Othmar Hermann Ammann (1879 – 1965) Erfindungen und genutzte Technologien

Die von Ammann für seinen Brückenbau entworfenen und verwendeten Baugruppen stellen keine eigenständigen Erfindungen dar, sondern sind „nur“ bis ins Extreme weiterentwickelte technische Lösungen. Ammanns Theorien und Erkenntnisse im Bau von großen Hängebrücken sind bis heute wegweisende Grundlagen des Brückenbaus. Bei seinen statischen Auseinandersetzungen mit der George Washington Bridge erkannte Ammann, dass bei Hängebrücken dieser Größenordnung sowohl das Verhältnis der Verkehrslasten zum Eigengewicht als auch die Gefährdung der Konstruktion durch Schwingungen so klein sind, dass man auf eine aufwändige Versteifungskonstruktion verzichten kann. 

Die George-Washington-Brücke mit zwei Fahrbahnebenen hatte Ammann ausschließlich mit weichen, „biegsamen“ Versteifungsträgern geplant, was bei vergleichbaren Hängebrücken-Projekten bis dahin nicht üblich war. Das führte zu großen Gewichtseinsparungen, da jetzt weniger Last von den Kabeln, Türmen und Verankerungen getragen bzw. gehalten werden musste. So beträgt das Gewicht der Versteifungsträger nur 6 % der ganzen ständigen Last. Üblich waren zu jener Zeit aber 24-30 %. Steifigkeit erzeugte man hier indirekt vor allem über das Gewicht der Kabel und Hänger, das nun das 5,3-fache des Gewichts der Versteifungsträger betrug. Bisher war es hingegen üblich, dass die Versteifungsträger zusammen schwerer waren als alle Kabel und Hänger. [Stüssi 1974, S. 44f] 

Das Konstruktionsverfahren zum Bau des Bogens der Bayonne Bridge stellte eine bis dahin extreme Weiterentwicklung dar. In ihr wurden erstmals riesige bereits vormontierte Bogensegmente bis zum vollständigen Bogen zusammengesetzt (siehe Abb. 4.01). Außerdem war es wegen des überführten Schifffahrtkanals nötig, den Bogen asymmetrisch zu errichten. Der Bogenschluss lag sechs Felder vom Bogenscheitel entfernt, was zu einem größeren Horizontalschub führen musste. Deshalb ließ Ammann am kürzeren Bogenende eine Kraft in den Bogen einpressen. [Stüssi 1974, S. 55, 59]

Die Türme der Bronx-Whitestone Bridge wurden als vollwandige zweistielige Rahmen und die horizontalen Versteifungsträger als vollwandige Balken ausgebildet. Dieses Bauprinzip wurde später auch bei der Verrazano Narrows Bridge angewendet (Abb. 4.02). Allerdings musste O.H. Ammann, nach dem Einsturz der Tacoma Narrows Bridge, Tacoma, Washington, USA im Jahre 1940 (Abb. 4.03) und der von ihn im Zusammenarbeit mit Theodore von Kármán (1881-1963) und Glenn B. Woodruff durchgeführten Untersuchung der Einsturzursache, 1946 eine zusätzliche Versteifung der Fahrbahn durchführen. [MEIER 2003; STÜSSI 1974, S. 63-68] 

An der Untersuchung von Brückeneinstürzen war Ammann bereits ab 1907 beteiligt. Damals wurde sein Vorgesetzter, F.C. Kunz, mit der Untersuchung des Einsturzes der Québec-Brücke bei Lévis, Québec, Kanada betraut. In jener Zeit arbeitete Ammann an einer Theorie zur Aussteifung von Druckstäben bei Ausleger-Fachwerkbrücken mit. Die Untersuchung des Einsturzes der Tacoma Narrows Bridge mit Kármán und Woodruff, welche in einem Regierungsbericht 1941 niedergelegt wurde, hatte ihn dazu veranlasst, sich eigenständig mit dem Problem der aerodynamischen Stabilität von Hängebrücken zu beschäftigen. Er untersuchte eine große Reihe von eingestürzten und bestehenden Hängebrücken nach ihren konstruktiven Merkmalen und verglich diese mit den aerodynamischen Verhaltensweisen der Brücken. Daraus schlussfolgerte Ammann den Steifigkeitsindex (stiffness index), also jene Kenngröße, die für die Stabilität von Hängebrücken steht und die dem Konstrukteur bereits zu Beginn eines Entwurfs Aufschluss über die Gefahr der Instabilität geben soll. [STÜSSI 1974, S. 68-73]