Gesundheits- und Bewegungsförderung im öffentlichen Raum Am Beispiel der Zwickauer Innenstadt

Inwieweit können niederschwellige Bewegungsangebote im öffentlichen Raum die Bereitschaft für körperliche Aktivität erhöhen?

In den letzten Jahren ist eine stetige Zunahme von körperlicher Inaktivität zu verzeichnen. Diesem Umstand ist ein Anstieg chronischer Krankheiten geschuldet. Nicht zuletzt durch die sich ändernden Lebensbedingungen hat ebenso das Bewegungsverhalten Einfluss auf die Sterblichkeit.  Ein entscheidender Faktor dabei ist die gebaute Umwelt, die das Bewegungshalten maßgeblich beeinflusst.

Anhand einer passgenauen Analyse soll die Transformation öffentlicher Räume hin zu Bewegungsräumen gelingen. Die Erschließung städtebaulicher Rahmenbedingungen richtet sich an bewegungsaktivierenden Elementen, die der Gesundheitsförderung dienen aus. Eine gezielte Ergänzung von Bewegungsangeboten basierend auf vielfältigen Modulen soll die Stadt Zwickau „in Bewegung setzen“.

Um die Bereitschaft für Bewegung im öffentlichen Raum zu erhöhen, sind Maßnahmen auf strategischer wie auch auf städtebaulicher Ebene Voraussetzungen. Dabei steht die Entwicklung sektorenübergreifender Strategien im Vordergrund, die auf die Vernetzung von Akteuren und ein ganzheitliches Konzept setzen. Die Bewegungsförderung steht in engem Zusammenhang mit sozialen, gesundheitlichen und umweltbedingten Themen und kann nicht separat betrachtet werden. Um Bewegung im öffentlichen Raum zu fördern, sollten Gemeinwesenträger in den Prozess eingebunden werden, da diese in Beziehung zu den Menschen im Quartier stehen. Der Prozesse sollte transparent und partizipativ gestaltet sein, um Bedarfe der Bevölkerung zu berücksichtigen. Da sich generell die bereits aktiven Bevölkerungsgruppen beteiligen, sollen Beteiligungsformate und Interventionen auf vornehmlich inaktive Menschen ausrichtet werden.  Neben der Prozessgestaltung ist die Herstellung einer bewegungsfreundlichen Umgebung von Relevanz. Interventionen an Orten, die nicht für den Fußverkehr oder am menschlichen Maßstab ausgerichtet sind, sind nicht wirkungsvoll.

Ein bewegungsförderndes Umfeld setzt eine gute Erreichbarkeit voraus, sowohl mit ÖPNV wie auch durch ein qualitatives, zusammenhängendes Fuß- und Radverkehrsnetz. Hier ist das Stichwort der Stadt der kurzen Wege zu nennen. Das Verkehrsaufkommen sollte hingegen gering sein. Ein weiterer Aspekt ist die Aufenthaltsqualität, die sich unter anderem aus der Gestaltung, Ausstattung, Begrünung, Raumstruktur und der Nutzungsvielfalt zusammensetzt. Räumlich sollten gleichermaßen Orte des Rückzugs und des sozialen Austauschs bereitgehalten werden. Die Wahrnehmung des Raums wird zudem vom Sicherheitsempfinden, der Orientierung und Beleuchtungssituation geprägt. Für eine flüssige Fortbewegung im Raum stellt zudem die Barrierefreiheit ein wichtiges Thema dar, da Barrieren zum einen Bevölkerungsgruppen ausschließen und zum anderen Bereiche voneinander trennen. Sind die strategische und planerische Ebene aktivierend, kann das Stadtbild um Interventionen ergänzt werden. Dabei sollten die Bewegungsangebote an Orten platziert werden, wo sich die Menschen aufhalten. Neben Angeboten in der Innenstadt sind auch Interventionen in den einzelnen Stadtteilen förderlich, da sie die Präsenz im Raum erhöhen und die Hemmschwelle der Teilnahme reduzieren. Temporäre Interventionen dienen als Türöffner und sind als Werbung nutzbar. Hierzu zählen beispielsweise Aktionstage. Gleichzeitig braucht es für alle Zielgruppen langfristige Angebote, die eine Kontinuität evozieren. Bauliche Maßnahmen sollten einen hohen Aufforderungscharakter aufweisen. Die Pflege und Erhaltung sind maßgeblich für den Erfolg.

Gebiet 1: Unterführung

Das erste Projektgebiet zeigt auf, inwieweit städtische Unterführungen und deren Umfeld durch eine sportliche Nutzung ergänzt werden können. Die Unterführung ist als Kategorisierung interessant, da Wandlungsprozesse im städtischen Kontext auf eine ebenerdige Querung und die Aufwertung von Straßenräumen setzen, wodurch Unterführungen ihre zugedachte Nutzung verlieren. Im Hinblick auf die Verringerung öffentlicher Räume im städtischen Kontext durch die Leitbilder der doppelten Innenentwicklung gilt es, vorhandene öffentliche Räume zu schützen. Ziel sollte die Qualifizierung und eine neue Nutzungszuführung sein. Mit einer aktiven öffentlichen Nutzung können die sonst durch Verkehrsbereiche geprägten Räume multifunktionaler werden und der Belebung der öffentlichen Räume dienen. Gleichzeitig werden der soziale Austausch und die Chancengerechtigkeit durch neue kostenlose und frei zugängliche Angebote gestärkt. Die sportliche Nutzung fördert Kommunikation und gegenseitige Rücksichtnahme. Für das Konzept sind gleichermaßen die Treppenanlagen wie auch der direkte Bereich der Unterführung relevant.

