Bardowick, ein mittelalterliches Leprahospital

Die mittelalterliche Leproserie der Stadt Lüneburg, der der sog. Nikolaihof, liegt sechs Kilometer außerhalb der einstigen Stadtmauer, am Rande der Ortschaft Bardowick. Die erste urkundliche Erwähnung des Hospitals datiert aus dem Jahr 1251, als der Bischof von Verden den "armen Siechen" Zehnteinnahmen bestätigte. Die Bausubstanz des Leprosoriums reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück, aus dem die in der jetzigen Kapelle verbauten Reste des Vorgängerbaus und das heute nach erhaltene, im Jahr 1316 errichtete Alte Männerhaus stammen. Zu der Anlage gehören noch acht weitere Gebäude, wie das Frauenhaus, das Pastorat und das Provisorat, die in der Zeit vom 16. bis ins 18. Jahrhundert errichtet wurden. Der ausgezeichnete Erhaltungszustand des Hospitalkomplexes sowie die außergewöhnlich umfangreiche schriftliche Überlieferung machen den Nikolaihof zum Musterbeispiel für die Erforschung eines mittelalterlichen Leprosoriums. Es wird die Entwicklungsgeschichte der gesamten Anlage erarbeitet und die mittelalterliche Bausubstanz im Einzelnen bauhistorisch untersucht. Darüber hinaus werden diese Ergebnisse in den sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Kontext eingebettet.

Aufschlussreiche Quellen für die soziale Stellung des Nikolaihospitals sind die aus der ersten Hälfte des 14. und der Mitte des 15. Jahrhunderts überlieferten Anniversarbücher sowie die Testamente. Sie geben Auskunft über den Personenkreis, der dem Leprosorium fromme Stiftungen zukommen und für das eigene Seelenheil Memorien abhalten ließ. Neben Angestellten des Hospitals und einfachen Bürgern lassen sich hier auch etliche Mitglieder der Lüneburger Ratsfamilien nachweisen. Vermutlich einhergehend mit dem Funktionswandel vom Leprahospital zur Pfründneranstalt ließen die frommen Zuwendungen nach. Diesem schwindenden Interesse konnte jedoch mit dem eindrucksvollen Umbau der Kapelle 1435 allem Anschein nach zumindest kurzfristig entgegengewirkt werden.

Über die Insassen des Hospitals unterrichten die Urkunden sowie die ab 1410 überlieferten Rechnungsbücher des Nikolaihofs. Hier finden sich Aufnahmemodalitäten, Namen von Bewohnern und Angaben zu deren Anzahl, die auf ein vergleichsweise sehr groß angelegtes Leprosenhaus hindeuten. Erhebliche Differenzen bei den Einkaufspreisen für die Aufnahme ins Hospital weisen auf sehr unterschiedlich ausgestattete Pfründen hin. In dieses Bild fügen sich auch die einzeln stehenden Häuschen für die sog. Herrenpfründner ein, die nicht mit den anderen Insassen gemeinsam im Frauen- bzw. Männerhaus wohnten. Über die Versorgung der Bewohner mit Lebensmitteln, Kleidung und anderem informieren ebenfalls die Rechnungsbücher. Sie zeigen den recht hohen Lebensstandard der Spitalbewohner, der sich zugleich am baulichen Befund ablesen lässt, deutlich auf.

Die Kosten für diesen gehobenen Standard bestritt das Hospital aus Einkünften aus Salzgütern, Landbesitz und Renten verschiedener Art. Diesen Besitz erwarb der Nikolaihof zunächst vor allem aus Schenkungen, später vermehrt durch aktiven Zukauf. Er zählte sogar zu den Lüneburger Pfannenherren.

Bearbeiter:

Prof. Dr.-Ing. habil. Alexandra Druzynski von Boetticher

Marie Ulrike Schmidt M.A.

Kooperationspartner:

Historisches Seminar der Leibniz Universität Hannover

Fördernde Institutionen:

Fritz Thyssen Stiftung

Laufzeit:

seit 2003