulen und Exkursionen – für den Erwerb von Sprachkompetenzen, Persönlichkeitsbildung und fachlichem Knowhow.

7. Forschungsfelder erweitern, Methodiken verknüpfen und weiterentwickeln!
Planung, Gestaltung und Steuerung müssen, unter Beachtung der planetaren Leitplanken, auf dem aktuellen, profunden Wissensstand gründen. Die in der Stadtentwicklung handelnden Akteur:innen benötigen den aktuellen Forschungsstand und die Kenntnisse über verschiedene Wissensbestände aus unterschiedlichen Disziplinen und von unterschiedlichen Akteursgruppen. Hochwertige Grundlagenforschung ist genauso wie angewandte Forschung für erfolgreiches, nachhaltiges Handeln unabdingbar. Die Herausforderung besteht darin, das Wissen zu integrieren, reflektieren und im Sinne der räumlichen Transformation zur Nachhaltigkeit aktiv in die laufenden Veränderungsprozesse einzubringen. Es muss sichergestellt werden, dass Forschungsergebnisse von den Akteur:innen in der Praxis abgerufen werden können, sie in die Öffentlichkeit kommuniziert, Beteiligungsverfahren organisiert und der politische Diskurs unterstützt werden. Hierbei sind Kompetenzen für eine zielgerichtete Wissenskommunikation mit heterogenen Akteursgruppen zu entwickeln. Diese Schritte werden in den Forschungsprozess zurück gespiegelt. Wissenschaftliches Arbeiten und Methoden der Forschung, aber auch der Wissenskommunikation und -vermittlung müssen stärker in den Curricula verankert werden.

8. Internationale Zusammenarbeit von Hochschulen und Berufsfeldern praktizieren!
Die internationale Zusammenarbeit mit Nachbarn im europäischen Raum und auch im globalen Kontext erlaubt gemeinsames Lernen und Erfahrungsaustausch. Die Öffnung von Studiengängen und Forschungsprogrammen für Menschen aus der ganzen Welt ist teilweise bereits Realität und kann weiter intensiviert werden. Traditionelle und zeitgenössische Expertise aus verschiedenen geografischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexten sollten als fruchtbarer  Wissensspeicher in Lehre und Forschung stärker einbezogen werden. Persönliche Begegnung in Lehre und Studium, Forschung und Verwaltung befördert kreativen Diskurs und Selbstreflexion und inspiriert zur Entwicklung positiver Visionen für die Zukunft. Kurze internationale Intensivprogramme von Hochschulen und Partnerinstitutionen erbringen wertvolle Außensichten und Visionen bei der Lösung aktueller Aufgabenstellungen. Auslandssemester und -praktika sollten regulärer Bestandteil von Studiengängen werden. Länderübergreifende interdisziplinäre wie fachspezifische Studienabschlüsse sind unter großzügiger Ausnutzung und Schaffung von Spielräumen in Hochschul- und Berufsrecht zu etablieren. Bestehende Förderprogramme der EU, internationaler und nationaler Agenturen sowie die materielle und personelle Unterstützung bi- und multilateraler Partnerschaften zwischen Hochschulen, Forschung, planender Verwaltung, Planungsbüros und Unternehmen können genutzt und zum Vorteil aller Seiten umfassend erweitert werden.

9. Sichtbarer werden für Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft!
Die raumgestaltenden und planenden Hochschulen müssen in den Regionen und an den Orten ihres Wirkens auch im gesellschaftlichen und politischen Diskurs sichtbarer werden. Engagierte Wissenschaft mit Verantwortung für die Zukunftsgestaltung möchte die gesellschaftlich relevanten Veränderungen aktiv leben und beschleunigen. Hochschulen können auch baulich zu modellhaften Beiträgen einer kulturell und sozial, ökologisch und wirtschaftlich verantwortlichen Baukultur im städtebaulichen Kontext werden. Über die Integration externer Fachleute, gesellschaftlich und politisch aktiver Personen in Lehre und Forschung wirken diese als Multiplikator:innen. Fachliche Haltungen müssen öffentlich
vertreten und die Expertise in die unterschiedlichen Akteurskreise vermittelt werden – bspw. über die Einrichtung von Themennetzwerken. Darüber hinaus sind Ergebnisse von studentischen Arbeiten und Ideen besser in die Gesellschaft zu kommunizieren.

Die Basler Thesen sind keine abschließenden Statements. Sie sind als Ausgangspunkt einer kontinuierlich zu führenden Diskussion zu verstehen, die wir in Basel begonnen haben. Wir möchten Erfahrungen über bereits erzielte Erfolge austauschen und konkrete Handlungsschritte formulieren. Wie können wir die Hochschulen als Ressourcen für eine transformative Planungskultur nutzen?

Weitere Informationen zur Veröffentlichung erhalten Sie hier:
https://www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de/NSPWeb/SharedDocs/Blogeintraege/DE/basler-thesen.html