Bild 1: Gebiet 1 Unterführung

Gebiet 2: Einkaufsstraße

Die Kategorie der Einkaufsstraße stellt vor allem für Innenstädte einen bedeutenden öffentlichen Raum dar, da sie das öffentliche Leben und den sozialen Austausch fördert. Auch als Standortfaktor ist ein funktionierender Einzelhandel obligatorisch, da er sowohl über die Wohnsituation wie auch über die Wirtschaftskraft im Stadtkern bestimmt. Wachsender Leerstand und unattraktive Räume stellen Ursachen toter Innenstädte dar. Aufgrund dessen gilt es, die vorhandenen Einkaufsstraßen in ihrer Funktion zu schützen und für den Fußgängerverkehr qualitativ aufzuwerten. Das Kaufverhalten wird dabei nicht nur vom vorhandenen Angebot und der Diversität bestimmt, sondern auch von der Atmosphäre des Ortes und der Aufenthaltsqualität.

Das Konzept für die Einkaufsstraße setzt eine ebenerdige und zentrale Anordnung der Bewegungsintervention voraus. Um den Charakter der Einkaufsstraße aufzunehmen, passt sich das Angebot dem langsamen Tempo der Passanten an. Gleichzeitig wird das Ziel verfolgt, die Aufmerksamkeit auf die vorhandenen Geschäfte zu erhöhen und sie durch die Hervorhebung der Verbindung zwischen Öffentlichem Raum und Erdgeschosszone langfristig zu sichern.

Bild 2: Gebiet 2 Einkaufsstraße

Bild 3: Konzept

Gebiet 3: Baulücke

Mit der Kategorisierung der Baulücke wird veranschaulicht, wie Baulücken einer neuen Nutzung zugeführt werden können und als Potenzialflächen den öffentlichen Raum qualitativ erweitern. Im Kontrast zum Leitbild der doppelten Innenentwicklung ist der Entwurf nicht auf eine bauliche Nachverdichtung ausgerichtet. Vielmehr soll er zeigen, dass räumliche Qualitäten und eine Raumstruktur auch durch eine freiräumliche und sportliche Nutzung erzeugt werden können. Da im Zuge der Nachverdichtung die Anzahl an Freiräumen verringert wird, gilt es kleine Nischen zu schützen und in ihnen verschiedene Nutzungen zusammenzuführen.

Hierfür werden zunächst die raumgebenden Kanten des ehemaligen Gebäudes formal aufgegriffen, um ein authentisches Raumgefühl zu erzeugen. Die Ecke am Kreuzungsbereich ist maßgebendes Element. Wesentlicher Aspekt des konzeptionellen Ansatzes ist die Erhaltung der Streetart-Zeichnungen, die dem Ort Charakter geben und als Kulisse dienen.

Bild 4: Gebiet 3 Baulücke

Bild 5: Konzept

Gebiet 4: Wohnstraße

Die Kategorisierung der Wohnstraße ist als aktiver Bewegungsraum nicht allein für Innenstädte relevant. Wohnstraßen stellen die Orte dar, in den Menschen leben, ihre Freizeit verbringen und sich entfalten. Damit haben sie einen entscheidenden Einfluss auf die Bewohner. Qualitative öffentliche Räume fördern die Interaktion und bilden ein Quartier mit dem sich die Menschen identifizieren. Bei mangelhafter Ausgestaltungen oder Barrieren wird soziale Isolation verstärkt. Im Hinblick auf die Notwendigkeit körperlicher Aktivität gilt es, die Menschen dort zu erreichen, wo sie ihre Lebensweise manifestieren. Bewegungsinterventionen müssen folglich vor der Haustür ansetzen.

Das Konzept fokussiert sich räumlich auf die Grünflächen vor dem Wohngebäude, die um eine Bewegungsintervention ergänzt wird. Der Raum wird für die Anlegung eines Naturpfades genutzt. Dieser verläuft begleitend zum normalen Fußweg, wodurch die Hemmschwelle der Nutzung geringgehalten wird. Mit dem Pfad sollen die Bewohner soll die Präsenz natürlicher Untergründe erhöht werden.

Bild 6: Gebiet 4 Wohnstraße

Quellen

Pfeifer, Klaus; Banzer, Winfried, et al. (2016): Empfehlungen für Bewegung. In: Rütten, Alfred; Pfeifer, Klaus (Hrsg.): Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung. Erlangen-Nürnberg: FAU Erlangen-Nürnberg, S. 19–64.

Weltgesundheitsorganisation (WHO) (1986): Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. Ottawa: WHO Regional Office for Europe.

Baumeister, Hendrik; Rüdiger, Andrea, et al. (2019): Leitfaden Gesunde Stadt. Hinweise für Stellungnahmen zur Stadtentwicklung aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst. Bielefeld: Landeszentrum Gesundheit Nordrhrein-Westfalen.

Bundesstiftung Baukultur (BSBK); Nagel, Reiner; Rukschcio, Belinda (Hrsg.) (2020): Baukultur Bericht 2020/21. Öffentliche Räume. Potsdam: Selbstverlag; Bundesstifung Baukultur.