Gemeinschaft und Wärme

Der linksalternative Heimat-Topos im Kontext der IBA 84/87
 

Wenn Alexander Mitscherlich von der »Unwirtlichkeit unserer Städte« spricht, meint er damit auch ein entfremdetes Wohnen – ein Wohnen ohne Identität und Mitgestaltung, das in der Zeit des Nachkriegsfunktionalismus und der Wohnsilos akut wurde. Diese Krise des Bauens war auch immer mit einer übergeordneten gesellschaftlichen Problemlage gekoppelt, die Ernst Bloch in seinem Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung bereits in den 1930 und 1940er Jahren konstatierte und sich später in der Nachkriegszeit vollends zuspitzte. Die funktionalistische Stadtplanung der Moderne »reflektiert und verdoppelt die eiskalte Automatenwelt der Warengesellschaft, ihrer Entfremdung, ihrer arbeitsteiligen Menschen, ihrer abstrakten Technik.«

Ernst Blochs Schriften hatten Einfluss auf den utopisch-revolutionären Diskurs der 1968er-Bewegung und der in den Folgejahrzehnten aufkommenden Alternativbewegungen. In diesem Zusammenhang sind die weltanschaulichen und lebenspraktischen Umbrüche der linken Szene der 1970er Jahre interessant. Die neue Generation der Linken glaubte nicht mehr an eine allumfassende Weltrevolution unter der Führung der Arbeiterklasse. Stattdessen sollten neue Inseln des Zusammenlebens geschaffen werden. Die linksalternative »Wärme« jener Gemeinschaften, welche mit Ernst Blochs Begriff des Wärmestroms zum Ausdruck kommt, war der Gegenentwurf gegen die kalte technisierte Gesellschaft. Mit dem Wärmestrom ging ein neues Bewusstsein für die vor Ort lebenden Gemeinschaften, für die Aneignung neuer Lebensräume und für das Lokale einher – Aspekte, die unter die progressive Begriffsbestimmung des Heimat-Topos der 1980er Jahre subsummiert werden können und sich in der Berliner Projektekultur der 1970er bis 1980er Jahre zeigen. Ein architektonischer Kulminationspunkt war hierbei die Internationale Bauausstellung 1984/87 (IBA 84/87) West-Berlins: Ihr Altbau-Bereich steht in Verbindung mit der Projektekultur der Alternativbewegungen jener Jahre.

Ziel dieses Forschungsvorhabens ist, das Diskursfeld des 1980er-Jahre-Heimat-Topos im Kontext der IBA 84/87 zu analysieren und in diesem Zusammenhang die räumlich-gemeinschaftlichen Qualitäten der Architekturprojekte zu untersuchen, die im Rahmen der Bauausstellung entstanden sind. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf jener progressiven Begriffsbestimmung, die mit Ernst Blochs Idee des Wärmestroms in Verbindung steht. Es stellt sich die Frage, in welcher Weise die aus den Alternativbewegungen aufkommenden Ideen von Gemeinschaft und Ortsbezug einen Einfluss auf die Architektur und Gesamtplanung der IBA 84/87 hatten. Hierfür werden unterschiedliche Diskurspositionen des Heimat-Topos in Fachzeitschriften der Stadtplanung und Architektur analysiert und Medien der bundes-
republikanischen linken Presse und Alltagskultur untersucht. Die zum Ausdruck kommenden Haltungen werden im Kontext geisteswissenschaftlicher Werke jener Zeit und der IBA-Planungsgeschichte ausgewertet, um schließlich räumlich-architektonische Charakteristika der IBA-Projekte herauskristallisieren zu können, die mit den Positionen der Diskurse in Verbindung stehen.

Jonathan Metzner ist akademischer Mitarbeiter im Fachgebiet Architekturtheorie der BTU Cottbus-Senftenberg. Nach dem Architekturstudium in Dresden, Berlin und Cottbus arbeitete er in verschiedenen Planungsbüros der Architektur und Stadtentwicklung. Zuletzt online erschienen: »Platte Postmodern. Das Kolonnadenviertel Leipzig«, in: Daidalos. Magazin für Architektur, Kunst & Kultur, 11/2024 (mit Sylvia Claus).

Kontakt
jonathan.metzner(at)b-tu.de

Betreuerin
Prof. Dr. Sylvia Claus

Zweitbetreuer
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Beginn
WiSe 2022