Internationale Konferenz "Forced migration"

Internationale Konferenz "Empowerment in Zeiten von Fluchtmigration" am 15. und 16.11.2018 an der BTU Cottbus-Senftenberg

TAGUNGSBERICHT

Am 15. und 16. November 2018 trafen sich 70 Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland, um mit Brandenburger Sozialarbeitenden und politisch aktiven Geflüchteten soziologische Analysen und praktische Möglichkeiten von Empowerment zu diskutieren. Als Tagungssprachen wurde ein Nebeneinander von deutsch und englisch gewählt. Mit Bezug auf Ngugi wa Thiongo wurde der Idee gefolgt, Dominanzstrukturen nicht durch die Auswahl einer unterschiedlich gut beherrschten Sprache zu verfestigen. Stattdessen wurde die Kunst der Sprachmittlung als Teil internationaler Begegnung und als Dimension von Empowerment verstanden.

In Ihrem Eingangsvortrag betonte Prof. Dr. Birgit Behrensen, dass der durch Industrialisierung ausgelöste Klimawandel, die anhaltenden Folgen der Kolonialzeit ebenso wie imperial motivierte Eskalationen in regionalen Krisen und Kriegen auf globale Verflechtungen verwiesen. Entsprechend war das Tagungsziel nichts Geringeres, als Denkfiguren weiter zu entwickeln, die die transnationale Verwobenheit von Individuen und Gesellschaften in ihrer globalen Mehrdimensionalität fassen und das demokratische Miteinander stärken könnten. Mit Verweis auf Zygmund Bauman sollten Gelingensbedingungen eines solidarischen Miteinanders von Einheimischen und Zugewanderten im Mittelpunkt stehen.

Den Auftakt bildete ein Vortrag von Dr. Natasha Kelly. Unter dem Titel „Eindeutig-Zweideutig: Das `doppelte Bewusstsein´ von Schwarzen Deutschen“ formulierte sie ein wissenschaftstheoretisches Fundament, dessen Ausgangspunkt W.E.B. Du Bois´ Theorie des Double Consciousness bildete. Dr. Kelly nahm die Zuhörenden mit, ein Verständnis für die Wirkung kolonial geprägter Sichtweisen zu entwickeln. Die rege Diskussion verdeutliche, wie sehr die anhaltenden Folgen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene das Miteinander prägten.

Prof. Dr. Elke Hildebrandt von der Pädagogischen Hochschule in der Nordwestschweiz (FHNW) setzte sich anschließend mit der Bildungsbegleitung frühkindlicher Partizipationsprozesse auseinander. Sie präsentierte empirisches Material eines offenen, partizipativ angelegten Grundschulunterrichts. Mit der Frage, ob eine solche Arbeitsweise westlich und mittelschichtsgeprägte Kinder privilegiere, lud sie zu einer kontroversen Diskussion zu Fragen kultureller Differenzen und zu Fragen des Leistungsbegriffes in Bildungskontexten ein.

Dr. Marius Lubsa Matichescu von der West Universität in Timisoara, Rumänien, präsentierte Zwischenergebnisse seiner quantitativen Forschungen zur Lebenssituation von Rumän*innen im europäischen Ausland. Deutlich wurde, wie unterschiedliche staatliche Integrationsangebote zu Unterschieden in den individuellen Handlungsstrategien beitrugen.

