Städtebauliche Kriminalprävention
Kriminalpräventive Raumgestaltung
Das Ziel einer kriminalpräventiver Raumgestaltung ist die Gewährleistung von Sicherheit durch die Gestaltung des öffentlichen Raums. Im englischsprachigen Raum wird diese Strategie als Crime Prevention through Environmental Design (CPTED) seit über 30 Jahren angewandt und hat nachweisbare Erfolge bei der Prävention von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht, aber auch bei der Verhinderung terroristischer Gewalt erbracht. Der grundlegende Gedanke dieser Strategie ist es, dass kriminelle Tatgelegenheiten und kriminalitätsbezogene Unsicherheitsgefühle bei der Nutzung urbaner Räume erst durch Planung und Gestaltung geschaffen werden. In der Gewissheit, dass nicht jeder kriminelle und terroristische Angriff verhindert werden kann, zielen Ansätze der städtebaulichen Kriminalprävention auf eine Veränderung von Tatgelegenheitsstrukturen. Auf diese Weise wird die Verringerung des Kriminalitätsrisikos an einem bestimmten Ort zu einem umsetzbaren Ziel, das mit angemessenen Ressourcen erreicht werden kann. Mit einer solchen Zielvorgabe können dann auch einfache und effektive Lösungen schneller in Gang gesetzt werden. Denn das richtige Design und der wirksame Gebrauch der gebauten Umwelt können zu einer Reduzierung von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht und somit zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen. Schließlich verfolgt die Raumplanung auch das Ziel, soziales Verhalten zu berücksichtigen und nachhaltig zu planen. Wenn kriminelle Tatgelegenheiten und Angsträume in Städten geschaffen werden, dann lassen sie sich auch wieder beseitigen. Räumliche Kriminalprävention in einer optimalen Vollendung wäre die Kunst, dass ein vermeintlicher Straftäter auf Grund des Raumdesigns erst gar nicht in die Überlegung eintritt, dort eine Straftat zu planen. Ein angstfreier Raum wäre ein Raum zum Wohlfühlen und damit ein Raum mit Lebens- und Aufenthaltsqualität. In der Kombination wäre dies ein freiheitlicher Raum ohne Überwachung. Seine prinzipielle Offenheit aber macht den öffentlichen Raum zu einem Anschlagsziel, das von Terroristen als attraktiv gewertet wird.
Veranstaltungen im öffentlichen Raum werden daher durch massive Antiterrorsperren gesichert, was angesichts der Gefährdung nicht gänzlich zu vermeiden ist. Es kommt dabei jedoch auf die gesunde Mischung zwischen Gestaltung und Schutzmechanismus an. Kriminelles Handeln, insbesondere Angriffe auf Personen oder Sachen, Vandalismus und Diebstahl, sind auf das Vorhandensein von Tatgelegenheiten angewiesen. Deren Antizipation kann bereits in der Planungsphase berücksichtigt werden. Eine effektive Präventionsstrategie nimmt daher durch räumliche Gestaltung oder technische Maßnahmen Einfluss auf die Tatgelegenheitsstrukturen, um kriminelles Handeln zu verhindern oder zumindest das Schadensausmaß zu reduzieren.
Die CPTED-Strategie beruht im Wesentlichen auf drei Theorien und Ansätze der Erklärung von Kriminalität, die auch für die Entstehung terroristischer Gewalt wichtige Anhaltspunkte bieten:
- Rational Choice-Theorie
- Routine Activity-Ansatz
- Defensible Space-Ansatz
Rational Choice-Theorie
Die Rational Choice-Theorie fokussiert auf das Entscheidungsverhalten potenzieller Straftäter, deren Nützlichkeitserwägungen im Vorfeld der Tatbegehung. Dieser Ansatz wird zur Grundlage situationsbezogener Schutzmaßnahmen gemacht. Entsprechende Präventionsansätze gehen davon aus, dass Straftäter im Rahmen der Tatvorbereitung Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen, um auf dieser Grundlage zu beurteilen, ob eine Tat es wert ist, begangen zu werden. So wird ein potentieller Straftäter prüfen, ob er bei der Tatausführung beobachtet werden kann, wie leicht er das Tatziel erreichen kann und ob eine unerkannte Flucht nach der Tat möglich ist. In Bezug auf terroristische Angriffe im öffentlichen Raum ist es nicht nur bei Überfahrtaten erforderlich, die Opfer zu überraschen. Die Gelegenheit zum unbemerkten Einfahren in den Schutzbereich, zum unbeobachteten Ablegen eines Sprengsatzes, könnte aus Sicht eines Täters eine Grundvoraussetzung sein, um an einem bestimmten Ort eine Tat zu planen. Das Tatziel könnte sein, eine sehr hohe Anzahl von Opfern zu erreichen oder bestimmte Opfer zu treffen. Eine unerkannte Flucht ist für terroristische Angriffe immer dann von Bedeutung, wenn die Täter im Anschluss weitere Taten begehen wollen. Bei Taten im Affekt oder suizidalen Großschäden werden die Täter eher den eigenen Tod durch Suizid oder durch Suizide-by-Cops in die Anschlagsplanung einbeziehen.
Eine CPTED-Strategie zur Sicherung eines öffentlichen Platzes gegen Überfahrtaten könnte beispielsweise folgende Präventionsziele beinhalten:
- Ein unkontrolliertes Einfahren wird verhindert, angreifende Fahrzeuge können von Besuchern frühzeitig erkannt werden.
