Technik und Architektur – DFG-Graduiertenkolleg schreibt Baugeschichte neu

Forschende der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) haben im Rahmen eines nun zum Abschluss kommenden Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) neun Jahre lang unter dem Thema „Kulturelle und technische Werte historischer Bauten“ das Spannungsfeld zwischen Kunst und Technik von der Antike bis in die Neuzeit erkundet.

Innovativ an der Forschungsidee ist ihre Positionierung an der Schnittstelle zwischen Kunst und Technik. Der Fokus des Kollegs lag auf der Bedeutung und Bedeutungsgeschichte technischer und technologischer Zusammenhänge. Das ist gegenüber traditionellen kunst- und architekturgeschichtlichen Herangehensweisen ein in Deutschland einmaliger, völlig neuer Ansatz. Auch international wird diese Forschungslücke nur allmählich geschlossen.

Zeitlich reichen die Ergebnisse des Projekts von der Antike bis in die Neuzeit und geographisch von Deutschland über Europa (Griechenland, Türkei, Russland, Frankreich) bis nach Asien (Indien, Israel) und Afrika (Ägypten). Eingebunden waren insgesamt 61 Einzelprojekte von Promovierenden, Postdocs und Fellows des Kollegs.

„Was die Forschungsergebnisse in aller Diversität und Internationalität eint, ist ihr Fokus auf das konkrete Objekt, eine bestimmte Konstruktion, ein Bauwerk, eine spezifische Gruppe von Bauwerken oder auch eine ganze Stadt“, betont Prof. Klaus Rheidt, Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs und Honorarprofessor an der BTU. „Die Monumente selbst sind historische Quellen, die es zu erschließen gilt. Und sie sind oft verlässlicher als Schriftquellen, da Bauwerke mit all den Spuren ihrer Herstellung und Nutzung nicht lügen können“, so Rheidt weiter.

Das DFG-Graduiertenkolleg war eine Einrichtung der angewandten und der Grundlagenforschung. Aufgrund der Ergebnisse wird die Bautechnikgeschichte – zumindest in Teilen – neu geschrieben werden müssen.

Anteil daran hat beispielsweise die Arbeit von Dr. Aleksandra Kosykh. Die russische Bauingenieurin kam im März 2017 an das Kolleg und untersuchte das Bauen mit Eisen im Russland des 18. Jahrhunderts, ein in der Baugeschichte zuvor nie aufgegriffenes Thema. Die von ihr untersuchten Bauten, etwa die eiserne Dachkonstruktion des Marmorpalasts, eines großen Stadtpalais in St. Petersburg, oder die Kirche des Heiligen Sergius in Sergijew Possad unweit von Moskau, geben Aufschluss über seltene Konstruktionstechniken, frühe Konstruktionsregeln und Eisenherstellungsverfahren. Als Vorläufer der komplexeren und heute berühmteren Eisenkonstruktionen des 19. Jahrhunderts sind diese Bausysteme ein wesentliches Bindeglied in der Entwicklung der Metallverarbeitung und der Ingenieurwissenschaften. Für ihre mit „summa cum laude“ verteidigte Dissertation „Pioneers of Modern Construction“ wurde Kosykh im Mai 2023 mit dem Förderpreis der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte ausgezeichnet.

Ganz anders gelagert ist das Forschungsprojekt der Stadt- und Regionalplanerin Dr. Verena Pfeffer-Kloss: „Der Himmel unter West-Berlin. Die ‚post-sachlichen‘ U-Bahnhöfe des Baudirektors Rainer Gerhard Rümmler“. Rümmler (1929 – 2004) war Leiter der Unterabteilung Entwurf der Berliner Senatsbauverwaltung und gestaltete in dieser Funktion zwischen 1964 und 1994 insgesamt 57 der in West-Berlin neu erbauten U-Bahnstationen. Zwar spielte der Bau von U-Bahnen in dieser Zeit oft eine zentrale Rolle in der Entwicklung zahlreicher Großstädte, dennoch sind U-Bahnhöfe bislang architektonisch kaum erforscht. Im Mittelpunkt der werkbiografisch basierten Forschung steht das Motto Rümmlers, einen U-Bahnhof als „unverwechselbaren Ort“ zu gestalten. Kloss‘ Arbeitsergebnissen und ihrer Expertise ist es zu verdanken, dass viele der von ihr untersuchten Bauten mittlerweile unter Denkmalschutz stehen. Dazu gehören unter anderem die in den 1980er Jahren entstandenen Bahnhöfe der Linie U7 von Siemensdamm in Charlottenburg bis Rathaus Spandau.

„Das DFG-Graduiertenkolleg war ein Flaggschiff der BTU“, so Prof. Michael Hübner, Vizepräsident für Forschung und Transfer an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg anerkennend. „Es hat unseren Forschungsschwerpunkt ‚Smart Regions and Heritage‘ deutlich geprägt. Die Thematik berührte wesentliche Interessen Historischer Bauforschung, der Bautechnikgeschichte, Kunstgeschichte, Denkmalpflege, Archäologie und der Geschichts- und Sozialwissenschaften. In dieser Konstellation wurden neue Maßstäbe für die Beurteilung historischer Bauten gesetzt. Selbstverständlich sollen die wissenschaftlichen Ergebnisse für die Beantragung weiterer neuer Forschungsprojekte an der BTU zur Verfügung stehen.“

48 Doktorand*innen, neun Postdocs und weitere Fellows haben über neun Jahre 150 Publikationen in acht Sammelbänden publiziert. Das DFG-Graduiertenkolleg war eine Kooperation der BTU Cottbus-Senftenberg mit der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner.

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Prof. Dr.-Ing. Klaus Rheidt
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Dachkonstruktion der Kirche des Heiligen Sergius in Sergijew Possad; Bild: Aleksandra Kosykh
Dachkonstruktion des Marmorpalasts in St. Petersburg; Foto: Aleksandra Kosykh
Bahnsteig U-Bahnhof Konstanzer Straße in Berlin, Architekt Rainer Gerhard Rümmler, Denkmal seit 2018; Foto: Verena Pfeiffer-Kloss, 2014