Überfahrtat: Begriff und Phänomenologie

Begriff:

Angriff auf Personen mittels mehrspurigen Kraftfahrzeugs in Tötungsabsicht.

 

Phänomenologie

Erscheinungsformen – Tatbegehungsweisen – Tatmittel

Die häufigste vorkommende Form der Kollision eines Fahrzeugs mit zu Fuß Gehenden wird in den Unfallstatistiken als „Abkommen von der Fahrbahn mit verletzten oder getöteten zu Fuß Gehenden“ erfasst. Grund für ein solches Unfallgeschehen ist sehr häufig eine nicht angepasste Geschwindigkeit (Autorennen), Desorientierung, ein sonstiger medizinischer Notfall oder Substanzmittelmissbrauch. Grundsätzlich handelt es sich meistens um fahrlässig verursachte Szenarien. Teilnehmer illegaler Autorennen wurden allerdings bereits als Mörder verurteilt, da sie den Tod anderer Menschen „billigend in Kauf nahmen, also mit bedingtem Tötungsvorsatz handelten“[1].

Amokfahrt

Eine Überfahrtat in Form einer sog. Amokfahrt, ist „ein beabsichtigter Angriff mithilfe eines Fahrzeuges als Tatwaffe, bei dem die Tötung oder Verletzung mehrerer zufällig oder gezielt ausgewählter Personen beabsichtigt oder vollendet wird.“[2] Amokfahrten entstanden mehrfach spontan und/oder aus einem kurz zuvor stattgefundenen Ereignis heraus. Die Gründe können dabei vielfältig sein; erfolgen aber oft aus niedrigen Beweggründen, z. B. aus Rache gegenüber einem Türsteher, der den Einlass verwehrte. Meist versucht die tatausführende Person nach der Tat zu fliehen.[3] Interventionskräfte haben eine abschreckende Wirkung.

Amoktat

Wird dagegen eine geplante Überfahrtat als Amoktat begangen, richtet sich die Gewalt gegen möglichst viele Opfer und endet oft erst mit dem Tod des Täters.[4] Während der Tatausführung wird die Wahrscheinlichkeit, beim Tatablauf durch die Beschädigungen des Tatfahrzeugs oder durch das Eingreifen von Interventionskräften vom Täter weitgehend verdrängt bzw. ignoriert, da eine hohe Opferzahl angestrebt wird. Als Abschluss der Amoktat versucht der Täter häufig, von den Interventionskräften getötet zu werden oder den Suizid mittels einer Waffe durchzuführen. Amoktäter, die Überfahrtaten aus nichtterroristischen Gründen begehen, setzten mitgeführte Waffen mehrfach gegen sich selbst und Interventionskräften ein.

Terroristischer Angriff

Ein terroristischer Angriff unterscheidet sich zur Amoktat hauptsächlich durch das verfolgte Ziel. Dabei geht es darum, die hohe Öffentlichkeitswirkung zur Unterstützung eines politischen Ziels zu nutzen. Daher kommt bei derartigen Taten der Auswahl von Tatort und Veranstaltung aus Tätersicht eine entscheidende Bedeutung zu. Auch eine möglichst hohe Anzahl von Opfern spielt eine ausschlaggebende Rolle. Der Überfahrtat geht daher eine präzise Tatvorbereitung voraus, die sich speziell auf die Auswahl des Tatortes und der Veranstaltung bezieht. Zusätzlich wird häufig eine Phase nach der Überfahrtat geplant, die weitere Opfer vorsieht. Untrainierten Terroristen gelingt es im Stress der Tat nicht, die geplante Anschlusstat voll auszuführen. Auch vermeiden sie den Kontakt zu Interventionskräften. Dagegen gehen paramilitärisch ausgebildete Terroristen auch in der Nachtatphase gezielt gegen Interventionskräfte vor.

Tatvarianten

Bis auf den Anschlag am Breitscheidplatz erfolgten Überfahrtaten in der Form, dass langsam in den Schutzbereich eingefahren und erst im Schutzbereich beschleunigt wurde. Alle Überfahrtaten verfolgen das Ziel, dass der Anschlag als Überraschungsangriff für die Opfer plötzlich und unerwartet erfolgt, so dass eine Flucht nicht mehr möglich ist.

Auswahl von Tatfahrzeugen

Die Auswertung der Tatgeschehen haben einen engen Bezug zur Kriminalitätstheorie „Rational Choice“[5] und zeigen, dass eine tatausführende Person häufig den für sie erkennbar geringsten Aufwand wählt (Erlangung des Tatmittels, hier: Tatfahrzeug), um ihr Ziel zu erreichen (öffentlichkeitswirksam eine möglichst hohe Opferzahl zu verursachen). Dieses zeigt sich bei der Auswahl eines Tatfahrzeuges. So stehen kleinere Fahrzeuge, wie beispielsweise von Lieferdiensten (gelegentlich sogar mit laufendem Motor), eher zu Verfügung. Größere Fahrzeuge, wie zum Beispiel Sattelzugmaschinen mit Auflieger, können dagegen nur mit erheblichem Aufwand in der Tatvorbereitungsphase beschafft werden. Je länger die Tatvorbereitung dauert, je höher ist das Entdeckungsrisiko.


[1]https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2019/03/berlin-kudamm-raser-urteil-gefaellt.html

[2] Nitsche, K. (2018). Amokfahrten: Eine Untersuchung im Hinblick auf Phänomenologie, Klassifikation und die Warnverhaltenstypologie. Unveröffentlichte Masterarbeit, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Seite 62

[3] Amokfahrten in Deutschland - Eine phänomenologische Annäherung und Untersuchung der Warnverhaltenstypologie in: forum kriminalprävention, Ausgabe 02/2020, Seiten 22-26 im Internet: https://www.forum-kriminalpraevention.de/amokfahrten-in-deutschland.html

[4] Polizei NRW- Amoktaten: Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle - Analysen Nr. 3/2007     

[5]https://www.kriminologie-online.com/kriminalitaetstheorien/neutralisation-und-rational-choice/