- Die Opferzahl wird möglichst geringgehalten, indem den Besuchern die Möglichkeit geboten wird, angreifenden Fahrzeugen auszuweichen.
- Ein Angreifer sollte erkennen, dass er bei seinem Angriff im Fahrzeug kampf- und fluchtunfähig, aber möglichst nicht getötet wird.
Mit diesen Zielen würden die Tatgelegenheiten und damit der Taterfolg für eine Überfahrtat deutlich minimiert, und der betroffene Raum könnte sich aus Tätersicht als nicht geeignet erweisen.
Die Rational Choice-Theorie bezieht sich aber auch auf die Auswahl der Tatmittel. Ein großer Lkw ohne GPS-Alarm-Überwachung, Spurhalte- und Bremsassistenten etc. steht nicht ohne weiteres zur Verfügung. Dieser kann erst durch aufwendige und umfangreiche Vorbereitungstaten in den Besitz eines Täters gelangen. Anders ist es mit kleineren Fahrzeugen, insbesondere Kasten-/Lieferfahrzeugen. Diese stehen leichter für eine Überfahrtat zur Verfügung (z.T. mit laufendem Motor während der Auslieferung an der Kundenadresse), teilweise waren sie sogar im Besitz der Täter. Die Wirkung der Taten hängt nicht mit der Größe der Fahrzeuge zusammen. So wurden in Europa seit 2017 nur noch Fahrzeuge mit einem zGG von unter 3,5 t für Überfahrtaten verwendet.
Routine Activity-Ansatz
Der Ansatz der Routineaktivitäten besagt, dass sich Kriminalität immer dort ereignet, wo drei Bedingungen in Raum und Zeit zusammenfallen: motivierte Täter*innen, Tatgelegenheiten und die Abwesenheit einer effektiven Kontrollinstanz. Straftaten passieren also dann, wenn Straftäter auf geeignete Opfer oder Beute treffen und Schutzkräfte nicht vorhanden sind. (Das alte Sprichwort gilt also immer noch: Gelegenheit macht Diebe.). Geeignet aus Sicht eines Überfahrtäters sind Opfer an einer Örtlichkeit, die nicht gesichert ist und die für die Opfer keine Fluchtmöglichkeit bietet.
Defensible Space-Ansatz (Verteidigungsfähiger Raum)
Dieser raumtheoretische Ansatz beinhaltet die Annahme, dass das persönliche Handeln für die Sicherheit im Raum abnehmen wird, je öffentlicher und damit anonymer der Raum wird. Wird die Zuständigkeit jeder Person für einen Raum klar definiert, könnte durch diese Person auch ein Handeln, das die Sicherheit erhöht, in halböffentlichen Räumen möglich sein. Je intensiver eine Person im öffentlichen Raum eine Gefahr für sich selbst identifiziert, desto eher wird sie bereit sein, zu handeln. Als Beispiel kann hier ein Schausteller auf einem Weihnachtsmarkt genannt werden, der die Gefahr einer Überfahrttat kennt und aus persönlichem Selbstschutz, aber auch aus wirtschaftlichem Interesse heraus eher bereit ist, seine Beobachtungen den Sicherheitskräften zu melden.
Nebenfolgen
Zu berücksichtigen sind die nicht beabsichtigten Nebenfolgen einer auf Situationskontrolle ausgerichteten Strategie der Kriminalprävention. Ein wiederkehrender Einwand gegen Ansätze der städtebaulichen Kriminalprävention ist, dass durch die Beeinflussung von Tatgelegenheitsstrukturen, die Kriminalität oftmals nur lokal reduziert, darüber hinaus jedoch vorrangig verlagert bzw. verdrängt werde. Evaluationsstudien konnten jedoch zeigen, dass die Deliktsverlagerung (Displacement) keine notwendige Konsequenz städtebaulicher Präventionsmaßnahmen sei. Stattdessen ließ sich zeigen, dass die gewählten Präventionsprogramme sogar einen vorteilhaften Effekt auf benachbarte Kontrollgebiete oder auch auf andere Ziele ausübten. Vor dem Hintergrund der Rational Choice-Theorie resultieren derartige zielübergreifende Gewinne (Diffusion of Benefits) einerseits aus der Unsicherheit potentieller Täter gegenüber einem erhöhten Entdeckungs- und Bestrafungsrisiko und andererseits aus dem subjektiven Empfinden, dass sich die Begehung von Straftaten nicht mehr lohnen könne.
Der Routine Activity-Ansatz betont die Bedeutung einer effektiven Kontrollinstanz für die Prävention von Kriminalität und terroristischer Gewalt. So soll der sichtbare Einsatz massiver Polizeipräsenz potenzielle Gefährder abschrecken und symbolisch Sicherheit kommunizieren. Im Gesamtkontext der Einflüsse auf das subjektive Sicherheitsempfinden deuten die Befunde einer Studie des Landeskriminalamts Berlin jedoch darauf hin, dass die Sichtbarkeit von Polizeikräften mit Maschinenpistole auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz überwiegend als wenig beziehungsweise gar nicht hilfreich erachtet wird und sichtbare polizeiliche Maßnahmen eine eher untergeordnete Rolle für das Sicherheitsgefühl der Besucher spielen.