Ulrich Müther (1934 – 2007) Biografie

Biografie
Ulrich Müther
1934Geboren am 21. Juli in Binz (Rügen)
1947Lehre als Zimmermann bis 1950.
1950Gesellentätigkeit
1951Dreijähriges Bauingenieurstudium an der Ingenieurschule Neustrelitz.
1954Anstellung im Entwurfsbüro für Industriebau Berlin bis 1958.
1956Bauingenieurfernstudium an der Technischen Universität Dresden bis 1963.
1958Technischer Leiter des familieneigenen Bauunternehmens.
1963Diplomarbeit: „Hyperbolische Paraboloide".
1963Bis 1996 Berechnung und Errichtung von über 80 Hyparschalentragwerken. Darunter acht außerhalb der DDR.
1995Gründung der Christian-Müther-Stiftung – Segeln mit asthmakranken Kindern. Benannt nach seinem verstorbenen Sohn Christian, der kurz nach der Wende einem Asthmaanfall erlag.
2007Verstorben am 21. August in Binz (Rügen).
Geschichte des Familienunternehmens
1922vom Vater Ulrich Müthers.
1950Anfang der 50er Jahre im Rahmen der „Aktion Rose“ durch den Staat enteignet.
1953Unternehmensrückgabe am 17. Juni.
1960Rechtsform des Unternehmens: Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH Bau, Binz).
1990Rückübertragung des Betriebs an Ulrich Müther.
1999Konkurs des Unternehmens.
Schalenbau in der DDR

Ulrich Müther hat von Binz auf Rügen aus mit seinen filigranen Flächentragwerken DDR-Architekturgeschichte geschrieben. Innerhalb von dreißig Jahren sind von Müther über 80 Schalenbauten im In- und Ausland gebaut worden. Zum großen Teil wirkte er nicht nur mit als ausführender Ingenieur, sondern plante die Tragwerke auch selbst.

Obwohl schon Mitte der 20er Jahre die Schalenbauweise entwickelt wurde und mit ihr erfolgreich Bauwerke umgesetzt wurden, blieb es in der DDR lange still um dieser Art des Bauens. Erst in den 60er Jahren wurde der Schalenbau, vor allem wegen der Entwicklung neuer Berechnungsverfahren, wieder aufgegriffen. Ein Grund für die Popularität der Schalenbauweise in der DDR mochte mit der anhaltenden Materialknappheit in dem Land zusammenhängen. Aber auch die Möglichkeit zur Umsetzung einer ästhetisch schönen Form, die durch die Bauweise möglich war, spielte hier sicher eine entscheidende Rolle.

Müthers Ausbildungszeit

1934 wurde Ulrich Müther als Sohn eines Bauunternehmers in Binz geboren. Schon als kleiner Junge wollte Müther Architekt und Ingenieur werden. Doch als Sohn eines Unternehmers hatte er aufgrund des kommunistischen Systems der DDR einige Schwierigkeiten auf seinem Weg zu überwinden. Nach dem Besuch der Volksschule erhielt er zunächst keinen Studienplatz. Ausweichend erlernte er den Beruf des Zimmermanns und arbeitete ein Jahr als Geselle, um die Voraussetzungen für einen Studienplatz zu erfüllen. 1951 konnte er sich dann als Student an der Ingenieurschule Neustrelitz einschreiben. Nach erfolgreichem Abschluss ging Ulrich Müther für vier Jahre nach Berlin und sammelte dort Praxiserfahrung bei der Planung von Kraftwerken. Nebenbei bemühte er sich um einen Fernstudienplatz an der TU Dresden. Dieser war zur damaligen Zeit nur Arbeitern vorbehalten. Da Müther allerdings auch Zimmermann war, erhielt er den Fernstudienplatz im Fach Bauingenieurwesen. Von den 180 Studienbeginnern schlossen im Jahr 1963 nur 10 mit dem Diplom ab. Einer von diesen war Müther, der sich in seiner Abschlussarbeit mit der Berechnung von hyparbolischen Paraboloiden beschäftigte.