Eingebettet am ersten Tagungstag fand eine kurze und intensive Workshopphase statt. In der Arbeitsgruppe des Flüchtlingsrats Brandenburg wurde die interdisziplinäre Komplexität deutlich, die Lobbyarbeit im Feld von Fluchtmigration braucht. Die Arbeitsgruppe von „Women in Exile & Friends“ diskutierte Herausforderungen bei der Begleitung von Empowermentprozessen. Hier kann „Women in Exile & Friends“ auf einige Achtungserfolge bei der Stärkung von Frauen u.a. in zentralisierten Unterkünften in Brandenburg verweisen. Eine dritte Arbeitsgruppe wurde von dem „Geflüchtetennetzwerk in Cottbus“ bestritten. Erkennbar wurde, dass es einen langen Atem braucht, um eine Selbstorganisation in den Händen von Geflüchteten voran zu bringen. Da zwei weitere Arbeitsgruppen kurzfristig abgesagt worden waren, wurde spontan eine vierte Arbeitsgruppe initiiert. Diese richtete sich an universitär eingebundene Wissenschaftler*innen, um gemeinsame Forschungsinteressen zu identifizieren. Deutlich wurde, dass Interdisziplinarität und Internationalität den Blick auf die eigene Forschungsperspektive schärfen kann, aber Zeit für Entwicklung eines gegenseitigen Verständnisses braucht.

Den zweiten Tag eröffnete Prof. Dr. Vasiliki Kantzara von der Panteion Unversität in Athen, Griechenland. Nachdem sie das Publikum mitgenommen hatte, sich zu vergegenwärtigen, wie die wirtschaftliche Krise in Griechenland seit 2012 zu Verarmung und Hunger geführt hatte, präsentierte Prof. Dr. Kantzara empirische Ergebnisse zur Gestaltung von Hilfeaktionen in Griechenland. Basierend auf historisch-wissenschaftlichen Annäherungen an Konzepte von Solidarität arbeitete Prof. Dr. Kantzara gesellschaftliche Dynamiken heraus, die sie in Griechenland nach Einführung des europäischen Sparprogramms identifizieren konnte. Mit großem Interesse folgten die Zuhörenden ihren anschließenden Ausführungen, wie die aufgebauten Solidaritätsstrukturen dazu beitrugen, die seit 2015 in großer Zahl in Griechenland ankommenden Geflüchteten zu unterstützen. Die anschließende Diskussion berührte aktuelle Herausforderungen wie den in Teilen politischen Stimmungswandel gegen Geflüchtete. Deutlich wurden Chancen eines kosmopolitischen Miteinanders, die trotz dieses Stimmungswandels fortbestehen.

Dr. Tania Sholina und Maria Guliajeva von der Nationalen Juril-Fedkowitsch-Universität in Czernowitz in der Ukraine präsentierten als Mitarbeitende von Prof. Dr. Iryna Petriuk Dynamiken des Empowerments von Binnenflüchtlingen und anderen Geflüchteten in der Ukraine. Die Übersetzung ins Deutsche übernahm Valia Vilchak von der International Relation Office der Universität. Die Referentinnen verdeutlichten u.a. die Lebenssituation internationaler Geflüchteter, die auf ihrem Weg in wohlhabendere europäische Staaten sich für einen Verbleib in der Ukraine entschieden, von Binnenflüchtlingen, die Schutz vor dem russisch-ukrainischen Krieg suchten, und von Ukrainier*innen, die auf der Suche nach Arbeit und wirtschaftlicher Sicherheit vorübergehend oder auf Dauer im Ausland lebten. Die anschließende Diskussion fokussierte auf den Konstruktionscharakter von Identität, der zugleich als Argumentationsfigur in Zeiten transnationaler Verwobenheit dekonstruiert wurde.

Weitere Vorträge lieferten Narine George, Prof. Dr. Ulrich Paetzold und Prof. Dr. Heidrun Herzberg von der BTU Cottbus-Senftenberg sowie Prof. Dr. Beata Orłowska von der Akademia im Jakuba Paradyza w Gorzowie Welkopolskim in Polen.

Wie es sich für eine sozialwissenschaftliche Tagung gehört, gab es am Ende mehr Fragen als Antworten. Auf der Basis einer Diskussion, die getragen war vom Gedanken eines Wissenschafts-Praxis-Transfers konnten Ansatzpunkte identifiziert werden, die Mehrdimensionalität transnationaler Verflechtungen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten für den Ausbau von Empowerment zu nutzen.