Das Familienunternehmen

In den 50er Jahren wurde der Familienbetrieb im Zuge der „Aktion Rose“ enteignet, bei der auch zahlreiche Pensionsbesitzer und Privatunternehmer auf Rügen ihre Häuser verloren. Ihnen wurde Spekulantentum vorgeworfen. Kurze Zeit später, nach den Arbeiterunruhen vom 17. Juni 1953, erhielt die Familie das Bauunternehmen zunächst zurück. 1958 übernahm Müther die technische Leitung, bis 1960 das Unternehmen in eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH Bau Binz) und 1972 in einen Volkseigenen Betrieb (VEB Spezialbau Rügen) umgewandelt wurde. Als PGH-Vorsitzender und späterer Direktor des VEB war Müther in den kommenden 30 Jahren für diverse Bauprojekte zuständig – anfangs nur im norddeutschen Raum, später in der gesamten DDR sowie im Ausland. Müther richtete die Firma kontinuierlich auf Spezialbetonbau aus, was wohl verhinderte, dass sie in ein Kombinat eingegliedert wurde, womit sie ihre Sonderstellung verloren hätte.

Arbeitsleben

Müthers 1963 angefertigte Diplomarbeit wurde in Binz realisiert. Der Mehrzwecksaal eines Ferienheims („Haus der Stahlwerker“, Fertigstellung 1964) sollte von einer Hyparschale überspannt werden. Für seinen ersten Schalenbau, der zugleich der erste in der DDR war, benötigte Müther 14 Monate allein für dessen Berechnung. Zu diesem Zeitpunkt war Müther 27 Jahre alt und durch seine hervorragende Ausbildung in Dresden hatte er nun die Möglichkeit etwas Besonderes vorzulegen. Dies war ihm wichtig, da er zeigen wollte, dass etwas aus ihm geworden war, obwohl ihm derart viele Hindernisse in den Weg gelegt wurden.

Seine Schalenbaukonstruktionen fanden vorwiegend Anwendung im Gaststättenbereich, wie z.B. dem „Teepott“ in Warnemünde (1967, mit Erich Kaufmann und Hans Fleischhauer) oder dem „Ahornblatt“ in Berlin-Mitte (1973), welches allerdings im Jahr 2000 abgerissen wurde, was für heftige Diskussionen sorgte. In den 80er Jahren entwickelte Müther viele Schalenentwürfe speziell für Planetariumsbauten, welche zu einem regelrechten Exportschlager der DDR wurden. Obwohl die extravaganten Tragkonstruktionen nicht so recht in das eher konservative Bild des Staates passten, wurden Müthers Arbeiten geduldet, da sie zum Devisenhandel mit anderen Staaten genutzt werden konnten. 1980 entstand das Planetarium in Wolfsburg, für das die DDR angeblich 10’000 VW-Golf als Gegenleistung erhielt. Weitere Planetarien in Libyen, Kuwait und Finnland folgten. 1986 wurde die Serie mit Großplanetarien in Ost-Berlin abgeschlossen.

Mit den zahlreichen Bauwerken im Betonspritzverfahren sicherte sich Müther eine Sonderstellung als Spezialist. Dies war nicht gern in der DDR gesehen, da das sozialistische System die Schaffung von Kollektiven verfolgte. Dennoch war das System auf Ulrich Müther angewiesen, da es durch ihn, sein Können und seine Bauwerke zu weltweitem Ansehen gelangen konnte.

Die politische Wende 1990

Nach der „Wende“ im Jahr 1990 wurde der Familienbetrieb reprivatisiert und nannte sich fortan ‚Müther GmbH‘. Ulrich Müther setze seine Arbeit kontinuierlich fort und vollendete in den 90er Jahren noch einige Bauwerke. 1999 musste der Familienbetrieb allerdings aufgrund fehlender Aufträge Konkurs anmelden.

Auf der Gründungsversammlung des Bauindustrieverbandes Mecklenburg-Vorpommern wurde Müther zu dessen Präsidenten gewählt. Seinem persönlichen Engagement ist es zu verdanken, dass der Landesverband Mitglied im überregionalen Verband der Deutschen Bauindustrie wurde, welcher der Spitzenverband der deutschen Wirtschaft ist. 

Bis zu seinem Tod am 21. August 2007 in Binz war Ulrich Müther ein begehrter Gast auf Tagungen und Konferenzen. Seine geschaffene Architektur prägt bis heute das Bild vieler Städte. Viele seiner Bauten stehen heute unter Denkmalschutz, wobei ihre Weiternutzung oft unklar ist.

Die Forschung beschäftigt sich seit kurzer Zeit stärker mit dem Lebenswerk Müthers. Zu DDR-Zeiten wie auch danach blieb Müther jegliche akademische Anerkennung verwehrt.